Wie Claudia ihre Stimme fand und sich Gehör verschaffte
Autorin: Helena De Maertelaere
Foto: Simone Lombard
Es war ein typischer Montagabend, als Claudia in mein Studio kam. Sie war eine beeindruckende Frau, Mitte 30, mit glänzendem Haar und einem professionellen Auftreten. Doch die Spannung in ihren Schultern und die Unsicherheit in ihren Augen verrieten sofort, dass sie mit etwas zu kämpfen hatte. «Ich werde auf meiner Arbeit nicht ernst genommen», begann sie, ihre sanfte Stimme kaum hörbar. Claudia erzählte, dass sie in einer renommierten Unternehmensberatung arbeitete und trotz ihrer herausragenden Fähigkeiten immer wieder übergangen wurde. In Meetings bekam sie eine piepsige Stimme, die ihre Kollegen nicht zu erreichen schien.
Als Vocal Coach ist es meine Aufgabe, Menschen wie Claudia zu helfen, ihre stimmlichen Hürden zu meistern und ihre natürliche Präsenz zu entfalten. Ich hörte aufmerksam zu und stellte viele Fragen zu ihrer Persönlichkeit, ihrer Umgebung und ihren Unsicherheiten. Mit jeder Antwort entspannte sich Claudia mehr. Doch das zugeschnürte Geräusch in ihrem Hals blieb.
«Weisst du», begann ich, «die Stimme verrät viel: ob wir müde, gesund, glücklich, ausgeglichen oder krank sind. Sie ist wie ein Fingerabdruck.» Claudia nickte nachdenklich.
«Menschen schenken einer Person Aufmerksamkeit, die mit Überzeugung und Resonanz spricht, die den Raum füllt, ohne zu schreien.» Ich erklärte ihr, dass der erste Schritt ist, sich dessen bewusst zu werden. «Atme ich richtig? Klingt meine Stimme kraftvoll? Angenehm?» Claudia sah mich an, als würde ihr zum ersten Mal klar werden, wie sehr diese Fragen auf sie zutrafen.
Wir besprachen die Bedeutung von Emotionen, Tempo und Pausen in ihrem Sprechen. Eine gut platzierte Unterbrechung strahlt Kraft und Selbstbewusstsein aus. «Du musst lernen, deine Stimme zu nutzen, um deine Leidenschaft, Überzeugung und Begeisterung zu vermitteln.»
«Hey!», rief ich resonant, um ihr die Übung vorzumachen. Claudia schaute mich etwas verwirrt an und flüsterte das Wort nach, als hätte sie Angst, es könnte sie jemand hören. «Nochmal», ermutigte ich sie, «diesmal voller!» Sie versuchte es erneut und begann zu lachen, bis ihr Bauch wehtat. «Das ist normal», sagte ich, «lach ruhig weiter.» Ich wies darauf hin, wie schön und voll ihr Lachen im Vergleich zu ihrer Sprechstimme klang. Überrascht liess sie das «Hey» mehrmals über ihre Lippen fliessen. Wir liefen durch den Raum und ihre schwarzen Locken sprangen auf ihre Schultern, während sie immer lauter wurde.
Als ich sie fragte, wie sie sich fühlte, sagte sie: «Befreit.»