Der ehrbare Kaufmann oder in der Schweiz der Patron ist auf den ersten Blick eine alte Zuschreibung. Dabei ist er das Paradebeispiel für einen Unternehmer, der als verantwortlicher Teilnehmer am Wirtschaftsleben nachhaltig denkt und handelt und genau weiss, dass er verantwortlich ist für das eigene Unternehmen, für die Mitarbeiter, für die Gesellschaft, für die Umwelt – und nicht zuletzt für sich selbst.
Trotz der vorherrschenden Shareholder Value gilt für mich der folgende Leitsatz: «Ethik verändert die Wirtschaft.» Das sagt der Kulturwissenschaftler und Soziologe Nico Stehr, Autor des Buches «Die Moralisierung der Märkte». Die Konsumenten würden die Produzenten und die Unternehmen zwingen, bei der Produktion ihrer Waren auch ethische Gesichtspunkte und Werte anzulegen. Das heisst: Wir Konsumenten haben die Macht, dass die Ethik im Wirtschaftsleben wieder verstärkt in den Fokus rückt. Und: Wir Menschen haben auch die Macht, die Ethik wieder verstärkt in den Mittelpunkt unseres gesellschaftlichen Lebens zu rücken. Langfristiger und nachhaltiger Erfolg sind auch – oder besser: gerade dann – möglich, wenn die Verknüpfung zwischen ethisch-moralischer Werteorientierung und Gewinnorientierung gelingt und dabei stets der Mensch im Mittelpunkt steht. Eine ganzheitliche Unternehmensführung, die sich an ethischen Prinzipien orientiert, ist und bleibt ein Erfolgsgarant.
Wahrheit und Wahrhaftigkeit
In den Unternehmen scheinen die Grundlagen der Ethik erst dann zu greifen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und die Hintergründe des Skandals bereits in den Medien ausführlich erläutert werden. In unserer doch eher materialistischen Gesellschaft hat es die Strategie der Wahrheit und Wahrhaftigkeit nicht immer leicht, sich Gehör zu verschaffen.
Für unsere Gesellschaft, wenn nicht sogar für die menschliche Spezies, ist es aber überlebensnotwendig, dass sich möglichst viele Menschen die Ethik-Frage stellen. Notwendig ist dies auch, weil wir in einem Zeitalter der zunehmenden Masslosigkeit, des Nehmens und Forderns, der Raffgier und des Verlustes an Augenmass, Bescheidenheit und Mitgefühl leben – kurz: in einem Zeitalter, dem der Sinn abhanden gekommen ist. Wie aber können wir Menschen zu der Überlegung anstiften, dass Kooperation, Mitgefühl, Geben und Dienen oft mehr Nutzen für uns nach sich ziehen als das Wettbewerbs- und Konkurrenzdenken? Im Mittelpunkt steht der eingangs erwähnte ehrbare Kaufmann als Vordenker und Vorbild. Nachfolgende fünf Punkte beschreiben die wichtigsten Eigenschaften und Merkmale des ehrbar-wahrhaftigen Unternehmers:
1. Gutes tun
Der ehrbar-wahrhaftige Unternehmer will und muss selbstverständlich Geld verdienen und den Erfolg anstreben. Aber er berücksichtigt auch den Grundsatz «Geben ist seliger als nehmen», und zwar im Sinne des Kategorischen Imperativs von Immanuel Kant. Wenn wir das Geben und Dienen zur allgemeingültigen Handlungsmaxime erklärten, wären viele der bekannten Wirtschaftsskandale nicht entstanden. Es mag vielleicht idealistisch gedacht sein und von vielen als weltfremd gebrandmarkt werden: Aber ich hoffe, dass es immer mehr Menschen geben wird, die die Grundsätze des ehrbar-wahrhaftigen Unternehmers wieder zum Fundament ihres Handelns machen.
2. Die Wertegemeinschaft
Der ehrbar-wahrhaftige Kaufmann gehört einer der grössten und wichtigsten Wertegemeinschaft an, die es gibt, nämlich der Wertegemeinschaft der Unternehmer. Diese Wertegemeinschaft gehört auch zu den wirkungsvollsten: Sie bringt all das Geld auf, das für Soziales, Humanes und Kulturelles notwendig ist. Es gibt viele weitere Wertegemeinschaften, die auch Gutes tun – aber ausnahmslos benötigen diese Gemeinschaften die Mittel, die von der Wertegemeinschaft der Unternehmer erwirtschaftet werden. Beide Aspekte führen dazu, dass Unternehmer – und die Menschen in den Unternehmen – ein gutes und zu Recht gesundes Selbstwertgefühl haben dürfen, denn sie gehören zu der Gruppe, die unter Berücksichtigung ethisch-moralischer Leitgedanken täglich Gutes für die Gesellschaft und Wirtschaft leistet.
3. Wahrhaftigen Mitarbeiterbeziehungen
Unternehmer, die der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit verpflichtet sind, wollen, dass alle am Wirtschaftsprozess beteiligten Menschen einen Nutzen davon haben. Das gilt für die Mitarbeiter, die er nach bestem Wissen und Gewissen führt, und das gilt für die Kunden, denen er den grösstmöglichen Nutzen stiften will. Sowohl bei der Mitarbeiterführung als auch bei der Kundenorientierung verfolgt der ehrbar-wahrhaftige Unternehmer das Prinzip, nach Vollkommenheit zu streben. Beginnen wir mit der Mitarbeiterführung: Wenn er die geeignetsten und besten Mitarbeiter um sich versammelt hat, kommt es nun ganz auf ihn an, durch seine Führungsarbeit und Sozialkompetenz dazu beizutragen, dass sie nicht nur die besten sind, sondern auch bleiben.
4. Kundenbeziehungen pflegen
Im schweizerischen Zivilgesetzbuch heisst es: «Jeder hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treue und Glaube zu handeln.» Das bedeutet, dass man sich in den zwischenmenschlichen Beziehungen so zu verhalten hat, wie es ein anständiger, ehrenhafter und wahrhaftig denkender Mensch unter den gleichen Umständen tun würde. Insofern bedeutet «Treue» die unbedingte Bereitschaft, die einer Person gegenüber versprochenen oder sonst wie eingegangenen Verpflichtungen auch einzuhalten. «Glaube» meint Vertrauen und das berechtigte Sich-verlassen-Dürfen auf die Treue des Gegenübers. Mit anderen Worten: Es müssen im zwischenmenschlichen Verhältnis die berechtigten Interessen aller Beteiligten zum Zug kommen und befriedigt werden. Ist dies nicht ein hervorragendes Fundament für den Aufbau wahrhaftiger Kundenbeziehungen? Der ehrbar-wahrhaftige Unternehmer jedenfalls versucht, zu seinen Kunden ein wahrhaftiges Vertrauensverhältnis aufzubauen.
5. Die souveräne Unternehmerpersönlichkeit
Letztendlich lässt sich das Bild des ehrbar-wahrhaftigen Unternehmers in dem Begriff der souveränen Unternehmerpersönlichkeit, die mit ethischen Prinzipien und der DIEN-Norm und der DIEN-Haltung gegenüber anderen Menschen zum Erfolg und zu einem erfüllten und gelungenen Leben gelangt, zusammenfassen und verdichten. Die souveräne Unternehmerpersönlichkeit will den Erfolg – für sich selbst, aber auch und vor allem für andere. Denn sie weiss: Wer anderen Nutzen stiftet, erweist sich selbst einen Nutzen. Wer für seinen eigenen Nutzen sorgt, trägt zum Nutzen anderer bei.
Neues Selbstverständnis
Die Empörung über die grossen Wirtschaftsskandale ist Ausdruck der Überzeugung der Konsumenten und der meisten Menschen, dass es ohne Ethik und Moral im Geschäftsleben zu Erosionsprozessen kommt, die unsere soziale Marktwirtschaft ins Wanken bringen können. Gerade diejenigen – oder vielleicht sogar nur diejenigen – Unternehmen werden überleben und am Markt bestehen können, die bereit und fähig sind, ethische Massstäbe in ihre Unternehmens- und Führungsphilosophie zu integrieren. Langfristige Interessen und Strategien dürfen nicht auf dem Altar der kurzfristigen Gewinnmaximierung geopfert werden. Ethische Grundhaltungen und Grundlagen müssen als Basis des wirtschaftlichen Erfolgs akzeptiert und gefordert werden. Die Unternehmensethik als Inhalt und Grundlage der sozialen Marktwirtschaft sollte (wieder) verstärkt an Geltung gewinnen.
Weitere Informationen: www.schmidtcolleg.de