Um das Thema Blockchain herrscht immer noch viel Aufklärungsbedarf. Allerdings gibt es bereits vorzeigbare Praxisbeispiele. So haben Schweizer Unternehmen, Universitäten und Behörden den Verein cardossier gegründet. Der Verein entwickelt, orchestriert und betreibt die cardossier-Plattform, die den Lebenszyklus eines Fahrzeugs auf einer Blockchain digital abbildet. Wir führten unter anderem dazu ein Hintergrundgespräch mit Peter Gassmann, dem Chief Consulting Officer bei AdNovum.
Bei Blockchain handelt es sich um ein Boomthema. Viele Leserinnen und Leser verbinden es zudem mit dem Hype und auch dem Abschwung von Kryptowährungen. Wo sehen Sie realistische Einsatzmöglichkeiten?
Zunächst muss man unterscheiden zwischen Kryptowährungen und anderen digitalen Wertabbildungen einerseits und der Technologie Blockchain andererseits, bei der es um die Digitalisierung von Daten und Prozessen geht. AdNovum fokussiert sich dabei auf den Businessbereich.
Um was geht es dabei?
Es geht insbesondere um Projekte, an denen mehrere Parteien beteiligt sind, die zu unterschiedlichen Zeiten gemeinsame Daten verändern. Die Beteiligten können jederzeit den vollständigen aktuellen Stand der Daten einsehen. Wir bezeichnen dies als «Single Point of Truth». Das ist auch eine Herausforderung. Denn jede Partei will den gesamten Datensatz bei sich haben. Zudem sollen private Daten, die als Ergänzung zu sehen sind, mit einfliessen, aber nicht mit den anderen Parteien geteilt werden. Die Technologie muss auch diese Anforderung unterstützen. Das Spannende an der Blockchain for Business ist, dass man sofort sieht, wer wo was verändert hat.
Bei der Blockchain geht es um Transparenz und Sicherheit bei Prozessen?
Transparenz ist ein wichtiges Thema. Aber auch Vertrauen ist ein ganz zentrales Stichwort. Vertraue ich meinem Businesspartner, dass die Daten, die ich habe, auch dem Zustand des Geschäfts entsprechen?
Das klingt interessant, hat aber auch Hürden. Transaktionen können nicht
rückgängig gemacht werden, und die Daten werden auch auf unternehmensfremden Servern oder / und in der Cloud abgelegt.
Ja, das ist ein wichtiger Punkt und passt zu dem soeben angesprochenen Thema des Vertrauens. Das zentrale Momentum einer Blockchain besteht darin, dass Daten zunächst nicht mehr verändert werden können. Hier besteht eine weitere Herausforderung im Kontext des Datenschutzes, genauer der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Sie verankert das Recht auf Vergessen. Ausserdem können Fehler passieren. Blockchain- Lösungen müssen daher Korrektur-Transaktionen ermöglichen.
Warum kann man nicht auch ein privates Netzwerk als Alternative zur Blockchain entwickeln?
Das ist durchaus eine Alternative. Das hat aber in erster Linie wenig mit der Technik zu tun, sondern vielmehr mit der Frage, ob das private Netzwerk die Anforderungen erfüllt. Zum Beispiel ob die Daten wie bei einer Blockchain auf mehrere Knoten verteilt sind, was ein klarer Vorteil bezüglich Ausfallsicherheit ist.
Leidet nicht die IT-Infrastruktur unter den Datenmengen bei den BlockchainTransaktionen?
Ohne Frage ist die Blockchain als eine verteilte und sich ständig synchronisierende Datenbank energetisch aufwendiger als eine zentrale Datenbank. Gewisse Blockchains für Businesslösungen sychronisieren bereits heute selektiver: Es geht dann nur um die Daten von zwei Partnern, die an der Transaktion beteiligt sind und sie kennen müssen. Dadurch wird man effizienter. Es gibt aber ein Missverständnis, das ich an dieser Stelle ausräumen will.
Ich bitte darum …
Bei den Kryptowährungen wird durch das Mining viel Energie verschwendet. Das ist bei der Blockchain for Business nicht der Fall, weil sie andere Algorithmen einsetzt.
Blockchain-Anwendungen agieren als globales Netzwerk. Nationale rechtliche Rahmen sehen da ziemlich veraltet aus. Da kommen Fragen auf. Wer ist zum Beispiel bei einer Insolvenz im Zweifelsfall haftbar? Sehen Sie hier Lösungswege?
Bei Kryptowährungen, die auch den privaten Bereich betreffen, ist die Situation sehr
komplex. Im Business-Bereich geht die Lösung in Richtung eines Trägervereins, der einen juristischen Sitz hat. In der Folge sind wir wieder im bekannten Umfeld.
Für welche Unternehmen gibt es einen konkreten Mehrwert? Welche Marktpotenziale hat die Blockchain? Bleibt es nicht eine Nische für IT-Freaks?
Wir gehen davon aus, dass sich die Blockchain in den nächsten Jahren zu einer Basistechnologie entwickeln wird. Firmenübergreifend erleben wir die Umsetzung der digitalen Transformation mithilfe der Blockchain-Technologie.
Da lehnen Sie sich aus dem Fenster. Aber das Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) hat ja schon vor über zwei Jahren ein Blockchain-Manifest publiziert.
Es wird verschiedene Plattformen geben, durchaus auch mit verschiedenen Technologien gebaut. Das Zusammenspiel dieser Plattformen ist eine weitere Herausforderung. Das Internet entwickelt sich so weiter. Wir haben es deshalb mit allem anderen als einem Nischenthema zu tun.
Lassen Sie uns zu einem konkreten Branchenbeispiel kommen. Ihr Haus hat mit anderen Unternehmen den Verein cardossier geründet. Es geht dabei um eine Blockchain für die Automobilbranche. Die Mitglieder betreiben eine Plattform, die den Lebenszyklus eines Fahrzeugs auf einer Blockchain digital abbildet. Wo liegt hier der Vorteil für die unterschiedlichen Beteiligten?
Es geht um das gesamte Umfeld des Fahrzeugs. Hier gibt es die unterschiedlichsten
Player, beispielsweise den Hersteller, den Importeur, die Versicherung, die Garage oder den Käufer. Nicht zu vergessen die Ämter. Alle diese Beteiligten wollen dieselben Daten sehen – womit wir wieder beim Stichwort «Single Point of Truth» sind. Genau hier liegen klare und greifbare Vorteile: Synchronisationen, Mehrfacherfassungen und Korrekturen entfallen, die Prozesse laufen schneller, Fehler werden reduziert. Ein weiterer Hauptvorteil ist die deutlich höhere Transparenz, durch die by the way schwarze Schafe der Branche unter Druck geraten.
Es geht um einen schweizweiten Standard für Datenaustausch und Zusammenarbeit in der Automobilbranche. Da müssen Sie sicher noch einige Player überzeugen?
Richtig. Es geht aber nicht um eine exklusive Geschichte in diesem Ökosystem, sondern darum, dass sich alle Player an diesem Ökosystem beteiligen. Eine Vereinsgründung wie cardossier ermöglicht hier einen Rahmen, der rechtliche und operative Sicherheit schafft.
Wo stehen wir in drei Jahren beim Thema Blockchain, und welche Rolle wird AdNovum in diesem Rahmen spielen? Sie sind ja von Haus aus ein klassischer Sicherheitsanbieter. Wie kommen diese Geschäftsmodelle zusammen?
Wir sehen uns in einer Pionierrolle. Wir wollen den Nutzen und die Einsatzszenarien von neuen Technologien verstehen, um die Businessmodelle unserer Kunden optimal zu unterstützen. Unsere ersten Erfahrungen, die wir nun bereits in einer Produktplattform umsetzen, werden uns befähigen, weitere anspruchsvolle Projekte anzugehen. Last but not least wird der Wert der Daten in den Blockchains zunehmen und Sicherheit dadurch zu einem kritischen Faktor machen. Hier schliesst sich der Kreis zu unseren Security-Dienstleistungen.