Boomendes Trendquartier, zweitwichtigstes Arbeitsgebiet
Der Startpunkt der Entwicklung des rund 1346 km2 grossen Zürich-West kann auf das Jahr 1995 datiert werden, wo die ersten grossen Gestaltungspläne rechtskräftig wurden, die mehrheitlich die Grundlage für die heutige Bebauung bilden.
Die Bevölkerung ist bis Ende 2014 auf über 4000 Einwohner angestiegen. Dennoch ist Zürich-West neben der Innenstadt sowie dem Quartier Werd weiterhin eines der kleinsten Wohnquartiere. Relativ ist der Zuwachs an Einwohnern mit über 140% zwar beachtlich, allerdings ist Zürich-West 1995 mit 1650 Einwohnern auf einem tiefen Niveau gestartet. In absoluten Zahlen bedeutet dies einen Zuwachs von rund 2300 Einwohnern. Diese haben die in den letzten Jahren die wie Pilze aus dem Boden geschossenen Wohnbauten besiedelt.
Auch eindrücklich präsentieren sich die absoluten Zahlen des Beschäftigungswachstums. Die Anzahl Beschäftigte hat sich zwischen 1995 und 2011 verdoppelt, was einem absoluten Zuwachs um rund 14’200 Beschäftigten entspricht. Allein zwischen 2008 und 2011 sind 6300 Arbeitsplätze entstanden. In diesen Zahlen sind die neuen Nutzer der 2014 bezogenen Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK) – eigentlich auch Arbeitsplätze – noch nicht berücksichtigt; immerhin nochmals rund 4000 Studierende/Lehrkräfte und 1000 Angestellte.
Gartenstadt Zürich – Steinwüste Zürich-West
Dass sich Zürich-West nicht vom Arbeits- zum Wohnquartier gewandelt hat, zeigt auch die Veränderung des Verhältnisses zwischen den Beschäftigten und den Bewohnern. Dieses Verhältnis lag 1995 in Zürich-West bei rund 9:1 und wurde nur von der Innenstadt (11:1) übertroffen. Im Jahr 2011 zeigt sich ein Verhältnis von 7:1. Zwar war eine leichte Abnahme zu beobachten, jedoch bleibt Zürich-West neben der Innenstadt das einzige richtige Arbeitsplatzquartier.
Heute prägen grossvolumige Büro-Monokulturen, durchsetzt mit einigen modernen Wohnbauten, das Bild in Zürich-West. Die Wohnform Hochhaus ist dabei der Ausdruck einer Abgrenzung von der eigentlichen Umwelt, die wenig Aufenthaltsqualitäten bietet; Durchmischung sieht anders aus.
Mit durchschnittlich 27 Prozent Freiflächen gegenüber versiegelter oder verbauter Fläche kann Zürich insgesamt als grüne Garten- oder Parkstadt bezeichnet werden – ein Grund für die international hochbewertete Lebensqualität von Zürich. Zürich-West bietet demgegenüber mit nur 9 Prozent Freiflächenanteil und durchschnittlich 110 Prozent Ausnützung wenig Wohnqualität. Es existiert kaum Platz für Freiraum, für Erholung und für Grünflächen. Deshalb wird es dieses Quartier wohl nie zum durchgrünten und ruhigen Wohnquartier schaffen.
Der Weg nach oben
Und doch sprechen die Wachstumszahlen der Immobilienpreise eine Sprache für sich. Die Wohnbautätigkeit, welche 1995 einsetzte und mittlerweile den Wohnungsbestand mehr als verdoppelte, ging mit einer massiven Preissteigerung einher. Diese Entwicklung lässt sich anhand des Transaktionspreisindex verdeutlichen. Dieser zeigt einen Anstieg der Preise für Eigen-tumswohnungen in Zürich-West, welche in der Stadt nur von den bevorzugten Wohngebieten am Zürichberg, der Innenstadt oder dem Seefeld übertroffen wurde. Während im Jahr 2002 eine Eigentumswohnung in der Überbauung «Limmat West» noch für unter CHF 6000.- pro Quadratmeter Hauptnutzfläche zu haben war, stiegen die Preise mit der Fertigstellung der ersten Wohnhochhäuser auf über CHF 15’000.-. Die Spitzenpreise liegen sogar bei rund CHF 25’000.- pro Quadratmeter. Die Preiseentwicklung hat ihren Zenit aber bereits überschrit-ten. Die Wohnungsverkäufe sind seit einiger Zeit ins Stocken geraten.
Und die Absatzschwierigkeiten zeigen sich nicht nur bei den grossen und somit sehr teuren Eigentumswohnungen. Auch die Vermietung von Wohnungen zeigt sich schwieriger als von vielen Investoren erwartet. In Zürich, dem Epizentrum der Wohnungsnot, stehen heute so viele Wohnungen frei wie schon seit Jahren nicht mehr. Ein Grossteil der in Zürich leerstehenden Wohnungen ist in Zürich-West zu finden. Im Toni-Areal (Bezug Oktober 2013) standen bei Redaktionsschluss 17 der 100 Wohnungen leer. Die durchschnittliche Nettomiete liegt bei CHF 4’300.- pro Monat. In den Escher-Terrassen (Bezug April 2014) suchten 18 der 51 Wohnungen noch eine Mieterin. Mittlere Monatsmiete: CHF 5’000.- bei einer durchschnittlichen Nettomietfläche von 132 m2. Und auch in den Überbauungen Am Pfingstweidpark und Maaghof stehen immer noch viele Wohnungen frei. Kaum eine kostet unter CHF 3’000.- pro Monat.
Bei den Büroflächen liegt das durchschnittliche Preisniveau bei rund CHF 260.-/m2a. Trotz der tiefen Preise stehen viele Büro- und Gewerbeliegenschaften leer, wie beispielsweise entlang der Hardturmstrasse. Aufgrund der aktuellen Marktsituation, geprägt durch realwirtschaftliche und finanzpolitische Unsicherheiten sowie landesweiten Überkapazitäten, ist davon auszugehen, dass diese Liegenschaften auch in Zukunft schwierig zu vermieten sein werden und sich der Druck auf die Mietpreise erhöht.
Die Neubautätigkeit von prägenden Geschäftsbauten, welche in der betrachteten Periode im Jahr 1993 mit dem Technopark begonnen hatte und mit dem Bezug des Prime Tower im Jahr 2011 ihren Höhepunkt erreicht hat, manifestiert sich auch in einem höheren Mietzinsniveau. An den sehr guten Mikrolagen wie zum Beispiel beim Bahnhof Hardbrücke oder in den obersten Geschossen der Hochhäuser liegen die Preise heute im Bereich von CHF 500.-/m2a. Diese Preise sind durchaus mit Lagen in der Innenstadt, mit Ausnahme der absoluten Toplagen, zu vergleichen.
Wer hat’s erfunden?
Wer hat den Boom in Zürich-West überhaupt ermöglicht? Ein Blick auf die Aufteilung des Investitionsvolumens bei Neubauprojekten zwischen 1995 und 2013 zeigt, dass private Investoren für über 90 Prozent der gesamten Investitionen verantwortlich sind. Der Grossteil der privaten Investoren stammt aus der Stadt Zürich. Die zwischen 1995 und 2013 getätigten Investitionen dürften einen jährlichen Umsatz von rund CHF 2.6 Milliarden in Zürich-West auslösen, was erheblich zur Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt. Diese Umsätze werden mit einem Anteil von rund 95% massgeblich durch die Investitionen der privaten Investoren ausgelöst. Nach der Realisierung der vielen privat finanzierten Projekte profitiert die Stadt Zürich stark. Das jährliche Steuervolumen, welches die Investitionen schätzungsweise auslösen, wird auf rund CHF 320 Millionen geschätzt, wovon rund 66 Millionen pro Jahr in der Stadt Zürich anfallen dürften. Mit den hohen Investitionen aus der Privatwirtschaft und der damit verbundenen Entwicklung der Landwerte ist in Zürich-West auch ein «latentes» Steuervolumen aufgebaut worden, das irgendwann in der Zukunft in Form von Grundstücksgewinnsteuern realisiert werden kann. Es handelt sich dabei um «stille Steuerreserven» für die Stadt.
Der Beitrag der öffentlichen Hand an die Entwicklung von Zürich-West fällt im Vergleich zu weiteren Entwicklungsgebieten eher bescheiden aus. So waren die absoluten Investitionen der öffentlichen Hand zwischen 1995 und 2013 zwar höher als beispielsweise in Leutschenbach oder in Neu-Oerlikon. Allerdings handelt es sich um einen weit grösseren Perimeter, weshalb die Investitionen pro Quadratmeter Gebietsflächen mit rund CHF 190 tiefer als in den beiden anderen Gebieten aus-fielen. Zürich-West hat sich nicht wegen, sondern trotz der öffentlichen Hand entwickelt. Mit den zwei Schulhäusern am Pfingstweidpark und auf dem Schützeareal sind jedoch auch weitere Investitionen geplant. Das neue Fussballstadion (inklusive einer Wohnüberbauung) auf dem Hardturmareal hätte ebenfalls durch die öffentliche Hand finanziert werden sollen. Der Kredit von CHF 216 Millionen wurde im September 2013 durch das Stadtzürcher Stimmvolk abgelehnt. In der zweiten Hälfte 2015 soll nun ein Investorenwettbewerb durchgeführt werden. Auf dem Areal sind nun bis zu 80 Meter hohe Hochhäuser möglich, welche im Idealfall die Finanzierung des Stadions mit 20’000 Sitzplätzen und einen gemeinnützigen Wohnsiedlung quersubventionieren. Das Land wird dem privaten Investor im Baurecht abgeben.
ZHDK: Die grösste Arbeitsstätte im Quartier ohne Infrastruktur
Im September 2014 sind die Kunststudenten, Dozenten und das weitere Personal in die ehemalige Toni-Molkerei eingezogen und auf ein weitgehend unvorbereitetes Quartier getroffen. Im Innern des Luxuspalastes (Gesamtinvestition ca. CHF 350 Mio., ein Umbau teurer als ein Neubau) ist zwar eine Verpflegungsmöglichkeit vorhanden, aber draussen auf der Strasse wurden von den Stadtplanern keinerlei Vorkehrungen getroffen, die grösste Arbeitsstätte von Zürich-West mit Läden, Restau-rants, Bars etc. zu versorgen. Auch wenn in der direkten Umgebung des Toni-Areals einige Verpflegungseinrichtungen vorhanden sind, positionieren sich diese jedoch vermehrt im gehoberen Segment, oder aber es handelt sich um betriebsinterne Einrichtungen. So stellen sie nur beschränkt eine Alternative für die Studentinnen und Studenten dar. Bleibt zu hoffen, dass sich das Leben mit improvisierten Angeboten (Strassenständen, umfunktionierten Gewerberäumen etc.) selber hilft.
Brachen als Qualität von Zürich-West
Das Beste an Zürich-West sind seine Gegensätze: Frau Gerolds Garten vor der schimmernden Kulisse des Prime Tower, die Turbinen-Testanlage neben den noblen Escher-Terrassen und dem Swisscom Tower, die Zwischennutzer auf der ewigen Stadion-Brache. Sobald Zürich-West fertig gebaut ist, werden wesentliche Qualitäten verloren gehen. Hoffen wir also, dass es immer einige Brachen und Provisorien gibt beziehungsweise dass immer wieder neue entstehen, die Zürich-West lebendig erhalten.
Die einzige Konstante in Zürich-West ist die Veränderung (abgewandeltes Zitat nach Heraklit von Ephesus; etwa 540 – 480 v. Chr.). Zürich-West war, ist und bleibt spannend.