Das Arbeitsrecht in der Schweiz umfasst Bereiche, die Unsicherheiten bewirken oder über die man lückenhaft informiert ist. in Zürich und Winterthur hat der Zürcher Anwaltsverband (ZAV) zum Thema zwei öffentliche Podien durchgeführt. Expertinnen und experten beleuchteten die Thematik aus verschiedenen Perspektiven. Der ZAV hat im Anschluss eine Mitteilung verfasst. Wir haben das Wichtigste zusammengetragen und bei einigen Punkten nachgefragt.
Ob Ferien, Schwangerschaft, Überstunden, Kündigungsfristen, Arbeitszeugnisse oder Krankheit – viele Vorfälle und Gegebenheiten im Arbeitsalltag können rechtliche Fragen aufwerfen. Rechtsanwältin Nicole Vögeli Galli, Fachanwältin SAV Arbeitsrecht, sowie die Rechtsanwälte Daniel Mägerle und Roger Hischier, beide ebenfalls Fachanwälte SAV Arbeitsrecht, vermittelten in ihren Vorträgen die theoretischen Grundlagen zum Arbeitsrecht und klärten die wichtigsten Fragen zum Thema.
Wie unterscheiden sich Überstunden und Überzeit?
Umgangssprachlich werden die Begriffe Überstunden und Überzeit in der Regel als Synonyme verwendet. Juristisch gesehen gibt es zwischen diesen beiden aber tatsächlich einen Unterschied: Überstunden meint die Zeit, die man länger arbeitet, als
dies im Arbeitsvertrag vereinbart ist. Übersteigt die Überstundenzahl zudem die im Arbeitsgesetz festgelegte Höchstarbeitszeit, spricht man von Überzeit.
Die Regeln für Überzeitarbeit sind im Arbeitsgesetz geregelt und gehören damit zum öffentlichen Recht. Um den Gesundheitsschutz der Mitarbeitenden zu sichern, ist im Arbeitsgesetz festgelegt, dass man nicht mehr als zwei Stunden Überzeit pro Tag arbeiten darf, wobei zusätzlich im Kalenderjahr bei einer Höchstarbeitszeit von beispielsweise 45 Stunden pro Woche ein Maximum von 170 Stunden Überzeit besteht.
Wie werden Mehrstunden entschädigt?
Häufig können Mehrstunden kompensiert werden, das heisst, es findet ein Austausch von Arbeitszeit durch Freizeit von gleicher Dauer statt. Eine Kompensation
von Mehrstunden erfordert jedoch das vorherige Einverständnis des Mitarbeitenden und sollte im Arbeitsvertrag oder einem vertraglichen Reglement festgehalten sein. Andernfalls muss der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden auszahlen, und zwar mit einem Lohnzuschlag von mindestens 25 Prozent. Die Kompensation und Entschädigung von Überstunden kann schriftlich anders geregelt oder sogar ganz ausgeschlossen werden. Dagegen sind die Bestimmungen der Überzeit zwingend und damit nicht abänderbar. Ausnahmen gibt es bei höheren, leitenden Angestellten, für die das Arbeitsgesetz nicht gilt und die somit generell keinen Anspruch auf Entschädigung für Mehrarbeit haben.
Zählt ein positiver Gleitzeitsaldo als Überstunden?
Gleitzeitarbeit verlangt von Arbeitnehmenden, dass sie ihre Arbeitszeit selber aus
gleichen, sodass Arbeitnehmende ihre Soll-Arbeitszeit auf wöchentlicher, monatlicher oder jährlicher Basis erreichen. Arbeitnehmende sind also berechtigt, in einem bestimmten Rahmen Arbeitszeit vor- oder nachzuholen. Auf der anderen Seite sind Arbeitnehmende dafür verantwortlich, fristgerecht – das heisst bis zum jeweiligen Abrechnungszeitpunkt beziehungsweise innert einer ordentlichen Kündigungsfrist – für den Ausgleich der Mehr- oder Minderarbeit zu sorgen. Andernfalls erfolgt ein Verlust der Plusstunden oder ein Lohnabzug für Minusstunden.
Welche Regeln gelten bei Absenzen und Krankheit?
Das Verhältnis von Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung sorgt in der Praxis immer wieder für Unsicherheiten, zumal es sich dabei um zwei voneinander unabhängige Ansprüche handelt. Während die Lohnfortzahlung vor Lohnausfall bei Arbeitsverhinderung schützt, dient die Sperrfrist dem Kündigungsschutz des Arbeitnehmers in einer Zeit, während der er bei der Stellensuche wegen seiner Beeinträchtigung benachteiligt wäre. Während der Sperrfrist, die je nach Dienstjahren 30, 90 oder 180 Tage andauert, kann der Arbeitgeber eine Kündigung nicht aussprechen, und falls die Kündigung schon vor Beginn der Beeinträchtigung erfolgt ist, bleibt die Kündigungsfrist längstens für die Dauer der Sperrfrist stehen, läuft nachher weiter und verlängert sich auf das nächste Monatsende.
Lohnfortzahlung bei Arbeitsverhinderung?
Damit der Arbeitnehmer bei einer Arbeitsverhinderung einen Anspruch auf Lohnfortzahlung hat, muss er nachweisen, dass er aus einem der im Gesetz genannten Gründe an der Arbeitsleistung verhindert ist. Gemäss Obligationenrecht gehören dazu insbesondere unverschuldete Krankheit oder Unfall, Schwangerschaft, die Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder die Ausübung eines öffentlichen Amtes. Bei Krankheit und Unfall kann der Nachweis einer unverschuldeten Arbeitsverhinderung in erster Linie durch ein Arztzeugnis erbracht werden. Das Gesetz schreibt vor, dass bei unverschuldeter Arbeitsverhinderung der Lohn für eine angemessene Dauer weiterbezahlt werden muss. Die Praxis hat dafür verschiedene Skalen entwickelt, welche vom Dienstalter abhängig sind. Häufig wird die Lohnfortzahlungspflicht vom Arbeitgeber mit einer Krankentaggeldversicherung abgesichert. Die Leistungen der Krankentaggeldversicherung befreien den Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen von seiner Lohnfortzahlungspflicht.
Worauf ist bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu achten?
Bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses sollten immer die geltenden Fristen und Regeln beachtet werden, die sich je nach Fall – beispielsweise Probezeit, Schwangerschaft oder Militärdienst – stark unterscheiden. Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen – im häufigsten Fall durch ordentliche Kündigung, aber auch durch Zeitlauf, Tod des Arbeitnehmers, oder auch durch im Gesetz nicht besonders geregelte Aufhebungsvereinbarungen – birgt in der Praxis oft arbeitsrechtliche Fallstricke, die mit erheblichen Kosten verbunden sein können, namentlich weil diese formell falsch oder missbräuchlich erfolgt ist.
Für eine ausserordentliche beziehungsweise fristlose Kündigung müssen wichtige Gründe vorliegen. Solche liegen dann vor, wenn extreme Verstösse gegen den Arbeitsvertrag passieren oder das Vertrauensverhältnis derart gestört wird, dass eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar erscheint. Liegen nur leichtere Verstösse vor, kann der wichtige Grund in der Summierung solcher Vorfälle liegen, wenn im Voraus eine entsprechende Verwarnung ausgesprochen wurde. Ob ein wichtiger Grund gegeben ist, wird im Streitfall durch das Gericht geprüft.
Wie ist der Rechtsweg bei Arbeitskonflikten?
Arbeitsverhältnisse können verschiedene Konflikte auslösen, beispielsweise bezüglich des Lohns und der Arbeitszeit, wegen Diskriminierungen oder weil eine Kündigung angefochten wird. Die Gründe sind vielfältig. Die Art der Konfliktlösung hängt einerseits von der Art des Arbeitsverhältnisses (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich), andererseits von der Anzahl betroffener Personen (kollektive oder individuelle Arbeitsstreitigkeiten) ab. Für arbeitsrechtliche Fragen empfiehlt sich daher, sich rechtzeitig von Fachpersonen und spezialisierten Anwältinnen oder Anwälten beraten und begleiten zu lassen. Informationen und weitere Auskünfte hierzu finden sich bei der Geschäftsstelle des Zürcher Anwaltsverbands.