Künstliche Intelligenz hat einen grossen Einfluss auf die Zeit in der Corona-Krise, aber auch nach der Krise ist sie sehr hilfreich. Krisen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass es nicht weitergeht wie zuvor. Hat die momentane Situation einen Einfluss auf den Einsatz von KI?
Wir sehen aktuell einen Anstieg der Akzeptanz; ihr Einsatz wird im Westen durch Corona deutlich steigen und von der Gesellschaft weitaus positiver gesehen werden als bisher. In Asien hat KI sowieso kein Akzeptanzproblem. Die gerade erst entwickelte Corona- Warnapp hatten sich bereits Anfang August über 16 Millionen Bundesbürger runtergeladen, das sind rund 25 Prozent aller Menschen mit einem Handy. Die Datenspende- App-Ladezahlen des RKI zeigen ebenfalls deutlich, dass Menschen bereit sind, persönliche Daten für einen aus ihrer Sicht guten Zweck zu teilen.
Parallel forschen viele Firmen und wissenschaftliche Institute weltweit an Medikamenten und Impfstoffen gegen das Coronavirus, und lassen sich von KI unterstützen. Chatbots wirken im Gesundheitswesen und geben für Normalbürger erste Diagnoseüberblicke darüber, ob man erkrankt sein könnte oder nicht. Mehr und mehr Menschen kommen also freiwillig mit KI in Kontakt.
Das Team um Claudia Bünte hat ausserdem beobachtet, dass zwei KI-Algorithmen, eine im Westen und eine in China, früher als Experten erkannt haben, dass es in Krankenhäusern in Wuhan zu ungewöhnlich vielen Lungenkrankheiten kam – sie hätten also als Frühindikator genutzt werden können. KI kann helfen, Unternehmen in Zeiten von Corona zu unterstützen. Das geschieht aktuell in zwei Richtungen: beim Eindämmen der Ausgaben und beim weiteren Übernehmen von automatisierbaren Prozessen.
Ausgabenreduktion
In Krisenzeiten wird in Firmen vieles knapp, vor allem das Geld. Dadurch steigt der
Druck, noch effizienter mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen. Ausgabenreduktion ist eine typische Reaktion, um kurzfristig genügend Cashflow im Unternehmen zu halten. Wir sehen zum Beispiel, dass bestimmte, auch gesunde Unternehmen ihre Produktwerbung bis auf Weiteres eingestellt hatten, so etwa Coca-Cola. Google prüfte, wie die Ausgaben für Marketing und Vertrieb reduziert werden können. Und die Lufthansa hat diese Woche erklärt, 20’000 ihrer Mitarbeiter entlassen zu müssen.
Langfristig suchen Unternehmen aber auch nach Möglichkeiten, kostspielige, notwendige Ausgaben zu reduzieren. Hier kann der Einsatz von KI helfen: Wer bisher noch kein Programatic Adbuying im Marketing hatte, wird jetzt schnell versuchen, den Mediaeinkauf über entsprechende Tools zu optimieren. Wer Mitarbeiter bisher damit beschäftigte, jeden Werbetext für jedes Produkt im eigenen Onlineshop zu texten, wird vielleicht Anbieter ausprobieren, die Texte automatisiert erstellen. Wer bisher Werbetexte online mit A / B-Tests auf ihre Wirksamkeit hin überprüft hat, testet jetzt vielleicht lieber gleich mit KI. Oder er beginnt, KI zu nutzen, um die gesamte bisherige Marktforschung zu reanalysieren.
Automatisierte Prozesse
Bei der Übernahme automatisierter Prozesse unterstützt KI Unternehmen generell
dort, wo viele Daten erhoben und analysiert werden. Denn das kann eine KI deutlich
besser und schneller als Menschen. Das geht entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens. Angefangen von der optimierten Preis- und Kaufzeitpunktanalyse für Rohmaterialien über die Qualitätssicherung durch optische Inspektion in der Produktion, die dabei hilft, Fehler und Prozesse zu analysieren und zu optimieren, bis hin zu KI-gestützter Energieversorgung ganzer Fabriken. KI kann den Ausfall oder das nächste Wartungsintervall der Maschinen vorhersagen, das nennt man «predictive maintenance». Ausserdem übernimmt KI Teile der Produktion, unterstützt die Verkaufsabteilung und die Werbemassnahmen durch ein besseres Kundenverständnis und bucht automatisch Werbeplätze ein. Eine KI kann auch Kundeninteraktionen via Chatbot oder Avatar unterstützen und die Performance der Marketingausgaben analysieren und optimieren.
Grundsätzlich sollte das Ziel aber immer sein, KI als ein Werkzeug zu betrachten, das hilft, die Leistung des Unternehmens zu verbessern, und nicht, um menschliche Arbeit zu ersetzen.
Auch KI hat Grenzen
Es gibt zwei Grenzen: Daten müssen überhaupt vorhanden sein und es braucht die Erlaubnis, diese Daten zu analysieren. Denn KI braucht massig Daten, um zu lernen
und besser zu werden. Ohne Daten geht es nicht. Das ist aktuell auch der Grund,
warum es noch keine sinnvollen KI-Tools zur Strategieentwicklung gibt, denn dafür müssten Millionen Unternehmen ihre zukünftige Strategie veröffentlichen – und das
tut natürlich kein Unternehmen freiwillig. Die DSGVO begrenzt in Europa bewusst
die Möglichkeit, Daten zu analysieren mit dem Ziel, einen hohen persönlichen Datenschutz zu gewährleisten. Die Corona-Krise und die diskutierte Tracking-App zeigen, dass es eine feine Linie ist zwischen dem persönlichen Recht auf Schutz der eigenen Daten und dem Nutzen für die Gesellschaft, wenn Daten geteilt werden dürfen.
Ersatz oder Unterstützung?
Viele Menschen fürchten, durch die Automatisierung oder den Einsatz von KI ihren Job zu verlieren. Andere vertrauen darauf, dass neue Technologien eher unterstützend eingesetzt werden. Beides hat seine Berechtigung. Verschiedene globale Studien gehen davon aus, dass in Summe über alle Industriezweige hinweg die Arbeit für Menschen insgesamt kaum weniger wird, sich aber umschichten wird. An der SRH in Berlin wurden dazu Studien durchgeführt, die folgende Annahmen unterstützen: Für die meisten Unternehmen wird sich KI eher so entwickeln, dass «nur» Teilaufgaben wegfallen, beispielsweise das Bildersuchen bei Grafikern und Grafikerinnen. Dabei sind auch Aufgaben, zu denen man nicht wirklich Lust hat. 72 Prozent der Befragten unserer Studie unter Marketingmanagern und -managerinnen sagen beispielsweise, dass die KI ihnen helfen wird, «lästige Routineaufgaben» abzugeben. Das klingt doch gut.
Wie immer, wenn es neue Technologien gibt, entstehen auch neue Aufgaben für Menschen. Wir beobachten das heute schon in China, wo KI unter anderem im Marketing breit eingesetzt wird. Das Ergebnis ist, dass Konsumierende anspruchsvoller werden und immer bessere und individuellere Angebote der Marken erwarten. Wer da nicht mithält, verliert Kunden und Kundinnen. Für die Firmen heisst das, immer schneller passende Produkte und Services zu entwickeln. Also auf der einen Seite eine Ersparnis von Routinearbeiten durch KI, auf der anderen Seite mehr neue Aufgaben durch anspruchsvollere Konsumierende.
Wirtschaftliche Massnahmen
Corona wird allen Vorhersagen nach die Wirtschaft in eine Rezession ziehen, die einige Monate bis Jahre andauern wird. Und wir haben auch schon ohne Corona in Europa ein paar Herausforderungen für die Wirtschaft in den nächsten zehn bis 20 Jahren, allen voran der «War of Talents» durch eine zunehmende Überalterung der Gesellschaft sowie die Digitalisierung der Wirtschaft. Viele Unternehmen, aber nicht alle (Stichwort Online-Handel) werden jetzt gezwungenermassen aktiv werden müssen: Aus neuem, finanziellem Mangel durch Corona oder der Not heraus, für gute Mitarbeitende attraktiv zu werden. Und das auch noch in einem Umfeld, in dem Konsumierende nicht unbedingt mehr konsumieren wollen als vor der Krise. Die Digitalisierung sollte nicht als eine weitere Aufgabe für Unternehmen gesehen werden, die gelöst werden muss, sondern als Hilfsmittel für eine mögliche Lösung.
Wir haben die Wahl. Es geht um unsere Haltung: Wir können uns in Europa die Digitalisierung ansehen und feststellen, dass das Glas halb voll oder halb leer ist.
Wenn unsere Haltung ist, wir würden alle arbeitslos, ist das Glas halb leer und wird vermutlich auch völlig leer werden. Dann werden uns andere Regionen zeigen, wie man in einer digitalen Welt wirtschaftet und Kunden gewinnt. Oder wir entscheiden uns dafür, uns das Wasserglas mit Interesse anzusehen und festzustellen, dass wir zwar viele Dinge anpassen müssen in der Art, wie wir arbeiten, aber dass auch Potenzial in einem halb vollen Wasserglas ist. Dabei kann durchaus ein volles Wasserglas mit neuen, vielleicht sogar interessanteren Aufgaben statt lästigen Routinen entstehen. Für Letzteres braucht es mehrere Elemente: den unternehmerischen Mut, unbekannte Tools auszuprobieren – also weg von «Das haben wir noch nie gemacht». Den Willen, mit Partnern und Mitarbeitenden zu arbeiten, die aus dem Bereich der Data Science kommen. Und ein Projektmanagement,
das nachverfolgt, wie die einzelnen Meilensteine erreicht werden. Eine weltweite Studie von McKinsey zu KI kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass viele Unternehmen KI für wichtig halten, aber die meisten in der Pilotierungsphase stecken bleiben. Daher scheint es wichtig, KI wie jedes neue Werkzeug auszuprobieren und den Erfolg eng zu managen.
www.srh-hochschule-berlin.de
www.kaiserscholle.com