Von Tribüne über Einbahnstrassen bis hin zu selbstreinigenden Türklinken und berührungslosen WCs. Der folgende Beitrag beleuchtet Beispiele, die Möglichkeiten und Herausforderungen eines Post-Corona-Büros verdeutlichen.
Obgleich die Covid-19-Fallzahlen und der Teil-Lockdown das Arbeiten von zu Hause nahelegen und grosse Konzerne die Home Office-Zeit bis 2021 verlängert haben: Viele Firmen arbeiten weiterhin an sicheren und innovativen Rückkehroptionen ins Büro. Diese sollten jedoch mehr als Hygienekonzepte beinhalten. Ebenso wichtig sind technische Neuerungen, die weitere Digitalisierung und Strategien, wie Mitarbeiter während der Bürozeiten künftig besser interagieren und sich trotz Phasen der Abwesenheit mit dem Arbeitgeber identifizieren können. Nicht nur das Münchner Beratungs- und Architekturunternehmen CSMM hat beobachtet, dass die Mehrheit der Unternehmen keine klare Vorstellung davon hat, wie die künftige neue Normalität im Office-Alltag aussehen kann. Sie reagieren entsprechend auch jetzt vor allem auf gesetzliche Massnahmen, Vorgaben und Restriktionen, anstatt die Pandemie zu nutzen, um die Arbeitswelt grundsätzlich neu zu überdenken. «In der Folge sind sie künftigen Lockdown- oder Krisensituationen immer wieder vergleichsweise hilflos ausgeliefert», warnt Timo Brehme, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von CMM, das Bürokonzepte entwickelt und umsetzt.
Digitale Zurückgezogenheit
Das Münchner Beratungs- und Architekturunternehmen zeigt mit seinem eigenen
Büro ein Modell als Blaupause für alle Unternehmen. Der Architektur liegt die Voraussicht zugrunde, dass Büroarbeit in Zukunft noch agiler, kreativer und kommunikativer werden wird. Denn, wenngleich in Zeiten von Covid-19 vermehrt
viele Home Office machen – und somit die Grossraumbüros ausgedünnt sind –,
sehen Experten die Büroform weiter auf dem Vormarsch. «Die hohe Nachfrage nach Videokonferenzen verdeutlicht, dass gemeinsame Kommunikation und der
Austausch im interdisziplinären Team im 21. Jahrhundert den Hebel für Wertschöpfung darstellen. Grossraumbüros bilden aber nicht nur die Drehscheibe für Wissen und Kreativität – was teilweise auch virtuell umsetzbar wäre. Zukunftsorientierte Bürokonzepte passen sich als Multi-Space-Lösungen flexibel an agile Arbeitsformen und sich verändernde Tätigkeiten an. Sie fördern als Möglichkeitsraum stets neue Prozesse, Erkenntnisse und Ergebnisse, indem der Raum selbst zum Medium für Möglichkeiten wird», erklärt Timo Brehme. «Die aktuelle Situation wird den Wandel in der Bürolandschaft weiter beschleunigen. Nach der Corona- Krise wird der Blick auf die Bürowelt ein anderer sein», ist sich Brehme sicher. Die Zukunft liegt nicht in der Heimarbeit, sondern lag bereits vor der Krise im steten Wechsel zwischen Arbeitsumgebungen. «Die Forschung zeigt, dass unterschiedliche Lern- und Arbeitsorte stimulierend auf das Gehirn und damit die Leistung wirken. Agile Unternehmen und Mitarbeiter nutzen dies, indem sie bestimmte Tätigkeiten an verschiedenen Orten vornehmen », erklärt Brehme. Dafür muss das Büro verschiedene Arbeitsplatzszenarien anbieten. Es muss als Möglichkeitsraum neu gedacht und konzipiert werden, denn ein Grossraumbüro ist deutlich mehr als ein grosser Raum, in dem Schreibtische und Mitarbeiter ohne Grenzen nebeneinander arbeiten.
Konträre Wünsche und Bedürfnisse
Viele Arbeitnehmer wünschten sich schon immer, dauerhaft flexibler zu arbeiten. Die Corona-Krise hat diesen Trend laut Timo Brehme noch verstärkt. Und tatsächlich stehen die meisten Arbeitgeber diesem Thema mittlerweile offen gegenüber. Einer aktuellen Studie der Krankenversicherung AOK zufolge wollen 76.9 Prozent der Arbeitnehmer auch künftig ab und an zu Hause arbeiten. Dabei wird gerne vergessen, dass essenzielle Aspekte wie die informelle Kommunikation
und die persönliche Interaktion zu Hause meist gänzlich wegbrechen. Doch wie sollen Unternehmen den zur Lösung dieses Konflikts unvermeidlichen Spagat
zwischen Sicherheit, Flexibilität und persönlichem Austausch künftig bewältigen?
«Bei aller Unabhängigkeit, die die Digitalisierung mit sich bringt, suchen Menschen weiterhin Stabilität und Nähe. Mitarbeitende werden das Büro künftig mehr als Begegnungs- und Kommunikationsfläche nutzen», weiss Brehme. Auch für die Mitarbeiterbindung wird das Büro wichtiger denn je – wenn sie vor Ort sind. Auf die Herausforderungen des Digitalisierungsschubes folgt daher nun die Phase, in der auch Bürokonzepte revolutionär neu gedacht werden müssen.
Mehr Flächen für Begegnungen
Die Gelegenheit, das Büro neu zu denken, ist jetzt günstig wie nie. «Schon vor
rund 20 Jahren haben wir von non-territorialen Büros gesprochen, nun kann das
entsprechende Fundament für diese Zukunft gelegt werden», erklärt Brehme. Dabei wird die in den vergangenen Jahren begonnene Entwicklung vom Grossraumbüro hin zum flexiblen Multi-Space als Möglichkeitsraum die Bürolandschaft künftig prägen. «Was darüber hinaus gefragt ist, ist die Förderung von Teamgeist und Innovationsfähigkeit. Unternehmen, die marktfähig bleiben wollen, benötigen dafür entsprechenden Raum.»
Einen solchen Möglichkeitsraum hat das Beratungs- und Architektur-Unternehmen
unter Berücksichtigung eines strengen Sicherheits- und Hygienemassnahmenplans modellhafte Wirklichkeit werden lassen. Im
loftartigen Inneren des Büros im Münchner Werksviertel mit über vier Metern Deckenhöhe finden sich überall grosszügige Sitzecken. Zudem gibt es eine Tribüne, die Funktionsbereiche trennt und zusätzliche Begegnungsorte schafft. Kommen Besucher, können sie die Meeting-Räume ansteuern, ohne durch das gesamte Büro gehen zu müssen. Das Ergebnis ist damit genau jener Knotenpunkt des Austausches, der Teamarbeit und der Innovationsprozesse, für den CSMM zusammen mit dem Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) den Begriff des «Hub & Home» geprägt hat. Wobei «Home» hier in bewusstem Gegensatz zum Home Office das gemeinschaftliche Büro als sinnstiftenden Ort der Identifikation mit dem Unternehmen meint. «Home is, where my office is»: Dieser Grundsatz wird nach Meinung von CSMM in der Post-Covid-Welt das Arbeiten in den hybriden Bürohäusern der Zukunft prägen. Zumindest dann, wenn Unternehmen die sich hierfür bietenden Chancen in der Krise nutzen.
Schöne neue Arbeitswelt
«Mitarbeiter in einem gesunden Arbeitsumfeld sind der Schlüssel für eine gesunde
Wirtschaft», betont Brehme. Und diesem Grundsatz folgend bietet das Büro der Zukunft nicht nur mehr Raum gerade für jeden einzelnen Mitarbeiter, sondern Flexibilität in räumlicher wie personeller Hinsicht. Stichwort «Wechselarbeitsplätze». Während Mitarbeiter beispielsweise konzentrierte
Schreibarbeiten an mehreren Tagen in der Woche im Home Office erledigen
können, spielen sich Besprechungen und Kreativmeetings in grosszügig
gestalteten Teamräumen ab. Zusätzlich zu diesen Orten der Begegnung gibt es nach Vorstellung der Münchner auch Rückzugsräume für den Einzelnen. Dabei helfen flexible Raumtrenner und Einrichtung, die die Möglichkeit des Social Distancing sinnstiftend auffangen. Ergänzt wird dieser Trend zwischen Wechselarbeitsplätzen und Kommunikationsräumen durch die kluge Neuorganisation gemeinschaftlich genutzter Flächen etwa mit Wegweisern
und Abstandsmarkierungen. Und auch im Unsichtbaren umfasst Münchens erstes
Post-Corona-Office bei CSMM unzählige Besonderheiten, die in einem Kriterienkatalog festgelegt sind. Die Arbeitsform der Zukunft dient somit
nicht nur als feste Adresse und ein Identifikationspunkt für die Mitarbeiter. Die weiterentwickelte Mischform wird ein fester Bestandteil der gesamten neuen Arbeitswelt und gleichzeitig Katalysator in der Wertschöpfung sein. Wechselspiel zwischen digitaler Zurückgezogenheit sowie offenem Austausch im Büro ist daher
unumgänglich – ob in einer Pandemie oder nicht.