soziales Unternehmertum will gesellschaftliche herausforderungen angehen und Geld verdienen. Da braucht es gleichzeitig herzblut und Professionalität. Das ist nicht einfach. Wir machten uns auf den Weg nach Burgdorf bei Bern zu einem Besuch in der spanischen Weinhalle. Dort gibt es nicht nur eine leckere orientalische Küche, sondern auch eine Galerie, Musikveranstaltungen und lesungen. teile der Belegschaft sind Flüchtlinge. Wie bekommt man solch unterschiedliche herausforderungen unter einen hut?
Wir befinden uns hier in der Spanischen Weinhalle, einem altehrwürdigen Restaurant. Ich sehe hier aber auch Flyer von «Gourmet Kitchen» und «ReichAnKultur». Hier kann man sich offensichtlich nicht nur kulinarisch verwöhnen lassen?
Corinna Hirrle: Ja, es handelt sich hier um einen Gastronomie- und Kulturbetrieb. Wir bieten hier einen Mittagstisch an und abends gibt es aÀ-la-carte-Speisen. Die orientalische Küche steht dabei im Vordergrund. Wir verknüpfen sie aber mit Bioprodukten aus der Region.
Das klingt nach einer wilden Mischung. Kann diese mit einem Beispiel verdeutlicht werden?
Ja, nehmen wir das Lammcurry. Das Fleisch beziehen wir direkt von einem Bauernhof aus dem Emmental und kochen mit orientalischen Gewürzen. Dabei achten wir auf die Stichworte Fair und Bio.
Zudem gibt es hier noch Kulturveranstaltungen in Form von Lesungen und Konzerten.
Genau. Wir betreiben hier eine Galerie, in der im Wechsel verschiedene Künstlerinnen und Künstler ausstellen. Zuletzt stellte hier eine Burgdorfer Künstlerin, Florine Ott, aus, die geflüchtete Menschen vor einem goldenen Hintergrund porträtiert. Das wirkt beinahe ikonenhaft. Die Porträtreihe hat den Titel «Hero», um das Heldenhafte der Fluchtgeschichten zu betonen.
Das ist der umgekehrte Blick, mit dem wir sonst die Flüchtlinge betrachten. Da geht es ja weniger um Helden-, sondern um Bedrohungsbilder.
Dann kann man bei uns Musikveranstaltungen besuchen. Wir versuchen jungen, aber professionellen Musikern / -innen eine Plattform zu bieten, zum Beispiel der Hochschule der Künste Bern. Last but not least veranstalten wir Lesungen.
Gibt es dazu ein Beispiel aus Burgdorf?
Ja, Wilfried Meichtry.
Könnt Ihr ihn kurz vorstellen?
Wilfried Meichtry beschäftigt sich mit historischen Stoffen, die er interpretiert. Sein Stil bewegt sich entlang historischer Fakten und dichterischer Freiheit. Als Autor hat er sich mit seinen viel beachteten Werken wie «Verliebte Feinde – Iris und Peter von Roten», «Hexenplatz und Mörderstein» und der Biografie «Mani Matter» einen Namen gemacht. Wir hatten hier auch schon den irakischen Schriftsteller Usama Al Shahmani mit seinem autobiografischen Buch «In der Fremde sprechen die Bäume arabisch» zu Gast. Dort geht es darum, wie sich Geflüchtete in die Schweizer Arbeitswelt integrieren. Das haben wir aufgegriffen und eine Lesung mit Podiumsdiskussion mit Polikern / -innen aus Burgdorf veranstaltet.
Das passt ja genau in den Arbeitsalltag von «Gourmet Kitchen». Hier arbeiten ja auch einige Geflüchtete.
Ja, die Idee ist hier, für einige geflüchtete Menschen eine Arbeitsperspektive zu bieten, was ja für die Integration in der Gesellschaft ein ganz wichtiger Punkt ist. Das Ziel ist, sie unabhängig von staatlichen Transferleistungen zu machen und in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.
Dabei gibt es sicher einige Zwischenschritte und Stolpersteine?
Ein Praktikum ist ein solcher Zwischenschritt. Die Menschen können auch Teilzeitjobs annehmen, müssen dann aber, wenn sie Überstunden machen, Teile der Gelder wieder zurück an den Staat geben. An dieser Stelle gibt es dann oft Schwierigkeiten.
Wir unterhalten uns hier aber nicht in einer gemeinnützigen Stiftung, sondern in einem Unternehmen.
Richtig. Unser Rahmen ist eine GmbH.
Geld verdienen und gleichzeitig die Welt verbessern – ist das nicht eine Nummer zu gross?
Es gibt ohne Frage grosse Herausforderungen. Aber es geht hier um Business und nicht um eine geschützte Werkstatt.
Wir befinden uns in einem ganz normalen Betrieb …
… und er muss auch funktionieren.
Lasst uns zu den heissen Eisen kommen. Es gibt ja viele Vorurteile gegenüber Flüchtlingen, was Arbeitsdisziplin oder Vorurteile im Geschlechterverhältnis betreffen.
Da gibt es Herausforderungen. Viele Geflüchtete wollen das Geld von der Sozialhilfe beziehen und zusätzlich Schwarzarbeit annehmen. Da müssen wir klare Grenzen ziehen, da hier alles gesetzeskonform zugehen muss.
Können Sie, Herr Hoshank Hirrle, eine Vorbildrolle übernehmen?
Hoshank Hirrle: Ich kann einen Ausbildungsrahmen in der Küche und im Service bieten, bei dem man in den Arbeitsmarkt hineinwachsen kann. Meine eigene Geschichte als Flüchtling und die Integration hier ist dabei sicher von Vorteil. Dabei stellen wir von Anfang an klar, dass es hier um eine Arbeit auf Augenhöhe geht. Wir leben dies auch vor.
Die Arbeit mit Geflüchteten ist sicher auch mit einem gewissen bürokratischen Aufwand verbunden?
Ja, unsere Angestellten fragen uns hier oft um Hilfe an. Allein die korrekte Sprache ist eine Herausforderung.
Jetzt ist bekanntlich Integration eine Herausforderung, die nicht nur von den Geflüchteten, sondern auch von uns, der Mehrheitsgesellschaft, einiges abverlangt. Multikulti hört sich locker an, ist aber in der Praxis oft schwierig.
Corinna Hirrle: Ich will hier den Finger in eine Wunde legen. Oft erleben wir eine Sozialbranche, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Geflüchteten oft in dem Transferstatus belassen wollen.
Eine Bürokratie und ihre Selbsterhaltungsmechanismen. Das ist auch ein weites Feld.
Zudem bekommt man oft von der Sozialhilfe, wenn man im Rahmen des Ausweises B steht, pauschal gesehen mehr wie ein Arbeitgeber in der Gastrobranche und auch anderen Branchen zahlen kann: Zulagen für Verkehr, Deutschkurs, Integrationsleistung, Wohnung, Essenskosten oder Kinderzulagen. Unfair ist, dass Flüchtlinge mit Ausweis F deutlich weniger erhalten.
Das führt dann zu den Vorteilen von Flüchtlingen, die in der «Sozialen Hängematte» liegen würden.
Dass Geflüchtete selten im ersten Arbeitsmarkt Fuss fassen können, liegt aber nicht nur an den Menschen selbst, sondern auch am System der staatlichen Hilfsorganisationen und wie sie sich verstehen.
Und die Flüchtlinge haben die mentalen Herausforderungen, sich von den Sicherheiten, die ja staatliche Transferleistungen garantieren, zu lösen.
Es gilt hier der Satz: «It Takes Two to Tango». Beide Seiten müssen einige Mal ins kalte Wasser springen. Wir versuchen hier, den Betroffenen Mut zu machen und mündig mit ihrem Geld umzugehen.
Ein klassisches Start-up ist exit-orientiert. Es verschafft sich Risikokapital und später wird an einen grossen Player verkauft. Sie setzen auf gesellschaftlichen Mehrwert. Wer investiert in solch ein Modell?
Es gibt bei uns mindestens zwei Antworten. Die erste Antwort bezieht sich auf die Perspektive von Hoshank Hirrle, Kurde aus Syrien und 2014 in die Schweiz geflüchtet. Er kam als Spitzenkoch und Akademiker in die Schweiz und hat ohne jegliche Mittel sich wieder langsam hocharbeiten müssen. Er hat in Kirchengemeinden, internationalen Organisationen und schliesslich sogar im Bundeshaus gekocht. So hat er sich ein Netzwerk aufgebaut, ein professionelles Catering-Unternehmen aufgemacht und ist jetzt hier in der Spanischen Weinhalle. Die zweite Antwort bezieht sich auf den Besitzer. Hier hatten wir schlicht Glück. Er fand unser Konzept gut und hat uns die gesamte Infrastruktur eines gehobenen Restaurants zur Verfügung gestellt und unser Projekt damit gross unterstützt.
Ihr musstet hier nicht gross finanziell investieren?
So ist es. Was die Kultur betrifft, haben wir hier klein und niederschwellig, aber professionell mit Know-how begonnen. Das ist ein Prozess, dabei geht es um Community Building. Kultur und Kulinarik gehören für uns zusammen. Wir versuchen mit viel Mühe und Kreativität, die Altstadt von Burgdorf zu beleben. Dabei geht es uns darum, einen Begegnungsraum zu schaffen. Das stösst dann hier in der Stadt wieder auf offene Ohren.
Wir sehen überall in den Innenstädten die gleichen transnationalen Ketten und die Menschen shoppen im Internet.
Wir setzen dagegen auf regionale Anbieter, auf frisch gekochte Gerichte und verbinden sie mit unserer orientalischen Kochkunst.
Wie sieht es mit den Einwohnern von Burgdorf aus? Gibt es da Ängste?
Berührungsängste gegenüber Neuem schon. Aber das Bürgertum schätzt unser kulturelles Angebot und die hohe orientalische Küche. Wir betreiben hier eben nicht den üblichen Schnellimbiss mit Döner und Falafel. Dass wir mit Produkten vom WochenMarkt kochen, schafft Vertrauen und stösst auf Wohlwollen der Bürger / innen.
Wie kann man solch ein Haus und seine Konzepte bekannter machen? Sie haben ja kein fünfstelliges Marketingbudget zur Verfügung.
Das wichtigste Stichwort heisst hier Vernetzung. Es gilt, das Beziehungsnetz immer engmaschiger zu machen. Ausserdem bieten wir Caterings und Kulturveranstaltungen an. Das bringt ein gegenseitiger Bewerbungseffekt mit.
Sie haben hier aber keinen Job, bei dem man um neun an seinem Schreibtisch ist und um fünf Uhr nachmittags den Laden wieder zumacht. Sie müssen vermutlich schon ganz früh auf dem Markt sein, und abends bei einer Kulturveranstaltung dürfte es auch ziemlich spät werden?
Ja, das geht in Teilen rund um die Uhr. Wir haben aber jetzt einen Sonntag im Monat freigenommen, um wieder etwas Erholungszeit zurückzuerobern.
www.gourmetkitchen.ch
www.reichankultur.ch