Bereits einfach implementierbare Massnahmen zur Auflösung von Spannungsfeldern können die interdisziplinäre Zusammenarbeit in Innovationsprojekten fördern und verbessern. Der folgende Beitrag thematisiert die Ergebnisse aus einer empirischen Untersuchung der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) in Schweizer KMU.
Innovative Unternehmen bearbeiten Innovationsprojekte aufgrund der hohen Komplexität oft in interdisziplinären Teams. Diese bestehen dabei aus Experten verschiedener Disziplinen und Fachgruppen, welche unterschiedliche Kompetenzen und Perspektiven einbringen. Dadurch ergeben sich in der praktischen Unternehmensrealität oft Spannungsfelder bei der interdisziplinären Zusammenarbeit im Rahmen von KMU.
Spannungsfelder in drei Ebenen
Handlungsmöglichkeiten zur Auflösung von Spannungsfeldern in der interdisziplinären Teamarbeit lassen sich in drei Ebenen darstellen. Basierend auf dem aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand wurden diese Spannungsfelder gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Schweizer KMU ausgearbeitet.
Epistemische und organisatorische Herausforderungen sind sowohl vor dem Start der Projektarbeit, beispielsweise bei der Wahl der Projektleitung und beim Bilden der Teams, als auch während der Teamarbeit zu finden – zum Beispiel bei der Suche nach einer gemeinsamen Vorgehensweise, bei der Projektdefinition oder bei Kommunikationsprozessen.
Auf kommunikativ-psychologischer Ebene können personenbezogene Faktoren, zwischenmenschliche Beziehungen und kulturelle Konflikte zu Spannungen führen. Dabei stellen kommunikative Herausforderungen, unterschiedliche Ausbildungshintergründe, abweichende Ziele und weitere Unterschiede zwischen den Disziplinen hohe Hürden dar. In weiterer Folge sind Innovationsprojekte gefährdet.
Auf institutioneller Ebene ist die interdisziplinäre Teamarbeit in ein institutionelles Wissenschaftssystem eingebettet. Auch wenn dies Herausforderungen für die Teamarbeit mit sich bringt, können diese nicht auf Teamebene beeinflusst werden. Weiterentwicklungen in diesem Bereich bedingen Lösungen auf bildungs- und forschungspolitscher Ebene.
Strukturen und Optionen
Bei der vorliegenden Untersuchung in innovativen Schweizer KMU wurden in diesen drei Ebenen die Spannungsfelder, Erfolgsfaktoren und Lösungsansätze erhoben.
Auf der Ebene der Organisation geht es um Kultur und Werte, Projektleitung und Managementfähigkeiten, Auswahl der Teams, Methodik und Kommunikationsprozesse.
Unter der kommunikativ-psychologischen Ebene werden personenbezogene Faktoren und kulturelle Konflikte, zwischenmenschliche Beziehungen, Kommunikation und Perspektivenwechsel, unterschiedlicher Ausbildungshintergrund und Unterschiede zwischen den Disziplinen verstanden.
Auf der institutionellen Ebene geht es um Zusammenarbeit mit Forschungsinstitutionen, Wissensmanagement und die disziplinäre Ausbildung.
Diese Erkenntnisse wurden in Kombination mit den einzelnen Phasen des Innovationsprozesses betrachtet. Dabei konnte festgestellt werden, dass interdisziplinäre Teamarbeit in allen Phasen des Innovationsprozesses essenziell ist. Auch weisen einzelne Teilaspekte der interdisziplinären Teamarbeit in den einzelnen Teilphasen des Innovationsprozesses keine spezifische Bedeutung auf, sondern haben über den gesamten Innovationsprozess hinweg eine generische Bedeutung.
Die Bearbeitung der Ebenen mündete in Handlungsoptionen. Sie deckten folgende Felder ab: Gruppengrösse, Skillmatrix, Teamverträge, Meetings, Workdates, Weiterbildung, IT-Know-how, Stage-Tage und individuelle Vertiefungsmöglichkeiten.
Sechs Handlungsempfehlungen
Springen wir von der Struktur in die Praxis und füllen die Stichworte mit Inhalt. Dazu liefern wir Kernzitate.
Bereits mit einfachen Massnahmen kann ein guter Einstieg in die Förderung interdisziplinärer Teamarbeit gefunden werden. Die nachfolgenden Handlungsempfehlungen sind breit anwendbar und unabhängig von individuellen Unternehmensgegebenheiten. Es handelt sich um Empfehlungen basierend auf den Erfahrungen aus dem Unternehmensalltag von Führungskräften aus zehn Schweizer KMU, welche mittels persönlichen Interviews befragt wurden.
Gruppengrösse
«Je mehr Personen es sind, desto schwerer wird es.» (anonymes Zitat aus der Branche stationärer Pflegedienstleistungen)
Eine erfolgreiche interdisziplinäre Teamarbeit profitiert von der Bildung kleinerer Gruppen. Idealerweise sollten Unternehmen Teams mit maximal sechs Personen, inklusive Teamleader, bilden.
Skillmatrix
«[…] ist es wichtig, dass sie geeignete Mitglieder für das interdisziplinäre Team finden, die sich in ihren Kompetenzen gut ergänzen […].» (Andreas Missy, Chief of Staff, Santhera Pharmaceuticals)
Dank einer «Skillmatrix» können schnell und übersichtlich die richtigen Mitarbeitenden für Projekte gefunden werden. In der «Skillmatrix», auch Qualifikationsmatrix genannt, kann übersichtlich visualisiert werden, ob und wie ausgeprägt Qualifikationen für die Anforderungen der Aufgabe vorhanden sind. Dies ermöglicht einen Überblick über die individuellen Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Dazu zählen neben fachlichen Qualifikationen auch Erfahrungen in fachübergreifender Zusammenarbeit und ausserfachliche Kompetenzen.
«Durch die Skillmatrix hat man dann genau eine Übersicht, um die richtigen Entscheidungen anhand des Know-hows zu treffen […]. [P]ro Bereich sind diese Skillmatrizes natürlich sehr wichtige Führungsinstrumente […].» (Adrian Steiner, CEO, Thermoplan)
Teamverträge
Ein klarer Antrag, Planung und Start verhindern potenzielle Probleme im Vorfeld. Durch einen Teamvertrag können klare Funktionsprofile, Zuständigkeiten sowie Teamwerte und -ziele definiert werden. Diese werden bereits bei Projektstart von allen Teammitgliedern verbindlich gutgeheissen. Ein Teamvertrag kann in verschiedenen Formen aufgesetzt werden, beispielsweise auch in Form eines Pflichten- oder Aufgabenheftes.
«Ich glaube, das steht und fällt auch mit dem Pflichtenheft oder auch Aufgabenheft, was der Rahmen der Entwicklung beinhaltet und was nicht. Und wenn es ausserhalb des Rahmens ist, dann gibt es einen Zusatzantrag, dann kann man das so einreichen. Aber je besser man sich organisiert, desto weniger Konflikte gibt es.» (Adrian Steiner, CEO, Thermoplan)
Teammeetings und Workdates
Die zwischenmenschliche Beziehung in interdisziplinären Teams ist ein entscheidender Erfolgsfaktor. Besonders wichtig sind der regelmässige Austausch und die soziale Teamentwicklung. Unternehmen sollten daher regelmässige Teammeetings durchführen. Persönliche Beziehungen können durch (virtuelle) Workdates gestärkt werden. Bei einem Workdate können Teammitglieder für einen Austausch vernetzt werden. Dieser Austausch ist nicht nur inhaltlich, sondern auch zwischenmenschlich sehr wertvoll.
«[R]egelmässige Meetings wären natürlich sehr gut. Dann hätten alle denselben Wissensstand. Alle würden über die wichtigsten Dinge informiert werden. Aber seit Corona findet gar nichts mehr von dem statt. Also, ich denke, es wäre einfach sehr wichtig, dass man wieder mehr auf Kommunikation achten würde. Mehr auf das Befinden der Mitarbeiter, mehr Gleichheit im Team. Das wäre schön.» (anonymes Zitat aus der Branche stationärer Pflegedienstleistungen)
Weiterbildung und IT-Know-how
«Auf jeden Fall steht bei uns der Mensch im Mittelpunkt. Was jedoch nicht bedeutet, dass diese Personen nicht gut ausgebildet sein müssen. Aber Ausbildung ist nicht alles. Ich denke wir haben einen sehr guten Mix aus hoher Sozialkompetenz, Erfahrung und Know-how durch Weiterbildung, der in die Firma kommt.» (José Lopez, Leiter Verkauf & Marketing, HRM Systems AG)
Ein guter Mix aus Erfahrung und Know-how wirkt sich positiv auf die interdisziplinäre Teamarbeit aus. Dies kann durch Förderung von Weiterbildungen unterstützt werden. Ebenfalls fördert dies die persönliche Entwicklung der Teammitglieder. Digitale Tools sind ein essenzieller Bestandteil der heutigen Zusammenarbeit. Für einen effizienten Umgang sollten Unternehmen IT-Know-how fördern.
Stage-Tage
«Ursprünglich haben wir das für neue Leute gemacht, um ihnen einen Einblick geben zu können, wie die verschiedenen Abteilungen zusammenspielen. Das hat dann aber bei den bestehenden Mitarbeitenden plötzlich Neugierde geweckt – im Sinne von «ich arbeite schon mehrere Jahre in dieser Firma und weiss eigentlich gar nicht so genau, was ihr macht». Und dann hat sich nun ein guter Mix ergeben und das hat wirklich geholfen. Das berühmte Rad, das dreht und was dreht alles mit und wofür das alles gut ist. Diese Abteilungseinblicke machen wir jetzt zwei Mal pro Jahr.» (José Lopez, Leiter Verkauf & Marketing, HRM Systems AG)
Die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel kann als Grundlage für eine erfolgreiche interdisziplinäre Teamarbeit verstanden werden. Es geht nicht um die vollständige Übernahme der anderen Perspektive. Vielmehr geht es darum, den Wissensstand des Kommunikationspartners abschätzen zu können. Durch das Angebot von Stage-Tagen wird den Mitarbeitenden der Einblick in andere Bereiche der Unternehmung ermöglicht. Stage-Tage sind somit Aufenthalte zur weiterführenden Ausbildung und sollen einen Einblick in eine andere Funktion ermöglichen. Dies fördert den Perspektivenwechsel und beugt gleichzeitig Abteilungsblindheit vor.
Individuelle Vertiefungsmöglichkeiten
Allgemein anwendbare, funktionale Handlungsempfehlungen bieten einen guten Einstieg in eine erfolgreiche interdisziplinäre Teamarbeit. Auf allen drei Ebenen bieten sich aber auch individuelle, auf die Unternehmung abgestimmte Vertiefungsmöglichkeiten an. Ein wichtiger Bereich konnte in Ergänzung zum aktuellen Forschungsstand identifiziert werden: Kultur und Werte. Erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit ist immer auch eine Frage der Kultur. Die Art und Weise, wie das Verständnis von Zusammenarbeit geprägt und auch gelebt wird, ist dabei zentral.
«Das ist, wie wenn ich eine Truppe auf einem Segelschiff habe und jeder hat das Gefühl, Norden ist woanders. Dann wird es schwierig. Dann ist das auch Chefsache, dass vorgegeben wird, was das Ziel eigentlich ist. Wo der Fokus liegt und auch das Timing vorgibt, wann müssen wir wo sein. Das hat mit Führung und Leadership zu tun, aber auch mit Motivation und der Fähigkeit, etwas aufzunehmen und sich weiterzuentwickeln.» (André Bernard, CEO, matriq AG)
Kurzes Fazit
Einig sind sich alle Interview-Partner darin, dass ein gutes Bewusstsein für interdisziplinäre Teamarbeit für die Innovationsfähigkeit einer Unternehmung zentral ist. Probleme liessen sich bereichsübergreifend viel einfacher und zielführender lösen. Ausserdem sei die Akzeptanz solcher Problemlösungen in der gesamten Unternehmung viel höher. Trotz dieses Bewusstseins hat die Studie gezeigt, dass Spannungsfelder in allen befragten Unternehmen regelmässig auftauchen. Geeignete Problemlösungsstrategien zur Auflösung sind jedoch selten in den Unternehmen fest verankert. Die gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass einfache Massnahmen bereits erheblich dazu beitragen können, die Spannungsfelder zu reduzieren. Dadurch kann die Effektivität der interdisziplinären Zusammenarbeit bei Innovationsaktivitäten erhöht werden.
Zur Studie
Die Erkenntnisse basieren auf Interviews mit zehn innovativen Schweizer Unternehmen. Die Zahl der Mitarbeitenden dieser Unternehmen liegt zwischen 12 und 426. Die Studie wurde an der Fernfachhochschule (FFHS) im Rahmen eines wissenschaftlichen Praxisprojektes des berufsbegleitenden Masterstudienganges MSc Business Administration mit Vertiefung Innovation Management durchgeführt.
Teilnehmende Unternehmen
Thermoplan, Maschinenbau, 426 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
HRM Systems AG, wirtschaftliche Dienstleistungen für Unternehmen, 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Santhera Pharmaceuticals (Switzerland) Ltd., pharmazeutische Erzeugnisse, 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
matriq AG, chemische Erzeugnisse, 12 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Anonymes Unternehmen, Pflegeheime, 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Anonymes Unternehmen, wirtschaftliche Dienstleistungen für Unternehmen, 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Anonymes Unternehmen, chemische Erzeugnisse, 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Anonymes Unternehmen, Werbung und Marktforschung, 75 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Anonymes Unternehmen, Software, 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Anonymes Unternehmen, Versicherungsdienstleistungen, 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter