1851 gründete Heinrich Geistlich in Zürich eine Leimmanufaktur, die 1869 – es wurde mehr Platz gebraucht – nach Schlieren umzog. 1899 kam das Werk in Wolhusen (LU) dazu. Aus Knochen und Häuten wurden im Verlauf der Firmengeschichte eine Vielzahl von Produkten hergestellt, wie bsp. Leim, Dünger, Gelatine, Futtermittel oder essbare Folien für die Fleischindustrie. Ende des letzten Jahrhunderts wurde die neue Aera als Technologieunternehmen eingeleitet und neben den industriellen Tätigkeiten ein Medizinaltechnikbereich aufgebaut. Dort werden Biomaterialien für den Aufbau von Knochen. Knorpel und Weichgebe produziert und weltweit vermarktet.
1999 wurden die Tätigkeiten von Geistlich in eine Holdingstruktur überführt und die Aufgaben klar und transparent zugeordnet. 2002 wurde die Produktion von Gelatine und 2006 die industrielle Verarbeitung von Knochen eingestellt.
Um mich auf unser Gespräch vorzubereiten habe ich versucht, Informationen über Sie und die Firma zu sammeln. Ich musste jedoch feststellen, dass dies kein einfaches Unterfangen ist oder anders gesagt, der Auftritt ist sehr diskret aber das was zu finden ist, ist sehr professionell. Ist das bewusst?
Man muss wahrscheinlich zwei Bereiche unterscheiden: Wir informieren bewusst breit, offen und transparent über alles, was mit unseren Produkten und Dienstleistungen im Zusammenhang steht. Die Patienten und Kunden haben stets Zugang zu jeder erwünschten Information. Anderseits haben Sie schon recht: Was die Kommunikation über unsere Familie betrifft, so pflegen wir traditionellerweise kommunikative Werte wie „Vertrauen, Zurückhaltung und Bescheidenheit“. Ziel war es nie und ist es nicht, unsere Familie und/oder Personen in den Vordergrund zu stellen.
Das Familienunternehmen hat sich vom Industrieunternehmen zu einem Technologieunternehmen gewandelt. Wenn man die Firmengeschichte betrachtet, so bauten die ersten 150 Jahre auf Industrie und Bewährtem auf.
Unsere Rohstoffe waren in der kleinen Schweiz immer knapp, und wir waren ständig gezwungen, eine optimale Wertschöpfung daraus zu erzielen. So war denn auch unsere industrielle Zeit geprägt von ständiger Innovation und Anpassung der Produktionsprozesse. Nur so konnten wir uns über all die Jahrzehnte am Markt behaupten. Dies hat uns geprägt.
In den 80er Jahren hat der Wandel in ein Technologieunternehmen eingesetzt. Wie muss man sich das vorstellen?
Dr. Peter Geistlich, mein Onkel, hatte Mitte der 80er Jahre die Idee, Produkte für die regenerative Medizin herzustellen. Zusammen mit internationalen Forschern wurden Produkte für die Knochenregeneration entwickelt. Der Durchbruch am Markt brauchte fast 20 Jahre. Heute werden die Produkte im Dentalbereich aber auch in der Orthopädie mit grossem Erfolg eingesetzt. Wir sind mit diesen Produkten in Nischenbereichen tätig und Weltmarktführer mit einem Anteil von rund 35%. Ich glaube, dieser Erfolg war nur als Familienunternehmung möglich. Nur wir können es uns erlauben in grösseren Zeiträumen zu denken und auch langfristige Ziele zu verfolgen. Wir sind nicht quartalsmässig dem Druck der Aktionäre ausgesetzt.
Die Firma Geistlich hat also vor über 160 Jahren begonnen mit den „Rohstoffen“ Knochen und Tierhäute zu arbeiten und man hat heute noch Erfolg damit.
Das ist korrekt – wir sind sozusagen dem Knochen treu geblieben und haben uns zu Experten in Sachen Regenration entwickelt. Davon verstehen wir etwas und wir werden auf diesem Weg weitergehen und neue Produktkonzepte entwickeln.
Standort Schlieren – Geistlich ist seit 1869 in Schlieren ansässig. Die Produktion ist inzwischen an andere Orte verlagert worden. Die Holding und weitere Firma sind jedoch noch vor Ort. Was passiert mit dem Standort?
Wir sehen für das Areal mit einer Grösse von rund 80 000 m2 eine gemischte Nutzung vor. Wohnungen, Büros, eventuell ein Hotel sollen hier entstehen. Es soll eine gute Sache werden. So entsteht ein Park von rund 30 000 m2 auf dem Areal, der ein Beitrag an die Lebensqualität und die Identität stiftet.
Bleibt die Firma Geistlich in Schlieren?
Ja, solange es für uns stimmt werden wir mit der Holding, der Ligamenta und der Immobilia AG in Schlieren bleiben. Wir sind seit bald 150 Jahren hier und fühlen uns einerseits verpflichtet und andererseits aber auch wohl hier.
Was ist Ihnen wichtig? Was braucht es dass es „stimmt“?
Der Standortentscheid eines Unternehmens wird von einem ganzen Katalog von Faktoren beeinflusst: Die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Behörden muss gut funktionieren, die verkehrstechnische Erreichbarkeit muss gegeben sein, ein attraktiver Steuerfuss und tiefe Gebühren sind wichtig, aber auch eine qualitativ gute Aus- und Weiterbildung welche auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse ausgerichtet ist, muss gewährleistet sein. Aus der Immobilienperspektive ist für uns zudem die Stadtentwicklung von Schlieren zentral. Natürlich ist auch eine gewisse emotionale Bindung nicht wegzudiskutieren.
Politik – Sie sind seit kurzem für die FDP im Kantonsrat. Wie sind da Ihre Erfahrungen?
Ich habe einmal einem Kollegen im Spass gesagt, im Kantonsrat verbrächte ich 80% meiner Zeit mit Nein sagen. Hier ist ein Korn Wahrheit dabei, denn die Begehrlichkeiten gewisser Kreise sind persistent. Politik bedeutet manchmal eben auch zu versuchen, Unheil abzuwenden. Das Mandat ist sehr interessant, vor allem die Arbeit in den Kommissionen, aber auch zeitintensiv.
Die eidg. Volksinitiative „Millionen-Erbschaftssteuer“ steht an – was würde die Annahme der Steuer für Familienunternehmen wie das Ihre bedeuten?
Die Folgen der Erbschaftssteuer wären gerade für Familienbetriebe fatal. Viele Unternehmen würden ausbluten, auch wenn man mit einer Freigrenze argumentiert. Das Geld ist häufig in der Firma investiert und somit blockiert. Es liegt nicht auf einem Bankkonto. Es droht die Gefahr, dass bei einem Generationenwechsel Teile der Substanz wenn nicht die ganze Firma veräussert werden müsste, nur damit man Steuern bezahlen kann. Dadurch würde die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen geschwächt und Arbeitsplätze würden gefährdet – dies kann nicht das Ziel sein. Das strukturelle Problem der AHV darf nicht auf dem Buckel der Familienbetriebe gelöst werden. Ich werde dafür kämpfen, dass Familienbetriebe überleben können. Das Begehren reiht sich im Übrigen ein in eine lange Liste von wirtschaftsfeindlichen Postulaten, die an unserm liberalen Fundament rütteln. Stichworte dazu sind Managerlöhne, 1:12 Initiative, Masseneinwanderung, Mindestlohn oder eben auch die Erbschaftssteuerinitiative. Auch wenn man diese Auseinandersetzungen als Elemente einer lebendigen Demokratie interpretieren kann, so sind sie in ihrer Summe dem Werkplatzes Schweiz und seinem Ruf nicht dienlich. Denn die Attraktivität eines Wirtschaftsstandortes baut auch auf seiner Stabilität und seiner politischen Verlässlichkeit auf.
Weitere Informationen:
www.geistlich.com