Das Thema Whistleblowing ist aktueller denn je. Unternehmen sind faktisch gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Das veranschaulichen aktuelle Fälle, die das
Universitätsspital Zürich, die Lötschbergbahn (BLS), die Radio Télévision Suisse (RTS) oder Wirecard betreffen.
Internes Whistleblowing bietet dem Unternehmen eine Chance. Werden Bedenken zuerst unternehmensintern gemeldet, haben Leitungsorgane eine Chance, darauf zu reagieren. Sie können Missstände beheben, Schaden begrenzen und eine öffentliche Eskalation verhindern. Schafft das Unternehmen keine Möglichkeit zur internen Meldung oder
reagiert nicht angemessen, können die Dinge schnell aus dem Ruder laufen: Bei BLS gab es bis vor Kurzem keine interne Meldestelle. Stattdessen wendete sich der Whistleblower mit Informationen zu Problemen bei der Sanierung des Lötschbergtunnels direkt an die Medien. Das Unternehmen musste darüber in der Zeitung lesen. Bei Wirecard und RTS wurden
Missstände intern gemeldet und es wurde auch eine interne Untersuchung eröffnet. In beiden Fällen war die Reaktion allerdings unzureichend.
Whistleblowing muss auch anonym erfolgen können: Diese Möglichkeit ist zentral. Im Vordergrund sollen die gemeldeten Missstände stehen, nicht die Person des Whistleblowers. Wie die Praxis zeigt, geht der Fokus auf das Wesentliche schnell einmal verloren: Im Fall am Universitätsspital Zürich war die Identität des Whistleblowers bekannt. In der Folge drehte sich (zu) vieles um seine Person, während die gemeldeten Missstände in den Hintergrund gerieten. Demgegenüber blieben die Whistleblower im Fall von Wirecard anonym. Ihre Person ist bis heute Nebensache.
Zeit- und sachgerechte Reaktion ist entscheidend. Meldungen von Whistleblowern sind Frühwarnsignale für die Leitungsorgane. Dahinter können sich grosse Risiken verbergen. Das nachhaltig denkende Unternehmen nimmt solche Hinweise ernst, klärt sie ab und trifft Massnahmen. Trotz Verdachtsmomenten nicht oder nur halbherzig zu handeln, kann entstandenen Schaden zusätzlich vergrössern: Wirecard ist für das Unternehmen, die BaFin und den Finanzplatz Deutschland zum PR-Albtraum geworden. Ein Hauptgrund dafür ist, dass frühe Warnsignale nicht ernst genommen wurden.
Das Verständnis von Compliance und Whistleblowing hat sich über die Jahre massiv verändert, nicht zuletzt, weil die Kosten für Regelverletzungen in Form von Bussen, Verfahren und Reputationsschäden manifest wurden. Ein internes Meldewesen ist heute unverzichtbar für das Unternehmen, das Compliance fördern, Mitarbeiter einbinden und gleichzeitig die Kontrolle behalten will. Gutgläubige Whistleblower wollen dem Unternehmen helfen, indem sie Missstände melden. An Behörden oder die Öffentlichkeit gelangen sie in
der Regel erst, wenn intern keine ausreichenden Möglichkeiten existieren. Viele KMU verfügen dennoch nicht über ein Meldewesen oder sie haben eines, das nicht effektiv ist. Eine verpasste Chance?
Zur Vorbeugung: Anders als in der EU, wo Unternehmen ab 50 Mitarbeitern künftig interne Meldekanäle vorsehen müssen, gibt es in der Schweiz derzeit keine Pflicht. Dennoch ist Schweizer KMU zu empfehlen, im eigenen Interesse ein wirksames Whistleblowing-Programm zu unterhalten. Ein solches erfordert die Unterstützung von Verwaltungsrat
und Geschäftsleitung. Es beinhaltet insbesondere Meldekanäle mit persönlicher und anonymer Meldemöglichkeit und eine unabhängige interne oder externe Meldestelle. Durch das Programm schützen Unternehmen den Whistleblower und sich selbst: Nur wenn Mitarbeiter bereit sind, Missstände intern zu melden, haben Unternehmen die Möglichkeit, negativen Konsequenzen vorzubeugen.