Nicht selten gibt das Fest des Friedens und der Freude Anlass zu Ärger, Streitereien und Verdruss. Hohe Erwartungen brechen sich an Realitäten von Gereiztheit und Unvollkommenheiten. Spannungsgeladene familiäre oder betriebliche Zusammentreffen verursachen Verkrampfungen und schlagen auf die Stimmung. Genau mit solchen explosiven und konfliktträchtigen Ausgangslagen beschäftigte sich der US-amerikanische Psychologe Marshall B. Rosenberg in verschiedenen Kontexten und entwickelte als Ergebnis das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation, kurz GFK. Es ermöglicht wertschätzende und verbindende Kommunikation. GFK basiert auf zwei Grundannahmen, die in ihrer Verbindung eine neue Haltung ergeben und Basis einer empathischen Kommunikation sind:
- Jeder Mensch möchte grundsätzlich im Guten mit sich und seinen Mitmenschen verbunden sein.
- Jeder Mensch gibt in jeder Situation das ihr oder ihm zur Verfügung stehende Beste.
Daraus folgt die Erkenntnis, dass nicht alles Verhalten mir gegenüber auch mit mir zu tun hat. Es ist vor allem Ausdruck der jeweiligen Verfassung des Gegenübers und ihres oder seines generellen Verhaltens-Repertoires. Sprich: Ein beleidigter Blick, aggressiver Unterton oder cholerischer Ausbruch signalisiert, für jemanden ist die vorliegende Situation gerade so schwierig oder bedrohlich, – oder das Konfliktrepertoire ist so schmal –, dass das gezeigte Verhalten das gerade Bestmögliche ist. Diese Sichtweise erlaubt, sich nicht angegriffen zu fühlen und auf eine eskalierende Gegenreaktion zu verzichten. Stattdessen richtet sich die interessierte Aufmerksamkeit auf die offensichtlich schwierige Situation des Gegenübers.
Umgekehrt hängt auch das eigene Verhalten vor allem vom eigenen Gemütszustand ab: Wenn jemand zehn Minuten vor Beginn einer Feier verabredet ist und das Gegenüber zu spät kommt, gibt es zwei Varianten. Variante 1: Die wartende Person ist sauer, weil sie noch etwas besprechen wollte oder sich unwohl fühlt, allein herumzustehen. Variante 2: Die wartende Person ist in der Zwischenzeit unerwartet von jemandem angesprochen worden und die Zeit ist wie im Fluge vergangen. Je nachdem ist die wartende Person verärgert oder euphorisch zur Begrüssung ihres Gegenübers, unabhängig vom Faktum des Zuspätkommens.
Daher rät Rosenberg in heiklen Situationen zur Konzentration auf die Fakten und die reine Feststellung, was passiert: «Du kommst spät», anstelle eines vorwurfsvollen: «Schon wieder hast Du mich versetzt!». Hierin verbirgt sich die erste von zwei basalen Vorgehensweisen gewaltfreier Kommunikation: Anstelle von Bewertungen äussere man Beobachtungen. Die Formulierung, jemand hätte einen versetzt, unterstellt eine Absicht, die möglicherweise nicht vorliegt, aber – situationslogisch – eine abwehrende Reaktion provozieren könnte: der Beginn einer Eskalation.
Das Beschränken auf konkrete Fakten unter Verzicht auf Interpretationen, Bewertungen und Vorwürfe ist dabei kein leichtes Unterfangen, sondern braucht Übung und Augenmerk. Eigene Befindlichkeiten und Gefühle beinhaltet Rosenbergs Konzept als wichtige Frage an sich selbst: Wie fühle ich mich? Und warum? Welches meiner Bedürfnisse ist im Moment – unabhängig vom aktuellen Gegenüber – vielleicht gerade nicht erfüllt?
Gefühle und Bedürfnisse an die Stelle von Forderungen zu stellen, ist die zweite basale Vorgehensweise der GFK. In einer heiklen Situation Eskalationen und -unschöne Bescherungen zu vermeiden, gelingt, wenn wir beobachten anstatt zu bewerten, uns bewusst sind, dass das Verhalten des Gegenübers das gerade Bestmögliche ist und wir uns der eigenen Gefühle und Bedürfnisse bewusst werden, um auf der Basis gegenseitigen Verständnisses neue Lösungen zu finden. Frohes Fest!