Ob Meldungen über die Pandora Papers oder die Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen: Missstände in Unternehmen bestimmen auch derzeit die Schlagzeilen und unterstreichen einmal mehr die Bedeutung von Hinweisgebenden für deren Aufdeckung. Im Corona-Jahr 2020 gingen bei den Meldestellen, die europäische Unternehmen zur Prävention und Aufdeckung von Missständen eingerichtet haben, weniger Hinweise ein. Home Office und Mitarbeiterabbau führten aber zu vergleichsweise mehr Missständen. Dies zeigt der Whistleblowing Report 2021, welchen die Fachhochschule Graubünden in Zusammenarbeit mit der EQS Group AG erstellt hat.
Vor einem Jahr – 2020 – gingen bei den Meldestellen durchschnittlich 34 Meldungen ein. Dies bedeutet einen deutlichen Rückgang gegenüber dem letzten Report aus dem Jahr 2019. Dieser Wert lag damals bei 52 Meldungen. Für die Studie wurden über 300 Unternehmen aus der Schweiz befragt. Insgesamt lieferten 1 239 Firmen aus Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und der Schweiz Informationen darüber, wie gut sie auf die Vorgaben der EU-Whistleblower-Richtlinie vorbereitet sind und inwiefern die Corona-Pandemie Auswirkungen auf die Meldebereitschaft im Unternehmen hatte.
Aus dem Rückgang der Meldungen im Jahr 2020 lässt sich, analog zu den Befunden anderer Studien, ableiten, dass die Pandemie zu gewissen Dysfunktionalitäten von Prozessen und Strukturen geführt hat, die auch die Meldestellen betreffen. Unternehmen, bei denen es coronabedingt zu einem Mitarbeiterabbau kam oder in denen ein Grossteil der Mitarbeitenden im Home Office (> 66 Prozent) gearbeitet hat, verzeichneten mehr Meldungen als andere Unternehmen. Allerdings war bei diesen auch die Wahrscheinlichkeit höher, von Missständen betroffen zu sein.
Fast jedes dritte Unternehmen betroffen
In der Schweiz verfügen 63.4 Prozent der befragten Unternehmen über eine Meldestelle zur Prävention und Aufdeckung von illegalem und unethischem Verhalten. Das sind weniger als in Grossbritannien (73 Prozent) und genauso viele wie in Deutschland (63.2 Prozent), aber mehr als in Frankreich (54.1 Prozent). Bei den Grossunternehmen mit mehr als 249 Mitarbeitenden liegt die Schweiz (73.1 Prozent) fast gleichauf mit Grossbritannien (74.2 Prozent) und Deutschland (73.9 Prozent). In Frankreich haben hingegen nur 64.7 Prozent der Unternehmen dieser Grössenordnung eine Meldestelle, obwohl eine solche – wie auch für deutsche Grossunternehmen – Pflicht ist, sobald die EU-Whistleblower-Richtlinie am 17. Dezember 2021 in Kraft getreten ist.
Wie wichtig ein funktionierendes Meldesystem ist, zeigt die Tatsache, dass 32.5 Prozent der Unternehmen in der Schweiz im Jahr 2020 von illegalem und unethischem Verhalten betroffen waren. In Deutschland (37.1 Prozent), Grossbritannien (35.8 Prozent) und Frankreich (32.8 Prozent) kam dies in mehr Unternehmen vor. Allerdings fällt hierzulande der finanzielle Gesamtschaden durch die Missstände in der Regel höher aus. Ein Drittel der Schweizer Unternehmen bezifferte diesen mit mehr als 100’000 Euro, in den anderen drei Ländern war der Schaden nur bei knapp 20 bis 27 Prozent der Unternehmen sechsstellig. Erfreulich dabei war jedoch, dass 27.6 Prozent der befragten Schweizer Unternehmen mithilfe der Meldestelle über 80 Prozent des finanziellen Gesamtschadens aufdecken konnten.
Missbräuchliche Hinweise sind die Ausnahme
Der «Whistleblowing Report 2021» widerlegt einmal mehr den häufig geäusserten Vorbehalt, dass Meldestellen vermehrt missbräuchlich genutzt werden könnten. In der Schweiz hatte nur jede 20. Meldung nicht wahrheitsgemässe oder verleumderische Inhalte. Dieser Wert lag auch bei den Unternehmen, die anonyme Hinweise erlauben, nicht höher. Dagegen waren rund 50 Prozent der Meldungen relevant.
Der Hintergrund
Der «Whistleblowing Report 2021» wurde Anfang Oktober in München im Rahmen der «European Compliance & Ethics Conference», Europas grösster Compliance-Konferenz, vorgestellt und von der Fachhochschule Graubünden in Zusammenarbeit mit der EQS Group AG erstellt.