Die Coronavirus-Pandemie ist eines der bedeutendsten Ereignisse der Geschichte. Allerdings nicht aufgrund der Zahl der Todesfälle, die im Vergleich zu früheren Pandemien gering war, sondern aufgrund der drastischen Veränderungen in der Geopolitik, der Wirtschaftsaktivität, dem Verbraucherverhalten und der Verschuldung, die als Folge landesweiten Lockdowns in vielen Ländern eintraten.
Viele Anleger sind verblüfft vom Kontrast zwischen dem dramatischen BIP-Rückgang einerseits und vielen Aktienmarkt-Indizes auf Allzeithochs andererseits. Die Verwirrung wird jedoch gerade durch die Fokussierung auf das BIP anstatt auf Haushaltseinkommen verursacht. Die Reaktionsmassnahmen von Banken und Regierungen auf die Rezession waren radikal anders als in der Vergangenheit, und genauso war auch die Rezession selbst völlig anders, da sie durch vom Staat angeordnete Lockdowns anstatt durch ein externes Ereignis ausgelöst wurde.
Die Regierungen der Industrieländer starteten massive finanzielle Unterstützungsprogramme, sowohl für Unternehmen, die zur Schliessung ihrer Geschäftsräume gezwungen waren und somit keine Einnahmequelle mehr hatten, als auch für Einzelpersonen, die entweder ihren Arbeitsplatz verloren oder in Zwangsurlaub oder Kurzarbeit geschickt wurden. Diese Unterstützungsprogramme waren von enormem Umfang im Verhältnis zum Wirtschaftsvolumen.
Dem Einkommensrückgang von US-Haushalten durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit wurde entgegengesteuert durch staatliche Unterstützungszahlungen, weshalb persönliche Einkommen im Laufe des Jahres sogar stiegen anstatt fielen. In Europa verändern sich die Haushaltseinkommen aufgrund der vorhandenen sozialen Unterstützungsprogramme immer weniger stark, obwohl die staatlichen Ausgaben zur wirtschaftlichen Unterstützung dieses Mal viel höher waren als sonst. Die staatlichen Unterstützungsausgaben beliefen sich auf bis zu zwölf Prozent des BIP, und die Regierung der USA wird im Jahr 2021 voraussichtlich weitere sechs Prozent hinzufügen. Im Gegensatz dazu werden die Wirtschaftsimpulse durch staatliche Ausgaben in den meisten Ländern Europas negativ sein. Kombiniert mit der langsameren Einführung von Impfstoffen und den strengeren Ausgangsbeschränkungen als in den USA wird die wirtschaftliche Erholung in Europa viel langsamer verlaufen als in Amerika. Nichtsdestotrotz lässt sich durch diese staatlichen Unterstützungsprogramme erklären, warum die Unternehmenseinnahmen weit weniger stark sanken als das BIP.
Die Diskrepanz zwischen dem Rückgang des von der Wirtschaft «produzierten» Einkommens (das Bruttoinlandprodukt/BIP) und dem Anstieg des für die Bürger verfügbaren Einkommens (das Haushaltseinkommen), der in diesem Fall durch staatliche Kreditaufnahme finanziert wurde, erklärt die Entwicklung der wirtschaftlichen Einnahmen und damit der Aktienkurse. Im Gegensatz zum erwarteten Rückgang der Unternehmensgewinne von 13 Prozent im vierten Quartal 2020 stiegen die Unternehmensgewinne in den USA um vier Prozent. In Europa war das Bild ähnlich, mit einem Anstieg der Unternehmensgewinne von drei Prozent gegenüber dem erwarteten Rückgang von 14 Prozent.
Der grösste Wermutstropfen bei alledem ist der massive Anstieg der Staatsverschuldung, durch den die finanziellen Unterstützungsprogramme finanziert wurden. Die traditionelle Wirtschaftstheorie würde nun prognostizieren, dass ein erheblicher Anstieg der Zinssätze folgen muss, um dem erhöhten Risiko von staatlichen Zahlungsausfällen Rechnung zu tragen. Das ist bisher nicht eingetreten, vor allem deshalb, weil die Zentralbanken einen Grossteil der Schulden aufgekauft haben. Infolgedessen ist die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP – bereinigt um die Zentralbank-Aufkäufe – entweder gesunken oder nur geringfügig gestiegen.
Es scheint, als ob sich praktisch unbegrenzt neues günstiges Geld in Umlauf bringen liesse, aber sowohl den Zentralbanken als auch den Staatsregierungen ist klar, dass das nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt weiter so fortgeführt werden kann. Die Frage ist: Wann wird dieser Zeitpunkt definitiv eintreten?