Es gibt zahlreiche Gründe, warum Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden nicht an einem Bürotisch am Sitz des Arbeitgebers arbeiten lassen: von der Reduzierung der Bürofläche über die internationale Marktbearbeitung bis hin zu den individuellen Bedürfnissen der zunehmend mobileren Fachkräfte.

Werden bei der Arbeit Staatsgrenzen überschritten, gelten andere Gesetze und Regeln. Teilweise werden sie untereinander koordiniert, in vielen Fällen jedoch nicht. Herauszufinden, ob es gemeinsame Regeln gibt und welche davon anwendbar sind, und welche Prozesse es in Folge abzuwickeln gilt, ist eine unterschätzte Herausforderung.

Es gibt zwei Möglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen: die Vogel-Strauss Strategie oder eine gründliche Analyse, aus der ein betriebliches Regelwerk entsteht, das die individuellen Bedürfnisse und die Risikobereitschaft des Unternehmens abbildet. Das mag nicht besonders attraktiv klingen, Haftungsfälle sind es jedoch auch nicht.

Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten gilt es, in Bezug auf personelle Fragen vier
Themen zu beachten: Arbeitsbewilligung, Arbeitsrecht, Steuern und Sozialversicherungen. Jedes Thema für sich bietet eigene Knacknüsse. So kann es sein, dass in einem Bereich eine Lösung optimal wäre, die sich aber auf andere Bereiche negativ auswirkt oder diesen widerspricht. Hier beginnt das Gestalten einer Lösung – eine spannende Reise, die erhebliche Ressourcen fordern kann.

RISK MANAGEMENT UND SOCIAL SECURITY
In den folgenden Beispielen aus unserer Beratungspraxis konzentrieren wir uns
hauptsächlich auf die sozialversicherungsrechtlichen Aspekte. Für den Arbeitgeber sind diese wichtig, weil er für die korrekte Abrechnung von Lohn und Sozialversicherungen verantwortlich ist und in den meisten Ländern einen Teil der Kosten zu tragen hat. Wichtig sind sie jedoch auch, weil Sozialversicherungsleistungen finanzielle Risiken abdecken, für die ansonsten der Arbeitgeber verantwortlich ist. Somit hat die soziale Sicherheit sowohl finanziell als auch moralisch einen hohen Stellenwert. Das gilt insbesondere für die Arbeitnehmenden. Für sie geht es um ihre persönlich Vorsorge, nicht nur während, sondern auch nach der erwerbstätigen Lebensphase.

Nicht zuletzt aufgrund der Organhaftung, aber auch im Hinblick auf die Unternehmensreputation ist die Risikobewertung in Bezug auf grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse Chefsache.

BEISPIELFÄLLE DER FIKTIVEN «SCHWEIZ AG»
Die Schweiz AG ist ein fiktives Unternehmen mit Sitz in der Schweiz. Sie sieht sich zunehmend damit konfrontiert, dass Mitarbeitende teilweise im Ausland arbeiten. Nachfolgend drei Beispielfälle.

FALL 1 – GRENZGÄNGER MIT HOMEOFFICE
Urs ist liechtensteinischer Staatsangehöriger und wohnt in seinem Heimatstaat. Zu
Beginn seiner Anstellung pendelte er meist in die Schweiz. Alle paar Wochen besucht
er zudem Kunden in Deutschland. Die Schweiz AG rechnet Urs’ Lohn in der Schweiz nach Schweizer Recht ab. In den letzten Jahren hat Urs immer öfter im Homeoffice in Vaduz gearbeitet.

Vorliegend ist das EFTA-Übereinkommen und somit die VO 883/2004 anwendbar
für den Sachverhalt zwischen Liechtenstein und der Schweiz. Dieses sieht vor, dass die
sozialversicherungsrechtliche Unterstellung in den Wohnstaat fällt, wenn der Mitarbeitende 25 Prozent oder mehr dort erwerbstätig ist. Da Urs immer öfter im Homeoffice arbeitet, wird dieser Schwellenwert nun überschritten. Die Schweiz AG muss sich demnach in Liechtenstein registrieren und Urs’ Lohn nach lokalem Recht abrechnen. Für die Tätigkeit in der Schweiz braucht er eine Bescheinigung A1, die ihn von der Beitragspflicht in der
Schweiz entbindet.

Urs hat gelesen, dass es ein neues Rahmenabkommen gibt, mit dem bis zu 49.9Prozent Homeoffice möglich ist, ohne dass sich die sozialversicherungsrechtliche Unterstellung ändert. Tatsächlich kann bei Anwendbarkeit des Rahmenabkommens ein «Opt-in» erfolgen, mit dem die Unterstellung im Sitzstaat des Arbeitgebers bleibt. In Urs’ Fall ist dieses aber nicht anwendbar, da er auch noch regelmässig in Deutschland tätig ist. Für diese Reisen untersteht Urs ebenfalls der VO 883/2004, da die EU- und die EWR-Staaten, zu denen
auch Liechtenstein gehört (nicht aber die Schweiz), deren Anwendung untereinander in der VO 1231/2010 vereinbart haben. Somit wird auch dieser Teil in Liechtenstein abzurechnen sein.

In Folge muss Urs’ Arbeitsvertrag angepasst werden. Dieser erwähnt die gesetzlichen
Leistungen der Schweizer Sozialversicherungen und das Reglement der beruflichen
Vorsorge als integralen Bestandteil. Da Urs nun nicht mehr dem Schweizer Sozialversicherungssystem unterliegt, sind diese vertraglichen Vereinbarungen nicht
mehr eingehalten. Darüber hinaus sollte geprüft werden, welche Bestimmungen des
liechtensteinischen Arbeitsrechts zwingend auf Urs anwendbar sind und wo sich der
Gerichtsstand für arbeitsrechtliche Streitigkeiten befindet.

WEITERE HINWEISE FÜR GRENZGÄNGER
Ausländische Staatsangehörige, die in der Schweiz arbeiten möchten, benötigen eine
Arbeitsbewilligung. Bei Grenzgängern handelt es sich in der Regel um eine Grenzgänger-Bewilligung. Fällt die Anzahl an Pendelbewegungen unter ein gewisses Niveau, können Grenzgänger-Bewilligungen entzogen werden.

Steuerrechtlich gelten je nach Staat jeweils eigene Grenzgängerabkommen. Die Definitionen von echten und unechten Grenzgängern sind je nach Abkommen unterschiedlich und haben zur Folge, dass der Schweizer Arbeitgeber mehr oder weniger
Quellensteuern abrechnen muss. Obwohl es sich um die Einkommenssteuer des Mitarbeitenden handelt, ist der Arbeitgeber für die korrekte Abrechnung und Zahlung haftbar.

FALL 2 – WORKATION
Sabine aus der Payroll-Abteilung ist Schweizerin und wohnt in Zürich. Sie liebt Paris und hat dort einige gute Freunde. Sie plant, den nächsten Sommer dort zu verbringen und vier Monate lang aus dem «Homeoffice» in der Wohnung ihrer Freunde zu arbeiten. Als moderner Arbeitgeber möchte die Schweiz AG ihr diese Möglichkeit bieten.

Normalerweise ist eine Entsendung in solchen Fällen nicht möglich, da sie nicht im Interesse des Arbeitgebers liegt. Seit dem 1.Juli 2023 ist es unter Anwendung der VO
883 / 2004 möglich, eine «Workation-Entsendung» für maximal 24Monate einzurichten. Der Arbeitgeber kann ein A1 für Entsendung beantragen und Sabines Lohn in den vier Monaten nach Schweizer Recht abrechnen.

Sabines Arbeitskollegin Mandy ist begeistert von dieser Idee und möchte es Sabine gleichtun. Sie lebt seit Jahren in der Schweiz, ist jedoch US-Amerikanerin.
Daher fällt sie nicht unter die Anwendbarkeit der VO 883/2004, eine Workation- Entsendung ist somit für sie nicht möglich.

WEITERE WICHTIGE HINWEISE FÜR WORKATION
Auch bei Workation im ausländischen «Homeoffice», sei es in einer Ferienwohnung, einem Hotelzimmer oder zu Hause bei der Familie, sind die Mitarbeitenden in einem anderen Staat erwerbstätig. Dies bedeutet, dass sie möglicherweise eine Arbeitsbewilligung benötigen, je nach Dauer der Workation steuerpflichtig werden und zwingende lokale arbeitsrechtliche
Bestimmungen einhalten müssen.

FALL 3 – GLOBAL CEO
Die norwegische Muttergesellschaft der Schweiz AG plant eine Neustrukturierung des Konzerns. Kirsten, die derzeit die Rolle des Global CEO innehat, wird künftig die Tochtergesellschaft in der Schweiz leiten, wo sie auch angestellt wird. Sie ist Deutsche und zieht für ihre neue Stelle in die Schweiz. Ihre Arbeitszeit teilt sich wie folgt auf: etwa 60Prozent in der Schweiz, rund 20Prozent vor Ort bei der norwegischen Muttergesellschaft und die restlichen 20 Prozent in den weiteren Ländergesellschaften in der EU.

Aufgrund Kirstens Staatsangehörigkeit sind die Tätigkeiten in der Schweiz sowie
in allen EU-Ländern unter Anwendbarkeit der VO 883/2004 zu koordinieren. Diese Tätigkeiten machen 80Prozent ihrer Gesamtarbeitszeit aus, wobei 75Prozent davon
auf die Schweiz entfallen (60 von 80Prozent). Dieser Anteil des Lohns wird nach Schweizer Recht mit den Schweizer Institutionen abgerechnet. Für den norwegischen Anteil ist die VO 883/2004 nicht anwendbar, da es sich um einen EFTA-Staat handelt und Kirsten eine EU-Staatsangehörigkeit besitzt. Das Länderabkommen zwischen der Schweiz und Norwegen ist ebenfalls nicht anwendbar, da es bei Mehrfachtätigkeit nur für Staatsangehörige der beiden Vertragsstaaten gilt. Somit gilt in beiden Ländern das jeweilige nationale Recht. Sollte sich dadurch eine Doppelunterstellung ergeben, kann geprüft werden, ob nach jeweiligem nationalem Recht eine Beitragsbefreiung beantragt werden kann, um die Doppelbelastung zu verhindern.

WEITERE WICHTIGE HINWEISE FÜR LEITENDE ANGESTELLTE
Haben Mitarbeitende eine leitende Funktion oder Entscheidungskompetenzen (beispielsweise auch eine Unterschriftsberechtigung) und üben diese in einem anderen Staat aus, besteht das Risiko, eine steuerliche Betriebsstätte zu begründen. Hierbei gelten
nationale rechtliche Bestimmungen, die von Land zu Land unterschiedlich sein können.

FAZIT
Die globale Arbeitswelt stellt Arbeitgebende und ihre Organe vor zahlreiche Herausforderungen, insbesondere die Verantwortung, eine korrekte Versicherungssituation sicherzustellen. Bei Feststellen einer Falschunterstellung drohen Nachzahlungen und Sanktionen. Finanziell und moralisch noch schwerwiegender sind jedoch Risikofälle, für die aufgrund einer Falschunterstellung keine Leistungen ausgerichtet werden.

Eine abschliessende Koordination ist nur möglich, wenn ein vollständiger und korrekter Überblick über den Sachverhalt vorliegt. Dies beinhaltet nicht nur die Tätigkeiten eines Mitarbeitenden im eigenen Unternehmen, sondern alle Erwerbstätigkeiten dieser Person. Es ist wichtig, die relevanten Informationen zusammenzustellen, auszuwerten und regelmässig zu überprüfen, da Veränderungen im Sachverhalt eine Anpassung des Set-ups
erfordern können. Bei internationaler Geschäftstätigkeit sollte daher zusätzlicher Aufwand in Form von Zeit, Arbeit und Geld einkalkuliert werden.

Myriam Minnig ist Leiterin Sozialversicherungen und Vorsorge sosec bei BDO Schweiz. Sie betreut seit über 25 Jahren Betriebe in den Bereichen Finanzen, Lohn und Personal und unterrichtet in Lehrgängen und Seminaren. Seit 2018 arbeitet sie bei BDO und berät Unternehmen und Personen im Bereich Sozialversicherungen und Vorsorge. Dazu gehören schwergewichtig auch grenzüberschreitende Sachverhalte.

www.bdo.ch/sosec