Im Zeitalter der Digitalisierung und Wissensarbeit werden Wertschöpfung und Innovation immer wichtiger. Von Mitarbeitenden werden immer anspruchsvollere Leistungen und immer mehr Engagement erwartet. Doch unterstützt die Arbeitswelt diese Ansprüche? Die Verantwortlichen der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) wollen nicht reagieren, sondern agieren und haben sich in ihrem eignen Hause in die Praxis der neuen Arbeitswelten begeben. Von den Erfahrungen können auch Unternehmen profitieren.
Ein klarer Slogan bringt es auf den Punkt: «Studieren, wann und wo Sie wollen» – so lautet die Devise der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) und verspricht den Studierenden eine flexible Lösung. Bereits seit 1998 ist es unser Ziel und Anliegen, den Studierenden eine maximale Flexibilität im Studium zu bieten, ohne dabei auf die Qualität des Studiums zu verzichten. Durch Entwicklungen innovativer Informations- und Kommunikationstechnologien ist Fernunterricht auch online möglich geworden. Damit aber das online Lernen effizient und nachhaltig bleibt und Studierende von dieser Flexibilität im Studium profitieren können, setzen wir seit dem Gründungsjahr ein alternatives Studienmodell ein, das eLearning mit dem klassischen Unterricht kombiniert und es den Studierenden ermöglicht, Studium, Familie und Job unter einen Hut zu bringen. Mit der Gestaltung neuer Lernwelten, in denen Flexibilität unabdingbar ist, setzen wir uns als eine E-Hochschule seit Langem auseinander. Doch wie verhält es sich mit neuen Arbeitswelten an der FFHS? Trifft auch die Devise «Arbeiten, wann und wo Sie wollen » auf die gesamte Organisation zu?
Globalisierung, demografischer Wandel, technologischer Fortschritt und der Wandel hin zur Wissens- und Informationsgesellschaft verändern nicht nur unsere Lernwelten, sondern auch unsere Arbeitswelten, die immer flexibler, mobiler und digitaler werden. Diese Entwicklungen haben uns an der FFHS dazu bewegt, unsere eigene Arbeitswelt genauer zu betrachten. Wir haben einen dringenden Veränderungsbedarf erkannt. Um weiterhin die führende EHochschule in der Schweiz zu bleiben, müssen wir einen Wandel vollziehen. Zunächst ging es ausschliesslich um die Veränderung unserer Gebäudesituation, die nicht mehr den neusten Standards in Sachen Infrastruktur entspricht. Die Entscheidung hierzu ist gefallen: Es wird ein neuer Campus – ein Verwaltungsgebäude – am FFHS-Hauptsitz in Brig entstehen. Doch mit dem Bau des neuen Campus wurde ein Stein ins Wasser geworfen, der seine Kreise zieht. Der Bau des neuen Campus ist eine Entscheidung auf strategischer Ebene, die notwendige Veränderungen in den anderen Bereichen der Organisation und vor allem in den Köpfen der Mitarbeitenden mit sich bringt. Der angestrebte Wandel ist aufgrund der vielfältigen Veränderungen nicht leicht zu vollziehen, dennoch sehen wir ihn als eine positive Herausforderung und Chance für das ganze Unternehmen.
Arbeiten an vielen Orten
Die Entscheidung, einen neuen Campus für eine E-Hochschule zu bauen, mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen. Braucht eine E-Hochschule mit ihren einzigartigen Kompetenzen in eLearning und eCollaboration einen neuen Campus für ihre Mitarbeitenden? Die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologien sind heute beinahe grenzenlos geworden. Zusammenarbeit und Unterricht verschieben sich immer mehr in den virtuellen Bereich – eine Entwicklung, die für eine E-Hochschule günstige Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung und andauernde Verbesserung ihrer Kernkompetenzen (eLearning und eCollaboration) schafft. Als Wissensarbeiter in einer mobilen Gesellschaft können wir heute unseren Tätigkeiten an verschiedensten Orten und zu unterschiedlichen Zeiten nachgehen. Arbeiten im Home Office und an «third places» (wie Bahnhöfen, Zügen, Cafés oder in «Co-Working Spaces») gehört bei vielen Unternehmen schon heute zum Alltag. «Die Zeit der imposanten Gebäude läuft ab», prognostizierte Mathis Hasler, Chef der Popup Office AG, sogar kürzlich in einem Interview im «Bund».
Neues Raumverständnis
Dennoch bleibt das Gebäude für uns wichtig, weil es in Zukunft eine neue Rolle erhalten wird. Das Gebäude wird für die FFHS zu einem sozialen Raum werden, ein Ort der Begegnung und Zusammenarbeit, an dem sich Mitarbeitende treffen, um gemeinsam Wissen zu erarbeiten und neue Ideen zu kreieren, ein Ort der Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen. Eine grosse Herausforderung ist dabei die Gestaltung der Räume und ihrer Einrichtung. Wie können unsere partnerschaftliche Führungskultur und gemeinsame Wissenskultur, das heisst Offenheit, Autonomie, Lernbereitschaft, Zusammenarbeit und Vertrauen, sowie Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden über räumliche Gestaltung zum Ausdruck gebracht werden? Lassen sich Normen und Werte überhaupt materialisieren? Es ist wichtig, dass die Botschaft der Räume im neuen Campus zur Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen beiträgt und den Anforderungen der neuen Generationen an die Arbeitsumgebung gerecht wird, um als Organisation auch im «Kampf um Talente» bestehen zu können.
Mission «Neue Arbeitswelt Campus»
Das eCollaboration-Team des Instituts für Fernstudien und eLearning hat den Auftrag erhalten, ein innovatives Bürokonzept nach den neusten Anforderungen der Arbeitswelt zu entwickeln, welches allen Mitarbeitenden eine motivierende Arbeitsumgebung auf dem neuen Campus bietet und Wissenstransfer und Innovationsprozesse an der FFHS unterstützt. Der erste Schritt hin zur neuen Arbeitswelt begann mit der Vorbereitung der Vorgaben für den Architekten. Darin flossen gewonnene Erkenntnisse aus der Arbeitsforschung in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IAO aus dem Verbundforschungsprojekt «OFFICE21» sowie die Ergebnisse interner Studien ein, die im Rahmen einer Organisationsanalyse initiiert wurden. Das Ziel der Studien war es, Arbeitsprozesse, Tätigkeiten und Kommunikations- und Interaktionsmuster zwischen den Mitarbeitenden sowie ihre Bedürfnisse hinsichtlich einer neuen Arbeitsumgebung zu untersuchen und diese bei der Entwicklung des neuen Bürokonzepts zu berücksichtigen. Dabei haben wir qualitative und quantitative Methoden wie beispielweise online Surveys, ein auf der Experience-Sampling-Methode basierendes eTagebuch und soziometrische Technologien zur Erfassung sozialer Interaktionen angewendet.
Arbeitsorte der Zukunft
Unsere Studien haben interessante Ergebnisse hervorgebracht. Das Bedürfnis der Mitarbeitenden nach mehr Kommunikation und Zusammenarbeit ist gross, wobei man sich noch mehr virtuelle Zusammenarbeit wünscht, um Aktivitäten möglichst effizient ausführen zu können. Diese Ergebnisse gehen mit dem globalen Trend hin zu von Kommunikation, Austausch und Wissensweitergabe geprägten Arbeitswelten einher.
Zudem wünschen sich die Mitarbeitenden mehr Flexibilität in Bezug auf Arbeitszeit und Arbeitsort. In einem über drei Wochen hinweg geführten eTagebuch haben wir unsere Mitarbeitenden beispielsweise nach den gewünschten Arbeitsorten gefragt, die ihrer Ansicht nach für ihre aktuellen Tätigkeiten am besten geeignet sind. 77 Prozent aller Mitarbeitenden führen heute ihre Aktivitäten, Aufgaben und Tätigkeiten noch in Zellenbüros aus. Doch sie möchten ihren Aktivitäten in Zukunft an verschiedensten Orten im FFHS-Bürokomplex nachgehen können – zum Beispiel in einer Cafeteria, in einer Bibliothek, an Treffpunkten, an Rückzugsorten und in Multispace-Zonen – sowie die Möglichkeit haben, noch flexibler von unterwegs und im Home Office zu arbeiten (vgl. Abb. 1.).
Herausforderung Unternehmenskultur
Bereits in der ersten Phase der Planung und Entwicklung des Bürokonzepts sahen wir uns Herausforderungen gegenüber, die sich vor allem im Bereich der Unternehmenskultur befinden. Das aus den Ergebnissen hervorgehende Bürokonzept-Szenario, das die Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigt, ihre differenzierten Arbeitsweisen durch ein vielfältiges Angebot an Rückzugs- und Kommunikationszonen unterstützt und nachhaltige Rahmenbedingungen für die Förderung neuer, flexibler Arbeitsmodelle im Unternehmen schafft, stiess
zunächst auf Widerstände. Was verbirgt sich hinter der Fassade dieser Ablehnung? Es wurde schnell deutlich, dass ein neues Bürokonzept eine globale Veränderung für das ganze Unternehmen bedeutet. Ein solches wirkt sich nicht nur auf das Verhalten der Mitarbeitenden, sondern auch auf Arbeitsformen, die Unternehmenskultur und Führungsmethoden aus. Diese Veränderung wird mitunter als Risiko wahrgenommen. Mitarbeitende haben Angst davor, sich von klassischen Zellenbüros zu verabschieden. Wie geht es nun mit der eigenen Privatsphäre, mit persönlichen Fotos und mit Pflanzen auf dem Arbeitstisch weiter? Führungskräfte andererseits befürchten, durch das Angebot von mehr Flexibilität die Kontrolle über ihre Mitarbeiter zu verlieren. Wie längst bekannt, läuft die Präsenzkontrolle jedoch in virtuellen Arbeitswelten, wo sich die Leistung der Wissensarbeiter nicht über die Präsenz messen lässt, ins Leere. Ein vertrauensbasiertes Führungsmodell, das auf gemeinsamen Werten und zielorientierter Führung beruht, scheint in der virtuellen Arbeitswelt notwendig zu sein. Dies erfordert jedoch einen Wandel der Unternehmenskultur von einer Kontroll- hin zu einer Vertrauenskultur. Der virtuelle Charakter unserer E-Hochschule verstärkt diese Notwendigkeit zusätzlich. Auch deshalb haben wir das letzte FFHS Business Breakfast Event, das im Rahmen der Work-Smart-Initiative Ende Juni 2015 stattgefunden hat, dem Thema «Neue Unternehmenskultur in den neuen Arbeitswelten» gewidmet – eine erste Sensibilisierungsmassnahme auf dem Weg hinein in die neue Arbeitswelt.
Strategische Ansätze
Wir sehen den Menschen, bei dem erfolgreichen Durchlaufen dieses Wandels, als einen Erfolgsfaktor. Die Bereitschaft zu Veränderung muss in den Köpfen der Mitarbeitenden durch sorgfältige Unterstützung des Veränderungsprozesses wachsen. Hier zeigen wir unsere Strategien auf, die wir auf unseren ersten Schritten hin zu neuen Arbeitswelten einsetzen:
> Sensibilisierung: Wir sensibilisieren unsere Mitarbeitenden für das Thema Neue Arbeitswelten. Es werden Vorträge mit Diskussionsrunden mit unserem Forschungspartner Fraunhofer IAO organisiert. Relevante Ergebnisse und Informationen werden in internen Newslettern und Jahresberichten publiziert und durch soziale Medien und das interne e-Informationsbrett ELAN weiterverbreitet.
> Einbindung der Mitarbeitenden: Mitarbeiter und Führungskräfte werden von Anfang an kommunikativ und partizipativ in den Veränderungsprozess eingebunden. Jeder Mitarbeitende hat die Möglichkeit, an der Gestaltung der neuen Arbeitswelt bei der FFHS durch die Teilnahme an internen Projekten mitzuwirken.
> Vorbild sein: Im Zusammenhang mit vertrauensbasierten Führungsmethoden setzen wir in unserem „eCollaboration-Team1“ neue Arbeitsformen für räumlich
flexibles Arbeiten im Gebäude ein. Damit setzen wir ein Zeichen für den Wandel.
> Ideenmanagement: Für die kollaborative Bearbeitung von Ideen zum Thema Neue Arbeitswelten setzen wir ein eigens entwickeltes Tool ein.
Auch das Management der FFHS unterstützt diesen Wandel aktiv. Top-Down-Kommunikation, transparentes Verhalten und Bereitschaft für Veränderungen geben den Mitarbeitenden das Gefühl von Sicherheit im Veränderungsprozess und wecken die Lust, Neues auszuprobieren. Die FFHS befindet sich in einem Wandel, dem wir als Chance und positive Herausforderung auf dem Weg zu neuen Arbeitswelten begegnen.
Weiterführende Literatur:
Fraunhofer, I. A. O. (2012).
Arbeitswelten 4.0: Wie wir
morgen arbeiten und leben.
Schittich, C. (2011). Arbeitswelten:
Raumkonzepte, Mobilität,
Kommunikation. Walter de Gruyter.
Widuckel, W., de Molina, K.,
Ringlstetter, M. J., & Frey, D. (Eds.).
(2015). Arbeitskultur 2020:
Herausforderungen und Best
Practices der Arbeitswelt der
Zukunft. Springer-Verlag.
Weitere Informationen:
www.ffhs.ch