Der Häuserbau wird immer technischer. Immer mehr, mal mehr, mal weniger sinnvolle Spielereien werden in die eigenen vier Wände eingebaut. Doch ist dies alles nötig? Und hebt das nicht auch die Kosten? Den Verbrauch?
Wer heute Häuser baut, liefert den künftigen Bewohnern mehr als ein Dach über dem Kopf. Tatsächlich sind Wohnhäuser mittlerweile regelrechte Technikzentren, die für Komfort und Klimaschutz gleichermassen sorgen sollen. Im Neubau dominiert dabei die Wärmetechnik: In Einfamilienhäusern sorgen Wärmepumpe, Fussbodenheizung, Heizkreisverteilungen, Pumpen, Regler, die mit Wettervorhersage arbeiten, Warmwasserboiler und Warmwasserzirkulationen für teuren Komfort. Diese Technik schlägt beim Bau mit etwa 30’000 bis 35’000 Euro Kosten zu Buche, die Energiekosten für Heizung und Warmwasser liegen im Betrieb später in einem Einfamilienhaus bei ungefähr 800 Euro jährlich. Tendenz: stark sinkend. Aufwand und Nutzen stehen in keinem Verhältnis mehr. Vom Keller bis zum Dachboden ist Technik der Taktgeber unseres Wohnalltags geworden – ob wir sie wirklich brauchen oder nicht. Die immer besser gedämmten Gebäudehüllen beim Neubau bei immer milderen Wintern führen nämlich dazu, dass kontinuierlich weniger Heizwärme benötigt wird. Mit anderen Worten: Das Heizen verliert beim Wohnen an Bedeutung, das Kühlen hingegen wird wichtiger. Doch eine Kilowattstunde zur Kälteerzeugung ist drei Mal teurer als zur Wärmeerzeugung. «Wir stopfen die Häuser heute voll mit Technik, um den Energieverbrauch und damit die Betriebskosten zu senken», sagt Timo Leukefeld, DiplomIngenieur, Unternehmer, Keynote Speaker und Honorarprofessor für das Thema Energieautarke Gebäude in Freiberg und Glauchau. «Die hoch gedämmten Gebäude benötigen kontrollierte Be- und Entlüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung. Hinzu kommt eine komplexe Gebäudeautomatisation, die durch smartes Wohnen weiter fortschreitet. Doch diese Technik ist nicht nur komfortabel, sondern auch kostenintensiv. Die dritte Miete für Kosten und Instandhaltung der Technik zeichnet sich deutlich am Horizont ab.»
Kosten für dritte Miete übersteigen Energiekosten
Fakt ist: Bereits die erste Miete, bekannt als Kaltmiete, ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Bereits heute lebt mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten. Bis 2050 werden es voraussichtlich zwei Drittel sein. Das treibt nicht nur den Bedarf an Wohnraum in die Höhe, sondern auch die klimaschädliche Kohlendioxidproduktion. Denn obwohl Städte weltweit nur drei Prozent der Erdoberfläche einnehmen, werden von ihnen mehr als 70 Prozent der Energie verbraucht. Das macht umweltfreundliches Leben im urbanen Umfeld zwingend erforderlich. Schon jetzt können viele Städte den Bedarf an kostengünstigem umweltfreundlichem Wohnen und finanzierbaren Mieten nicht mehr decken. Auch die zweite Miete, hinter der sich unter anderem die Energiekosten verbergen, steigt. Sie hängt von der Entwicklung der Strom-, Gas- und Ölpreise ab. Angesichts teils schwindender Ressourcen ist hier ein weiterer Anstieg der Kosten zu erwarten. Oberstes Ziel der Gesetzgebung ist daher, den Energiebedarf der Haushalte zu minimieren. Die Energieeinsparverordnung und das regenerative Wärmegesetz sollen dabei helfen. Doch mit den verschiedenen anwendbaren Verfahren hält weitere Technik Einzug ins Gebäude – und damit kommt die dritte Miete ins Spiel: die Kosten für Wartung und Instandhaltung dieser Technik. «Die Kosten für die dritte Miete werden künftig die eingesparten Energiekosten bei Weitem übertreffen. Es kommt zu einem starken Rebound-Effekt», sagt Leukefeld, der Politik, Wirtschaft, Kommunen und Bauherren in Fragen der Zukunftsgestaltung mit Blick auf Energie und Ressourcen berät.
Einfachere, solidere und Weniger Technik
Die Gebäudetechnik ist heute einer der grössten Kostentreiber beim Neubau. Der stark zunehmende Handwerkermangel und mangelnde Innovation bei den einzelnen Gewerken verschärfen die Situation für Hausbesitzer noch, wenn es um Wartung und Instandhaltung geht. Gleichzeitig ist die Haustechnik immer weniger langlebig. Die Sollbruchstellen in den technischen Systemen nehmen zu. Das steigert die Kosten für Reparatur und Erneuerung. Für Leukefeld ergibt sich daraus eine klare Handlungsanweisung: «Wir brauchen beim Bauen einfachere, solidere und weniger Technik. Bezahlbares Wohnen erfordert weniger Technik.» Für den Energiebotschafter der Bundesregierung, der sich auch als Mitglied des Sächsischen Innovationsbeirates sowie der Enquete Kommission «Strategien für eine zukunftsorientierte Technologie- und Innovationspolitik im Freistaat Sachsen» engagiert, liegt in der Enttechnisierung der Schlüssel zu günstigem Wohnraum. Starke Worte aus dem Munde eines Vollbluttechnikers: Als Ingenieur und Handwerker hat Timo Leukefeld selbst viel Technik im Hausbau geplant und eingebaut. Mit der Entwicklung energieautarker Gebäude und neuer Geschäftsmodelle zur Nutzung dieser Gebäude leistete der Freiberger bereits Pionierarbeit auf dem Sektor der Wohnungswirtschaft. So lässt sein Energiekonzept es auch bei Mehrfamilienhäusern zu, Pauschalmieten inklusive einer Energie-Flatrate zu kalkulieren. Für Mieter bedeutet das eine Miete, die ihnen über einen Zeitraum von zehn Jahren zum Fixpreis Wohnen, Wärme, Strom und E-Mobilität garantiert. Mit seiner anachronistisch anmutenden Forderung nach weniger und einfacherer Technik beschreitet er erneut unerschlossenes Terrain. Derzeit forscht er am «enttechnisierten» Haus. Bereits 2020 will Timo Leukefeld mit seinem Pilotprojekt eines weitgehend enttechnisierten Mehrfamilienhauses auf den Markt gehen. Mit mehr als 50 Prozent Energieautarkie wird es nicht nur kostengünstiges Wohnen mit Pauschalmiete und Energieflat bieten, sondern auch wartungsfrei sein. Der Pionier ist sich sicher: «Wir müssen den Mut haben, neu zu denken. Disruption heisst die Unterbrechung des Gewohnten und Neuausrichtung. Wir müssen uns trauen, viel beschworene Techniken infrage zu stellen. Manchmal ist weniger mehr – zum Beispiel beim Erschaffen von bezahlbarem und dennoch klimafreundlichem Wohnraum.» Zeit zur Zäsur.
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