Bezüglich der Preisgestaltung bei digitalen Beratungs- und Qualifizierungsangeboten besteht am Markt eine grosse Unsicherheit – sowohl bei den Anbietern und als auch den potenziellen Kunden. Zu den Gründen gehört unter anderem die noch unzureichende Erfahrung.
Das Online-Beraten und -Lernen hat durch die Corona-Pandemie einen enormen Push erfahren. Unternehmen, die dem Online-Beraten zuvor reserviert gegenüberstanden, forcierten ihre digitalen Beratungsangebote für ihre Kunden und Personalabteilungen, die beim Thema Online-Trainieren und -Coachen eher zögerlich waren, und entdeckten plötzlich die Möglichkeiten, die ihnen die moderne Kommunikations- und Informationstechnik für das Gestalten von Mitarbeiterqualifizierungsprozessen bietet. Die dazugehörenden Dienstleister wie Berater, Trainer und Coaches, die bisher ausschliesslich Präsenz-Veranstaltungen durchführten, boten quasi über Nacht auch Online-Formate an, um auf die veränderte Nachfrage zu reagieren.
Das heisst: Sowohl viele Anbieter als auch Nachfrager im Personal- und Organisationsentwicklungsbereich agieren aktuell in einem für sie noch relativen Neuland. Entsprechend gross ist oft ihre Unsicherheit nicht nur in konzeptioneller Hinsicht, sondern auch bezüglich der Preisgestaltung beim Online-Beraten, -Trainieren und -Coachen.
Preismodelle passen nicht
Bei den klassischen Präsenz-Beratungen, -Seminaren und -Trainings war die Preisgestaltung aus Sicht aller Beteiligten einfach, weil seit Jahrzehnten gewohnt: Fakturiert wurden in der Regel die Tage, die ein Berater oder Trainer real mit seinen Kunden oder den Teilnehmern zusammensass – gemäss einem vereinbarten Tagessatz. Zudem wurde für das Erstellen von Konzepten sowie das «Massschneidern» von Seminaren oft eine Pauschale vereinbart oder diese Tätigkeiten wurden aufwandsabhängig zusätzlich vergütet.
Für die neuen digitalen Beratungs- und Mitarbeiterqualifizierungsformate passen diese Preisgestaltungsmodelle meist nicht, denn bei ihnen stellen sich den Anbietern, also Beratern, Trainern und Coaches, viele Fragen:
- Wie kalkuliere ich eine 30-minütige Online-Beratung, in der ich komprimiert mein Expertenwissen weitergebe, oder ein 90-minütiges Online-Seminar?
- Wie viel ist ein Lern- oder Erklärvideo wert?
- Mit welchem Betrag kann ich meine Online-Beratung und -Unterstützung im Rahmen von Change- oder Qualifizierungsprozessen in Foren ansetzen?
- Soll ich bei Online-Vorträgen oder Webinaren eine teilnehmerzahlabhängige Preisstaffelung anwenden, weil bei ihnen 10, 100 oder 1000 Personen online präsent sein können?
- Lasse ich eine Aufnahme und Weiternutzung meiner Online-Beratungen und -Seminare zu und wenn ja, unter welchen Bedingungen?
Orientierung für alle
Spricht man mit Marktteilnehmern über das Thema Preisgestaltung, stellt man immer wieder fest: Beim Beantworten der vorgenannten Fragen besteht eine grosse Unsicherheit – bei den Anbietern wie auch den potenziellen Einkäufern in den Unternehmen.
So betonen zum Beispiel firmeninterne Entscheider im Gespräch immer wieder erstens die Honorarforderungen der Berater und Trainer. Für die verschiedenen Online-Formate klaffen diese extrem weit auseinander. Auch die Verrechnungsmodelle divergieren. Zweitens fällt es schwer zu beurteilen, welche Preisvorstellungen noch seriös sind und welche nicht. Und drittens wünschen sie sich diesbezüglich eine Orientierung.
In solchen Aussagen artikuliert sich ein Mangel an Erfahrung beim Einkauf von Online-Beratung und digitalen Trainingsformaten. Die hieraus resultierende Unsicherheit hat ihre Wurzeln auch darin, dass sich im Markt noch keine Preisniveaus für die verschiedenen Leistungen etabliert haben. Deshalb findet man, wenn man sich aktuell über die Online-Angebote von Beratern informiert, nicht selten Preise, bei denen man als Marktkenner denkt: «Mit solchen Dumping-Preisen wird es diesem Selbstständigen nie gelingen, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.» Ebenso findet man aber auch Angebote, bei denen man denkt: «Dieser Anbieter hofft offensichtlich, auf unerfahrene Einkäufer zu treffen, die solche Phantasie- beziehungsweise Mond-Preise bezahlen.»
Die Preisgestaltungsrichtlinien
Deshalb haben die Vereinigung der Businesstrainer Österreichs (VBT) und der deutsche Berufsverband für Training, Beratung und Coaching (BDVT) bereits im Juli 2020 gemeinsam eine Honorarrichtlinie für die Vergütung von Online-Formaten im Mitarbeiterqualifizierungsbereich erarbeitet. In ihr wird zwischen Live-Online-Trainings, Webtalks oder Webinaren und E-Learnings unterschieden. In der Schweiz gibt es ähnliche Aktivitäten.
Live-Online-Training
Bei dieser Seminarform ist die Teilnehmerzahl auf etwa zehn Personen begrenzt, damit interaktive und kreative Lehr- und Lernmethoden genutzt werden können. Die Dauer variiert von 90 Minuten bis zu vier Stunden.
Bei diesem Format empfehlen VBT und BDVT, ein Drittel des gewohnten Präsenzseminar-Tagessatzes für eine 90-Minuten-Session zu berechnen. Vorbereitungsarbeiten wie das Sich-vertraut-Machen mit der firmeninternen Technik zur Durchführung des Online-Seminars oder -Trainings werden zusätzlich berechnet, ebenso eventuelle Co-Trainer (zum Beispiel zur Unterstützung bei der technischen Durchführung).
Webtalks und Webinare
Dieses Format erinnert oft an einen klassischen Vortrag, der jedoch online gehalten wird und an den sich eine Frage-Antwort-Runde anschliesst. Charakteristisch für einen Webtalk beziehungsweise ein Webinar ist: Die Teilnehmerzahl ist theoretisch unbegrenzt. Seine Dauer beträgt meist 30 bis 90 Minuten.
Hierfür empfehlen die beiden Verbände, einen von der Teilnehmerzahl abhängig gestaffelten Preis pro circa 90-minütiger Einheit (zum Beispiel eine Stunde Vortrag plus eine halbe Stunde Fragen beantworten) zu verrechnen – und zwar bis 20 Teilnehmer mindestens 800 Euro und ab 21 Teilnehmern (mit einem Moderator für den Chat) mindestens 1740 Euro.
Speziell dieses Format wird von Auftraggebern oft aufgezeichnet und zur Wieder- beziehungsweise Weiterverwendung in die «E-Learning-Bibliothek» des Unternehmens gestellt. Dasselbe ist in manchen Unternehmen, aber auch bei Live-Online-Trainings «gängige Praxis». Aus diesem Grund empfehlen die Verbände deren Anbietern, ihre AGBs und Angebote stets mit folgendem Hinweis zu versehen: «Audio- und Video-Mitschnitte sind nur mit schriftlicher Erlaubnis des Anbieters gestattet.» Danach kann der Hinweis folgen: «Gerne erteilen wir auf Anfrage eine entsprechende Freigabe.»
Erteilen Berater die Erlaubnis zur Aufnahme eines Webtalks, empfehlen der BDVT und VBT, die genannten Honorare beispielsweise mit dem Faktor 10 zu multiplizieren, denn: Wenn der Kunde über einen Mitschnitt verfügt, kann er diesen all seinen Mitarbeitern – im Extremfall weltweit – auf seiner Lernplattform zeitlich unbegrenzt zur Verfügung stellen. Das heisst für den Trainer oder Berater: Einen entsprechenden Folgeauftrag erhält er bei dem Kunden nicht mehr. Zudem besteht die Gefahr, dass der Mitschnitt «weiterwandert». Dies gilt es, insbesondere bei Webtalks zu vermeiden, in denen der Berater sein Expertenwissen weitergibt oder Themen behandelt werden, bei denen davon auszugehen ist, dass die Mitschnitte längerfristig beziehungsweise in einem grösseren Umgang genutzt werden.
E-Learnings
WBTs sowie Lern- und Erklärvideos werden üblicherweise pro Minute abgerechnet. Hier variieren die Preise sehr stark nach Art des Videos (zum Beispiel animiert oder nicht), Qualität des Videos (Studio versus Smartphone), Postproduktion (Sprecher, Schnitt oder Musik) und Nutzungsrechten. Für 20-minütige, professionell erstellte E-Learnings empfehlen die beiden Verbände, zwischen 15’000 und 25’000 Euro zu berechnen. Diesem Betrag liegt ein Richtwert von circa 1000 Euro pro Minute zugrunde.
Dieser Wert gilt nicht für Videos, die ein Berater «en passant» mit dem Smartphone erstellt. Er gilt nur für Videos, die unter methodisch-didaktischen Gesichtspunkten gezielt aufgebaut und gestaltet sind und zum Beispiel in einem Studio professionell bearbeitet wurden. Er gilt also nur für Videos, deren Erstellung eine entsprechende Investition an Zeit und/oder Geld erfordert.
Keine Einheitspreise
Die in ihrer Richtlinie genannten Preise verstehen der BDVT und der VBT als eine Empfehlung, die der Orientierung der Anbieter und Nachfrager im Bildungs- und Beratungsmarkt dienen sollen. In der Praxis werden sich, so meine Vermutung, wie bei den klassischen Präsenztrainings und -beratungen nicht nur verschiedene Verrechnungsmodelle, sondern auch Preisniveaus am Markt etablieren, die abhängig vom Thema beziehungsweise von den zu lösenden Herausforderungen, vom Klientensystem (zum Beispiel Profit- oder Non-Profit-Organisation), von der Vorerfahrung des (Online-)Beraters oder Trainers und seiner Etablierung am Markt zum Teil stark divergieren. Zudem wird der Preis auch davon abhängen, inwieweit die Kunden dem Anbieter überhaupt die Digitalkompetenz zuschreiben, Beratungs- und Qualifizierungsprozesse online professionell durchführen zu können. Aus diesem Grund hat die Richtlinie der beiden Verbände für mich primär eine vorübergehende Orientierungsfunktion. Sie wird zunehmend an Bedeutung verlieren, wenn die Marktteilnehmer mehr Erfahrung mit dem Online-Beraten und -Trainieren beziehungsweise dem Ein- und Verkauf der hierfür erforderlichen Leistungen gesammelt haben.