Was können Unternehmen tun, um Innovationen in einer frühen Phase zu vermarkten? Vor allem, wenn Kunden noch keine Erfahrung mit der jeweiligen Innovation machen konnten? Der Beitrag beleuchtet, welche Schritte und Methoden helfen, Unsicherheit abzubauen und die richtige Positionierung vorzunehmen.
Durch die digitale Transformation wird bis 2025 in Europa eine industrielle Bruttowertschöpfung von geschätzten 1.42 Billionen CHF erzielt (Bloching et al., 2015). Dabei geht es um Themen wie AI (Artificial Intelligence), Big Data, Blockchain, Cloud Devices, Internet of Things, Smart Devices oder Social Media. Und in diesen Bereichen innovieren viele Unternehmen aktuell – oder werden es tun. Diese Innovationen müssen auch verständlich und wirksam vermarktet werden. Vor allem, wenn potenzielle Kunden noch gar keine Erfahrung mit einer spezifischen Innovation machen konnten. Deshalb müssen Unternehmen die Bedürfnisse und Verhaltensweisen potenzieller Nutzer kennen und modellieren können – und dabei Erkenntnisse der Entscheidungsforschung nutzen, um erfolgreich zu sein.
Es ist unerlässlich für den Unternehmenserfolg, nahe an Kunden sein zu können, diese zu verstehen, um damit besser vermarkten und verkaufen zu können (zum Beispiel Accenture, 2015). Dies ist prinzipiell unabhängig davon, ob es sich um Produkte, Dienstleistungen oder neue Geschäftsmodelle handelt. Deshalb haben Kundenerfahrungen («customer experience») im Zeitverlauf der sogennanten Ccustomer Journey (Kundenreise) in vielen Unternehmen
oberste Priorität. Dies ist deshalb in den Fokus gerückt, weil Kunden mittlerweile unzählige Berührungspunkte («touch points») besitzen, um mit Unternehmen zu interagieren oder sich zu informieren respektive Eindrücke zu verschaffen. Die Customer Experience ist dabei ein mehrdimensionales wirtschaftspsychologisches Konstrukt, das zusammengenommen verschiedene gedankliche, emotionale, sensorische oder verhaltensbasierte Aspekte umfasst (Brakus, Schmitt, & Zarantallo, 2009). Bei einem Produkt könnte das zum Beispiel Folgendes
sein: Hilft mir das neue Produkt bei der Problemlösung? Mache ich positive emotionale Erfahrungen? Sieht das neue Produkt gut aus? Fühlt sich das neue Produkt (im physischen Sinne) gut an? Bei Geschäftsmodellen, die beispielsweise auf neuen Technologien basieren, welche Kunden im eigentlichen Sinne nicht unmittelbar «sehen» oder «spüren», ist dann die Customer Experience schon schwieriger zu erfassen. Aber diese ist wichtig, weil stimmige und positive Erfahrungen die Wahrnehmung und damit den Unternehmenserfolg signifikant beeinflussen. Das macht sogar 30 Prozent der Marktkapitalisierung der Standard & Poor’s 500 Firmen aus (Larkin, 2013). Wo liegt jedoch die Herausforderung bei Innovationen –
vor allem dann, wenn sie sich in einer frühen Phase befinden?
Die Phasen in der Costumer Journey
Die sogenannte Customer Experience wird in der Forschung als Reise (daher: Customer Journey) konzipiert, auf die sich Kunden über die Zeit hinweg mit einem Unternehmen begeben. Dabei sammeln Kunden eine Menge von Erfahrungen in einem dynamischen Prozess. Dieser Prozess besteht im Kern aus drei Phasen sowie die zugehörigen Feedbackschlaufen (Lemon & Verhoef, 2016):
1. Pre-Kauf (engl. prepurchase):
Diese Phase umfasst alle Interaktionen mit einer Marke (Produkt, Dienstleistung, Technologie), bevor man sich final entschliesst, Kunde zu werden. Dies geschieht zum Beispiel durch Suchen im Internet oder durch Austausch in Foren oder durch Orientierung in Unternehmen vor Ort. Das bildet die Basis. Hier wird der Weg für den Kauf geebnet – oder eben nicht.
2. Kauf (engl. purchase):
Klassisch beinhaltet die zweite Phase die Auswahl, die Bestellung und die Bezahlung – offline oder online – und die dabei gemachten Erfahrungen mit den verschiedenen Touch Points.
3. Post-Kauf (engl. postpurchase):
Die dritte Phase beinhaltet sowohl Nutzung als auch Konsum oder auch Serviceanfragen. Das Produkt, die Dienstleistung oder die Technologie als solche bilden dann vor allem den
Touch Point.
Unsicherheit bei wenig Erfahrung
Die Fähigkeit, Innovationen zu vermarkten, die sich in einer frühen Phase – zum Beispiel
einer neuen Technologie – befinden, ist offensichtlich ein kritisches Kernelement für Fortschritt und Wachstum (Gruber, MacMillan, & Thompson, 2013). Im Zusammenhang mit der Pre-Kaufphase wird mehrheitlich implizit angenommen, dass Kunden vor dem Kauf aktiv recherchieren oder sich kundig machen. Das ist aber eben nicht immer der Fall. Vor allem nicht, wenn es sich um Innovationen handelt, die fundamental neu und daher noch weitestgehend unbekannt am Markt sind. Deshalb werden sie auch oft noch nicht verstanden. Man weiss noch nicht genau, in welchem Markt die Innovation genau platziert werden kann. Vor allem dann, wenn Innovationen plattformbasiert sind oder es sich um technologische Neuerungen handelt, die nicht in einem spezifischen Produkt münden, sondern eine Reihe von Anwendungsmöglichkeiten bieten. Zum Beispiel hat eine Forschergruppe der Harvard University eine Metalinse hergestellt, die das gesamte sichtbare Lichtspektrum korrekt brechen kann. Dies klingt auf den ersten Blick vielleicht nicht sehr spannend, ist aber hoch interessant. Diese Innovation kann sowohl Smart Phones, Kameras, Mikroskope oder VR-Brillen signifikant optimieren (Khorasaninejad et al., 2016). Patentiert ist die Metalinse bereits
– aber die Platzierung noch nicht klar und ein mögliches Produkt noch nicht eingeführt.
Innovation und Psychologie
Aber wie können nicht vorhandene Erfahrungen und damit die Black Box in der Customer Journey umgangen werden? Es ist nicht zu empfehlen, sich umfänglich an Bisherigem zu orientieren, da etablierte Strategien sich häufig nicht auf Innovationen anwenden lassen. Deshalb müssen sich Unternehmen direkt an der besten Informationsquelle ausrichten: ihre Kunden. Um Innovationen erfolgreich vorzunehmen und positionieren zu können, werden drei psychologische Elemente aus wirtschaftspsychologischer Sicht zur Messung bei potenziellen Zielgruppen empfohlen (zum Beispiel Heilmann, 2018):
1. Eigen-Analyse: Wie wird die Innovation von aussen – von den Zielgruppen – wahrgenommen? Für welche Werte und Attribute steht dort die Innovation? Wodurch begeistert die Innovation aktuelle und potenzielle Zielgruppen?
2. Kundenbedürfnisse: Welche funktionalen und emotionalen Bedürfnisse sind für die Zielgruppen – und damit für die Ausgestaltung und Vermarktung der Innovation – relevant?
3. Megatrends: Welche Umweltbedingungen und gesellschaftlichen Megatrends sind für die Zielgruppen – und damit für die Innovation – relevant?
Natürlich sind diese drei Aspekte hier verkürzt dargestellt. Nichtsdestotrotz: Alle drei Elemente lassen sich mittels präziser, quantitativer, wirtschaftspsychologischer Verfahren erfassen und für Unternehmen modellieren (Predictive Analytics). Und solche Daten sind sehr genau. Sie dienen dann dazu, eine richtige Positionierung in Strategie und Umsetzung mit erhöhter Erfolgswahrscheinlichkeit vornehmen zu können. Es ist in diesem Zusammenhang
zweitranging, ob zukünftigen Kunden allfällige Parameter noch nicht hinlänglich bekannt sind. Denn wir wissen aus der Verhaltensökonomie (behavioral economics), dass Kunden nicht durchweg logisch oder rational entscheiden oder alle Informationen bis in das letzte Detail benötigen. Sehr oft wird nach sogenannten Heuristiken entschieden (Gigerenzer, 2008). Solche Heuristiken sind oft genutzte Faustregeln, die wir Menschen verwenden, um zu einem Urteil zu gelangen. Heuristiken sind in vielen Fällen effektiv – selbst wenn rein rational noch nicht alle Informationen zur Entscheidung vorhanden sind und ökonomisch gewichtet wurden.
Wenn Unternehmen Innovationen planen oder entwickeln, dann müssen sie sich damit also nicht im Dunkeln bewegen. Es gibt die Möglichkeit, Daten für die verständliche und wirksame Vermarktung zu generieren. Mit diesen Analysen und Daten besitzen Unternehmen dann aber
bereits präzise Anhaltspunkte, um das Marketing und den Verkauf – und damit die Customer Journey – sinnvoll auf strategischer und operativer Ebene planen und umsetzen zu können.
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