Die Schweiz hat ein Rentenproblem. Obwohl die Wirtschaft wächst und die Löhne steigen, sinken die durchschnittlichen Pensionskassenrenten der Neurentnerinnen und Neurentner seit ein paar Jahren. Seit 2005 sind sie im Mittel um fast neun Prozent gesunken. Eine Erhebung des SGB bei 42 Pensionskassen mit 775’000 Versicherten zeigt, dass der mittlere Umwandlungssatz 2019 von 5,8 auf 5,6 Prozent gesenkt wird. Um noch stärkere Rentensenkungen zu verhindern, haben zahlreiche Pensionskassen ihre Beiträge erhöht. Vor der Finanzkrise lag der mittlere reglementarische Beitragssatz bei rund 18 Prozent. Gegenwärtig bewegt er sich in Richtung 19,5 Prozent. Immer mehr Versicherte stellen fest, dass sie in der 2. Säule mehr bezahlen müssen, um schliesslich doch weniger Rente zu erhalten. Die Ursache für die ständig schlechteren Renten der 2. Säule sind die Probleme des Kapitaldeckungsverfahrens bei tiefen Zinsen auf den Kapitalmärkten. Dies wirkt sich negativ auf das Alterskapital aus.
Die Verfassung setzt in Sachen Vorsorge klare Ziele: Die Renten aus AHV und 2. Säule sollen die «Fortsetzung des gewohnten Lebens in angemessener Weise» ermöglichen. Doch die im Obligatorium theoretisch maximal erreichbare Rente einer männlichen Einzelperson beträgt höchstens 4 280 Franken pro Monat. Nach Miete, Krankenkassenprämien und Steuern bleibt davon nicht mehr allzu viel zum Leben übrig. Betroffen sind nicht nur tiefe Einkommen. Wer weniger als 7 110 Franken pro Monat verdient oder Lücken in der Erwerbskarriere aufweist, muss im Alter mit viel weniger auskommen als den erwähnten 4 280 Franken. Das gilt für etwa zwei Drittel der Arbeitnehmenden! Besonders stossend ist der ungenügende Versicherungsschutz für Teilzeitarbeitende.
Um den künftigen Rentnerinnen und Rentnern ein anständiges Rentenniveau zu sichern, braucht es eine Stärkung der AHV. Der SGB erarbeitet dazu eine Initiative für eine 13. AHV-Rente.
Anders als bei den Renten der beruflichen Vorsorge hängt die Gesundheit der AHV-Finanzen nämlich nicht von den Finanzmärkten, sondern in erster Linie von der Lohnsumme ab, die in der Schweiz verdient wird. Die AHV entwickelt sich deshalb auch grundsätzlich stabil. Die Renten steigen leicht. Die ausgesprochen soziale Finanzierung der AHV hat zur Folge, dass 92 Prozent der Versicherten mehr aus der AHV erhalten, als sie einzahlen. Einzig der Eintritt der BabyboomerGeneration ins Rentenalter führt in den nächsten Jahren in der AHV zu einem vorübergehend anfallenden finanziellen Mehrbedarf. Dieser muss über alle Altersgruppen und Einkommen aufgeteilt werden. Über eine mögliche Finanzierungsquelle stimmen die Stimmberechtigten bereits am 19. Mai 2019 im Rahmen der AHV-Steuervorlage ab.
Auch die 2. Säule bleibt wichtig im Gefüge der schweizerischen Altersvorsorge. Doch heute ist sie nicht nur durch die Tiefstzinsen geschwächt. Sie ist auch geprägt durch Geldabflüsse in Milliardenhöhe an Versicherer, Vermögensverwalter und Broker. Die Gewinne dieser Akteure mit dem Geld der Versicherten sind systemfremd – und bei sinkenden Renten besonders stossend. Deshalb braucht es stärkere Gewinneinschränkungen, Transparenz in Bezug auf die Verwaltungskosten und einheitliche, verständliche Vorsorgeausweise. Zur Verbesserung des Preis-Leistungs-Verhältnisses sollte ausserdem die Umlagekomponente im BVG gestärkt werden. Nur so können Reformen der 2. Säule auf Akzeptanz stossen.