Marketingfilme sollen nicht nur erzählen, sie sollen das Publikum fesseln. Das Werkzeug, um das zu erreichen, heisst Storytelling. Durch die Wahl der richtigen Dramaturgie und den Einsatz passender Symboliken lassen sich Emotionen erzeugen. Gelingt dies, prägt sich die Botschaft nachhaltig ein. Die erste Regel im Storytelling heisst: Show, don‘t tell.
Die beiden grundsätzlichen Fragen bei der Entwicklung eines Marketingfilmes lauten «Was will ich erzählen?» und «Wie will ich es erzählen?» Das «Was» wird in der Regel von den Marketing verantwortlichen bestimmt. Im Zentrum der Kommunikationsmassnahmen kann eine Marke, ein Unternehmen, ein Produkt, eine Person oder eine Dienstleistung stehen.
Dann stellt sich die Frage, wie zum Beispiel ein Produkt in Szene gesetzt wird. Und damit sind wir beim Punkt Storytelling angekommen. Die einfachste Art ist, das Produkt zu zeigen und zu erklären, was es macht. Auf diese Art wird man beim Publikum aber keine Emotionen auslösen. Aufwendiger, aber effektiver ist es, das Produkt nach dramaturgischen Richtlinien in eine Geschichte einzubetten und so in Szene zu setzen.
Dramaturgie ist die Lehre der Auswahl und Anordnung erzählerischer Mittel zur Darstellung einer Geschichte. Die vier Elemente einer Geschichte sind Handlung, Figuren, Erzählraum und Zeit. Dramaturgie ist darauf ausgerichtet, in jedem Moment der Geschichte spezifische
Wirkungen beim Zuschauer zu erzielen. Die dramaturgische Grundfrage lautet immer: Wie kann eine konkrete Geschichte in möglichst wirkungsvoller und gleichzeitig möglichst verdichteter Weise erzählt werden? Mögliche Wirkungen einer Geschichte sind Vergnügen, Erkenntnis, Komik, Spannung oder Emotion.
Die ersten dramaturgischen Strukturmodelle stammen aus der Antike und wurden in einfacher Form bereits von Aristoteles definiert. Die bis heute etablierten Modelle sind zum Beispiel das Drei-Akt-Modell mit Einführung, Konfrontation und Auflösung, das Fünf-Akt Modell, das Acht-Sequenzen-Modell oder das Zwölf-Stadien-Modell, besser bekannt
als die sogenannte Heldenreise.
Nun kann man natürlich in einem 90-sekündigen Unternehmensfilm keine vollständige Heldenreise erzählen, aber ein Drei-Akt-Modell ist allemal möglich. Will man in kurzer Zeit viel erzählen, muss man die Geschichte verdichten. Das gelingt, indem man das kollektive
Bewusstsein durch den Einsatz von Symbolen anspricht.
Das Einfachste ist nicht immer das Beste, aber das Beste ist immer einfach. Der auf
Einfachheit ausgerichteten Natur des Gehirns gerecht zu werden, heisst, durchdacht wegzulassen und so lange zu reduzieren, bis alles Überflüssige verschwunden ist. Dabei berücksichtigen Storyteller, welche Geschichten im kollektiven Gedächtnis abgespeichert sind und deshalb weggelassen werden können. Diese «Brain Scripts» rufen Signale auf, die scheinbar Beziehungsloses zu einer sinnvollen Handlung verknüpft.
Beispiel: Ein Kind in Fussballschuhen kommt mit einem Ball unter dem Arm nach Hause. Es macht ein trauriges Gesicht. Nach Deutung der Symbolik können wir davon ausgehen, dass das Kind von einem Fussballspiel kommt und dass sein Team dieses verloren hat. Das schliessen wir aus der Szenerie, ohne eine Sekunde des Spiels gesehen zu haben.
Storytelling heisst, ein Gefühl für Symbolik zu entwickeln, für Zeichensprache, mit der unser Unbewusstes das Komplexe reduziert. Dem Gehirn geht es nicht um Perfektion, sondern um ausreichende Wahrscheinlichkeit. Passend für das Gehirn heisst, genauso präzise zu sein, wie es für einen Handlungsentwurf in einer bestimmten Situation notwendig ist. Dabei greift das Gedächtnis auf Mustervorlagen zurück, die sich bereits
bewährt haben und für einen Abgleich mit den aktuellen Vorschlägen geeignet sind. Es geht um Muster und Codes, die eine bestimmte äussere Form und Wirkung haben
ARCHETYPEN
Symbolik spielt auch eine entscheidende Rolle, wenn es um die Charakterisierung von Figuren geht, die eine Rolle im Film spielen. In alten Erzählungen finden wir die Urbilder, die Archetypen menschlichen Verhaltens. Selbst die fantastischsten Geschichten enthalten immer einen Kern, der auf eine Situation des realen Lebens und damit auf ein menschliches Handlungsmuster hinweist. Es gibt eine unbegrenzte Anzahl an Symbolen, aber nur eine begrenzte Anzahl von Archetypen. Carl Gustav Jung (1875 bis 1961, Schweizer Psychiater, Begründer der analytischen Psychologie) hat deren zwölf definiert: Schöpfer/ in, Herrscher/ in, Weise /r, Unschuldige /r, Entdecker/ in, Rebell / in, Magier/ in, Krieger/ in, Liebende /r, Narr/ Närrin, Normale /r und Beschützer/ in.
Im Storytelling dienen Archetypen dazu, Rollen und Funktionen so zu charakterisieren, dass das Publikum sie schnell erkennt und auf Detailbeschreibungen verzichtet werden kann. Durch die Wiedererkennung überzeitlicher Muster sieht der Betrachter auch Dinge und Verhaltensweisen, die nicht explizit gezeigt werden.
MEHRDIMENSIONALITÄT
Figuren sollten zum einen als Träger des Themas der Geschichte fungieren, zum anderen aber auch eine Eigendynamik besitzen. Protagonist*innen werden spannender, wenn sie sich während der Geschichte vom einen in den anderen Archetypen verwandeln. Das ist in Corporate Movies, die in der Regel zwischen 90 und 150 Sekunden lang sind, eine Herausforderung.
GESCHICHTEN FINDEN
Thematisch gesehen gibt es keine neuen Geschichten mehr. Statt nach Neuem
Ausschau zu halten, knüpft man lieber an Bewährtes an und macht eine passende
Inszenierung. Man bedient sich sogenannter Urthemen und passt diese an.
Quellen für Geschichten sind zum Beispiel die Bibel, Grimms Märchen, die Erzählungen aus 1001 Nacht, Götter- und Heldensagen et cetera. Das sind Sammlungen mündlich tradierter Geschichten. Das heisst, es sind Erzählungen, die den Menschen wichtig genug erschienen sind, um sie weiterzugeben.
Urthemen sind zum Beispiel:
- Wahrheit und Lüge,
- Stärke und Schwäche,
- Treue und Betrug,
- Weisheit und Dummheit
- et cetera.
Zu den Eigenschaften, die ein Urthema erfüllen muss, gehören Überzeitlichkeit und Universalität. Es muss unsere Gefühle und unser Handeln bereits als Kinder oder
Jugendliche geprägt haben.
LOCATIONS, AUSSTATTUNG UND REQUISITEN
Wenn die Geschichte steht, geht es um die konkrete Inszenierung. Location, Ausstattung und Requisiten sind mächtige Werkzeuge mit immensen Wirkungskräften. Jedes noch so unwichtig erscheinende Detail kann eine Symbolik in sich tragen, die der Dramaturgie zuträglich ist oder gegen sie arbeitet. Bedenken Sie: «Man kann nicht nicht kommunizieren.» Jedes Element des Outfits, der Location, jedes Requisit kommuniziert von sich aus. Das ganze Setting muss als Assoziationsfeld verstanden werden, mit all seinen Chancen und Risiken.
All diese Elemente (Handlung, Charaktere, Erzählraum) sind die Zutaten. Bringt man sie in ein optimales Zusammenspiel, entsteht ein schmackhaftes Gericht.
EMPFEHLENSWERTE LITERATUR
«Warum das Gehirn Geschichten liebt»
von Werner T.Fuchs
ISBN: 978-3-648-10250-3
Andy Klossner ist Geschäftsführer der Filmproduktionsfirma Instinct Pictures. Er hat als Regisseur unter anderem Projekte für Peugeot, Ricola oder Oris umgesetzt.