Wenn Projekte scheitern oder Strategien ihre Ziele nicht erreichen, neigen viele Unternehmen dazu, Planungsfehler oder unvorhergesehene Umstände dafür verantwortlich zu machen. Doch so eindeutig das auch erscheinen mag, so sicher ist es nicht immer. In vielen Fällen liegt das Scheitern vielmehr an Mängeln bei der Umsetzung oder dem Management des Projekts, oft sogar an beiden.

Es gibt im Wesentlichen sieben Schwächen bei der Umsetzung, die aus vielversprechenden Plänen schmerzhafte Misserfolge machen.

DAS HOCKEYSTICK-PHÄNOMEN
Ziele oder angestrebte Effekte werden entweder nie erreicht oder erheblich verzögert.
Viele klassische Projektpläne sind in der nahen Zukunft leicht pessimistisch, aber in der fernen Zukunft übermässig optimistisch. Dies verstärkt sich umso mehr, je langfristiger die Massnahme geplant wird. Einer der Hauptgründe dafür ist die Tendenz, die aktuellen Rahmenbedingungen unverändert auf die Zukunft zu übertragen, ohne die Risikofaktoren zu berücksichtigen.

DER PLANUNGSFETISCH
Die Sehnsucht des Managements nach Sicherheit führt dazu, dass die Planung die Umsetzung dominiert. Das Streben, bestimmte Ziele in einer festgelegten Zeit zu erreichen, ist nicht immer vorhersehbar und birgt immer ein gewisses Risiko. Anstatt den richtigen Weg während der Umsetzung zu finden, suchen Manager oft trügerische Sicherheit durch detaillierte Planungen. Wenn diese scheitern, wie es heute häufig der Fall ist, reagiert man mit erneuten Planungen. Dabei wird oft übersehen, dass der Projektfortschritt viel mehr davon abhängt, was heute benötigt wird, als von dem,
was gestern geplant wurde. Endlose Planungen verhindern eine zielgerichtete Umsetzung.

DAS BUZZWORD-BINGO
Flucht in Abstraktionen: Allgemein formulierte Ziele schaffen kein klares Bild, worauf man hinarbeitet, und keinerlei emotionalen Anreiz, mit allem Erdenklichen dafür zu kämpfen. In der Regel sind komplexe und langfristige Projekte und Transformationen aber sehr herausfordernd – mit grossen Belastungen für ihre Teams. Plötzlicher Veränderungszwang und zeitweise Rückschläge sind kaum zu vermeiden.

Um all diese und andere Widrigkeiten zu überwinden, reichen abstrakte Zielvorgaben nicht aus. 25Prozent Mehrumsatz im DACH-Raum? Eine halbe Note besser in der Kundenbewertung zur Supportqualität? 15Prozent mehr Tagesoutput in der Produktion bei einer um 30Prozent gesunkenen Fehlerquote? All dies registrieren Mitarbeitende zwar als Vorgabe, aber emotional brennen werden sie für diese kalten Zahlen nie.

Was Menschen tatsächlich über sich hinauswachsen lässt, ist die Vorstellung einer
blendenden Zukunft, die sich deutlich verbessert vom Heute unterscheidet. Dieses
innere Bild löst Vorfreude auf das Erreichen aus, weil es Stolz über das später Erreichte
verspricht. Dafür braucht es ein Zielbild dieser Zukunft: eine lebendige und emotional gespürte Imagination der neuen Welt vor dem inneren Auge – mit allem, was sie so erstrebenswert macht.

DIE FIXIERUNG AUF AKTIVITÄTEN
In einem klassisch organisierten Vorhaben gründen die Planung, die Steuerung und
die tägliche Arbeit auf weit früher vorhergesagten Aktivitäten. Häufig beginnt dieses
Problem bereits bei der Projektplanung, indem Ziele ohne klare und bildhafte Vortellung der Zukunft festgelegt werden. Hinzu kommt, dass viele dieser Aktivitäten auf der Basis von Bauchgefühlen, vor allem aber auf älteren Erfahrungen beruhen, für deren Wirksamkeit es in der neuen Komplexität keine Garantie mehr gibt. Und so sitzt man als Gefangener früherer Erfolge in einem «Erfahrungsgefängnis» fest, das jedes frische Denken unterdrückt.

Zusätzlich drehen sich innerhalb der Massnahme alle Diskussionen stets um die Abfolge dieser althergebrachten Aktivitäten, ohne zu berücksichtigen, ob der frühere Plan bereits überholt ist oder die Tätigkeiten wirklich zielführend sind. Denn längst nicht alles, was vielleicht nützlich sein könnte, dient dem schnellsten Weg zum Erfolg.

DAS SILODENKEN
Abgrenzung zwischen Unternehmensbereichen aufgrund ungeschickter Management-, Steuerungs- und Controllingprozesse: Das typische Silodenken basiert auf unzureichender Steuerung und mangelnder Transparenz im Projekt. Oft ist nicht klar, welche Business Unit welche Leistung liefern muss, damit andere nahtlos weiterarbeiten können.

DER PRIORITÄTENZIRKUS
Ein Prioritätenzirkus erzeugt Unproduktivität aufgrund mangelnder Fokussierung auf Themen und Ergebnisse. Ein typisches Symptom planbasierter Vorhaben ist eine mangelnde Transparenz, die umso gravierender ist, je länger sie dauern und je komplexer
die inhaltlichen Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Projektbestandteilen sind.

Jede Arbeitseinheit verfolgt ihren Plan, ohne gross nach links und rechts zu schauen und so langsam oder schnell es ihr möglich ist. Die Folge sind wiederkehrende Verzögerungen und Wartezeiten, in denen vieles stillsteht, statt vorwärtszukommen. Welche Leistung zu welchem exakten Zeitpunkt erbracht sein muss, spielt keine entscheidende Rolle mehr, weil jedes Team nur den eigenen Bauchnabel im Blick hat.

Entsprechend gestaltet sich das Ringen um die Ressourcen. Ohne übergeordnete Organisation wird kleinteilig verhandelt, alle sind froh über ihr Stück vom Ressourcenkuchen, und was für den Fortschritt Priorität haben müsste, geht in unnötigen Diskussionen unter.

DAS RICHTERMANAGEMENT
Steuerungsprozesse ähneln Gerichtsverhandlungen, bei denen Schuldige gesucht werden. Wenn Projektteams unter Druck geraten, wird der Fokus oft von der eigentlichen Zielerreichung abgelenkt.

Wenn in den Teams und bei der Projektführung Druck auf dem Kessel ist, wird der Tenor in den Lenkungsausschüssen und in anderen Meetings deutlich schärfer. Obwohl es darum gehen sollte, wie man das Projekt tagesaktuell so schnell wie möglich vorantreiben kann, verliert man sich in Schuldzuweisungen, warum so viele Dinge noch nicht fertig sind, die gemäss Plan längst bereitstehen müssten. Derlei Tribunale verführen nur dazu, den fehlenden Fortschritt im eigenen Team auf der Projektampel zu beschönigen. Und schlimmer noch: Was die Ampel sagt, hat mit dem wahren Status quo des Vorhabens und seiner Rahmenbedingungen kaum noch etwas zu tun

AUS WASSERFALL WIRD ENTERPRISE PROGRESS MANAGEMENT
Natürlich könnte man für jedes dieser sieben Phänomene eigene Optimierungen suchen. Das funktioniert aber nur teilweise, weil sie in Wirklichkeit keine eigenständigen Syndrome, sondern einzelne Symptome einer heute überholten Art sind, wie Projekte gemacht werden.

Eine heute zeitgemässe Projektmethodik fokussiert nicht mehr zuerst auf die immer noch unabdingbaren messbaren Ziele. Sie richtet sich am lebendigen und begeisternden Zielbild einer Zukunft aus, das die Menschen mitreisst und diese Ziele wie von Zauberhand produziert. Hat man dieses Bild des Kommenden klar vor Augen, kann es in seinen Unterschieden zum Heute erkannt und durch schrittweises Fortschrittsmanagement unter Berücksichtigung aller Abhängigkeiten agil herbeigeführt werden.

MANAGEMENT
BEYOND EGO
Matthias Kolbusa
Ariston
352 Seiten
ISBN 978-3424202281

Matthias Kolbusa ist Strategie- und Veränderungsexperte, Vortragsredner und mehrfacher Autor von Managementbüchern. Als Berater und Spezialist für unternehmensweites Fortschrittsmanagement unterstützt er Konzerne wie Daimler, Telekom, die Deutsche Bahn und Thyssenkrupp sowie High-Performance-Mittelständler wie KraussMaffei oder die Haufe-Gruppe.

www.progressmaker.de