Die Finanzbranche wurde in den letzten Jahren in mehrfacher Hinsicht durchgeschüttelt. Ein Grund war der technologische Wandel. Viele Verantwortliche haben nun ein Auge auf ihre IT-Abteilungen geworfen, um sie leistungsfähiger zu machen und gleichzeitig Kosten zu senken. Dabei bleiben sie aber oft in ihrer alten Welt verankert. Daher lautet die zentrale Frage: Greifen FinTech-Start-ups die Märkte mit ihren Dienstleistungen an?
Die «IFZ FinTech-Studie 2019» der Hochschule Luzern gibt einen umfassenden Überblick über den Zustand und die Entwicklungen im Schweizer FinTech-Sektor. Wir führten dazu ein Interview mit einem der Autoren, Prof. Dr. Thomas Ankenbrand. Welche Rolle spielt FinTech in der Schweizer Wirtschaft, genauer gesagt in der Finanzbranche?
FinTech ist wichtig für die Schweiz. Der FinTech-Sektor ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Ende 2018 zählte die Schweiz 356 FinTech-Unternehmen, was einer Wachstumsrate von 62 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.
Das sind ja beeindruckende Zahlen. Solch ein Wachstum birgt aber auch Gefahren wie eine Hype-Blase?
Das kann erst in ein paar Jahren beurteilt werden. Aber wie sich anhand der steigenden Anzahl Mitarbeitender und der Kapitalisierung der Unternehmen zeigt, ist der Sektor auch reifer geworden. Konträr ist hingegen die Entwicklung im traditionellen Finanzsektor, wo die Anzahl von Institutionen und Mitarbeitern abnimmt. Das Jahr 2018 war auch ein gutes Jahr in Bezug auf das Venture-Capital-Investitionsvolumen im auch viele KMU-Verantwortliche sich sehr intensiv um das Thema gekümmert.
Wie sieht die Situation im Vergleich zu anderen Staaten aus?
Wir haben ein Hub Ranking ermittelt, welches sich auf Städte bezieht. Die Schweiz hat hier mit Genf und Zürich zwei Städte unter den ersten zehn. Und die liegen noch vor London, Amsterdam oder Hongkong. Nur Singapur ist klar besser aufgestellt. Man muss aber hier vorsichtig argumentieren. Da es beispielsweise nicht darum geht, wie viele erfolgreiche Unternehmen im Markt sind, sondern um die Rahmenbedingungen. Auch sind die Abstände teilweise sehr eng.
Und aus welchen Gründen steht die Schweiz hier besser da?
Unser Talent-Pool ist im internationalen Vergleich gut. Wir haben in der Schweiz viele Unternehmen im B2B-Bereich mit innovativen Produkten, die erfolgreich und weltweit andere Unternehmen beliefern.
Der Export ist top und was macht der inländische Markt?
Die Korrelation kann nicht automatisch hergestellt werden. Wir exportieren einige Produkte, die im inländischen Markt nicht zum Zug kommen. Des Weiteren ist der Schweizer Markt für viele FinTech-Geschäftsmodelle im B2C-Bereich zu klein.
In welchen Bereichen agieren die Fin- Techs? Gab und gibt es hier Schwerpunkte?
Wir unterscheiden zwischen sechs Produktfeldern, in welchen FinTech-Unternehmen
aktiv sind, nämlich Analytics, Banking Infrastructure, Deposit & Lending, Distributed Ledger Technology, Investment Management und Payment. Das am Anfang angesprochene signifikante Wachstum wurde im Jahr 2018 hauptsächlich von FinTech-Unternehmen im Bereich der Distributed Ledger Technology (Blockchain) getragen, deren Zahl sich mehr als verdreifacht hat. Die jährlichen Wachstumsraten der anderen fünf Produktbereiche liegen
zwischen 17 Prozent (Banking Infrastructure) und 38 Prozent (Payment). Von den insgesamt 356 Unternehmen sind 122 im Bereich Distributed Ledger Technology tätig, 66 im Bereich Investment Management, 56 im Bereich Banking Infrastructure, 42 im Bereich Deposit & Lending, 36 im Bereich Payment und 34 im Bereich Analytics.
Vor wenigen Jahren gab es um FinTechs einen regelrechten Hype. Was ist davon
in der Realität angekommen?
Sehr viel und in allen Bereichen etwas. So können Sie heute mit der Uhr bezahlen und es gibt, getrieben durch die Digitalisierung und im speziellen durch die Blockchain- Technologie, neue Finanzierungsmöglichkeiten, auch für KMU, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Einer der zentralen These Ihrer Studie lautet, Fin ist lokal, aber Tech ist global.
Was für eine zentrale Argumentationsfigur steht hier dahinter?
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der FinTech-Studie 2019 ist, dass globale Innovationen
FinTech-Unternehmen vorantreiben. In den FinTech-Geschäftsbereichen lässt sich ein gewisses Muster erkennen. Die Tech-getriebenen FinTech-Unternehmen, namentlich in den Bereichen Distributed Ledger Technology (zum Beispiel Blockchain) und Analytics, sind
hauptsächlich international orientiert. Die finanzgetriebenen FinTech-Unternehmen wie jene aus den Bereichen Deposit & Lending (Crowdfunding) oder Payment fokussieren sich hingegen verstärkt auf den Binnenmarkt. Dieses Muster lässt sich bei den hiesigen sowie auch bei den internationalen FinTech-Unternehmen erkennen.
Welche strategischen Ziele sollten bei den Akteuren im Vordergrund stehen?
Die Ziele der technologischen Innovation in der Finanzindustrie sollten höhere Volumen,
tiefere Kosten und / oder tiefere Risiken für die Unternehmung und einen höheren Nutzen und / oder tiefere Kosten für den Kunden sein. Dabei sind gut durchdachte Geschäftsmodelle und deren sinnvolle Implementierung weitaus wichtiger als der Einsatz aussergewöhnlicher Technologien. Die Finanzindustrie braucht Lösungen, welche nachvollziehbar und akkurat sind. Hier ergeben sich Chancen für den Innovationsstandort
Schweiz.
Klassische Banken haben aktuell viele Herausforderungen zu bewältigen. Schwieriges Zinsumfeld, Regulierungsvorschriften, Preiskämpfe im Firmenkundengeschäft sind nur drei Stichworte. Die FinTechs sind auch eine Herausforderung, da Dienstleistungen hier gefährdet sind. Sind klassische Banken wirklich gefährdet?
Die traditionellen Banken sind unter Druck. Sie haben einige Stichworte erwähnt. Obwohl nicht erwartet wird, dass die Banken von FinTech-Unternehmen verdrängt werden, werden die neuen Technologien aber einen Teil der Dienstleistungen und Prozesse von traditionellen Banken übernehmen, sofern sich die Banken nicht rechtzeitig dagegen wappnen.
Welche Punkte betrifft dies genau?
Es betrifft die ganze Wertschöpfungskette der Banken. Zwei Beispiele für den Zahlungsverkehr sind UBER oder AirBnB, wo der Zahlungsprozess, eine Finanzdienstleistung, komplett integriert ist. Im Anlagegeschäft sind es Robo Advisor, welche Anlagedienstleistungen preiswerter anbieten und den Banken somit Erträge wegnehmen.
Es geht folglich nicht nur um den Aufund Ausbau von digitalen Services für Kunden? Passt das Bild vom früheren Dickschiff einer klassischen Bank, das jetzt einer Flotte von Schnellbooten weichen muss.
Mit solchen Bildern kommt man oft nicht weiter, da ja auch einige traditionelle Banken beim Thema FinTech sehr erfolgreich sind. Die Gewinner der technologischen Innovation sind Unternehmen, welche die richtigen Teams und die passende Kultur haben, um neue Technologien schneller und konsequenter implementieren zu können.
Sie haben es erwähnt. In den letzten Jahren haben einige Banken reagiert und junge FinTechs unter ihre Fittiche genommen oder selber welche gegründet. Wie schätzen Sie diese Entwicklungen ein?
Es passiert da immer noch zu wenig. Schauen Sie sich mal an, wie Firmen in anderen Branchen Forschung und Entwicklung betreiben. Da hinkt die Finanzbranche hinterher.
Welche Rolle spielen neue Technologien wie Blockchain und welchen Stellenwert
wird sie in den nächsten Jahren einnehmen?
Blockchain ist einfach formuliert eine Datenbanktechnologie, welche neue Anwendungen ermöglicht. Gerade in Kombination mit Künstlicher Intelligenz werden wir da in Zukunft viel Interessantes sehen, und die Schweiz wird hoffentlich mit dem Crypto Valley an vorderster Front dabei sein.
Kryptowährungen sind ein umstrittenes Feld und grossen Schwankungen unterworfen. Welche Rolle werden Kryptowährungen in den nächsten Jahren in
der Schweiz spielen?
Ich hege nicht die Erwartung, dass Kryptowährungen den Schweizer Franken ablösen. Aber als Produktions- und Kompetenzstandort von Kryptowährungen und Kryptoassets kann sich die Schweiz sehr wohl etablieren.