Die «letzte Hürde» war vor 50 Jahren die Schlagzeile in der Zeitschrift «Schweizer Illustrierte», kurz vor der historischen Abstimmung, bei der Männer Frauen das Wahlrecht einräumten. Doch dieser «letzten Hürde» folgten viele weitere. Frauen verdienen für die gleiche Arbeit immer noch weniger als Männer. Frauen in Führungspositionen sind immer noch die Ausnahme, und sobald sie diese Position erreicht haben, müssen sie sich noch rechtfertigen, warum sie wenig zu Hause sind und sich nicht um die Familie kümmern.
Zwar sind Kinderbetreuung und Hausarbeit immer noch überwiegend Frauensache, doch der neue «Schillingreport» des Personalberaters Guido Schilling zeigt, dass die hoffnungsvolle Zahl zehn ist. Denn zehn Prozent beträgt der Frauenanteil in über 100 Geschäftsleitungen der grössten Schweizer Unternehmen im Jahr 2020: immer noch zu wenig. Was bleibt, ist, dass beiden Geschlechtern bestimmte Stereotype zugeschrieben werden – unabhängig davon, ob die Eigenschaften so verallgemeinert werden können oder nicht. Männer gelten als sachlich, dominant und konfliktbereit, Frauen als kommunikativ, teamorientiert und emotional. Obwohl Stereotype nicht der Realität entsprechen – das menschliche Gehirn liebt sie und braucht sie, um sich zu orientieren.
Weshalb Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind
Nach Angaben des Bundesamts für Statistik haben Frauen in der Regel einen niedrigeren Beschäftigungsstatus als Männer: Sie sind meist ohne Führungsaufgaben beschäftigt. Diese Ungleichheit bleibt bestehen, auch wenn Männer und Frauen das gleiche Bildungsniveau haben. Hauptgründe dafür sind vornehmlich die eingeschränkte Flexibilität, die bei Frauen oft zu weniger Berufsjahren aufgrund der Familien- und Kinderbetreuungspflichten führt.
Nach Angaben des Bundesamts für Statistik arbeiten derzeit sechs von zehn berufstätigen Frauen, aber nur 1.8 von zehn Männern im Teilzeitpensum. In der Bevölkerung ab fünfzehn Jahren fallen 30.7 Prozent der Frauen und 3.4 Prozent der Männer in die Kategorie der Hausfrauen beziehungsweise Hausmänner. Einerseits bedeutet Teilzeitarbeit häufig ungesicherte Arbeitsverhältnisse, tiefere Sozialleistungen und verminderte Aufstiegschancen. Andererseits bietet sie die Möglichkeit, neben der bezahlten Arbeit auch andere unbezahlte Tätigkeiten wie Kinderbetreuung und Hausarbeit zu übernehmen, die jedoch von Arbeitgebern und der Wirtschaft nicht als wertvolle Arbeit erachtet werden. Neben der eingeschränkten Flexibilität gibt es jedoch noch weitere Hürden, die viele Frauen daran hindern, in Führungspositionen zu gelangen. Dazu gehören sozialpolitische Hürden, kulturelle Hindernisse in Unternehmen und der Mangel an erfolgreichen Vorbildern.
Familie oder Beruf?
Die Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere fehlende Teilzeitstellen im Kader und ein ungenügendes Kinderbetreuungsangebot, sind die Hauptgründe, wieso viele Frauen heute keine Karriere einschlagen können und wollen. Im letzten Jahrhundert haben immer mehr Frauen eine höhere Ausbildung abgeschlossen und sich für den Eintritt ins Berufsleben entschieden. Trotzdem ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nach wie vor schwierig – von wenigen Kinderbetreuungsmöglichkeiten bis hin zu traditionellen Rollenbildern, bei der sich Frauen um den Haushalt kümmern und Männer Karriere machen.
Laut Bundesamt für Statistik reduziert in den meisten Fällen die Frau ihr Arbeitspensum oder gibt vorübergehend die bezahlte Arbeit auf, um sich zu Hause um die Kinder zu kümmern. Die häufigste Familienkonstellation ist ein Vater, der Vollzeit arbeitet, und eine Mutter, die Teilzeit arbeitet, gefolgt von einem Vater, der Vollzeit arbeitet, und einer Mutter, die nicht arbeitet. Nur wenige Paare entscheiden sich für ein Modell, bei dem beide Partner Teilzeit arbeiten; dieses Modell ist häufiger bei Familien mit dem jüngsten Kind unter vier Jahren anzutreffen. Die Betreuung von Kindern ausserhalb der Familie (einschliesslich Grosseltern) durch Kindertagesstätten oder Horte ist eine wichtige Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Kinderbetreuungsangebote stehen jedoch nicht immer in ausreichender Zahl oder entsprechend der Arbeitszeiten zur Verfügung, und Eltern nutzen sie manchmal aus finanziellen Gründen nicht oder nur in geringem Umfang. Je nach Alter und Anzahl der Kinder wird das zweite Einkommen für zusätzliche Betreuungskosten ausgegeben, was die Tatsache bestätigt, dass die Mutter, die in der Regel weniger verdient als der Vater, besonders in den ersten Lebensjahren der Kinder zu Hause bleibt. Während die meisten Mitarbeiter zwischen dem 30. und 35. Lebensjahr in Führungspositionen aufsteigen, erfahren Frauen einen grossen Nachteil, da sie in diesem Alter typischerweise Mutter werden.
Lohnungleichheit
Für das Ungleichgewicht der Geschlechterverteilung in Führungspositionen gibt es nicht nur kulturelle, sondern auch finanzielle Gründe. Laut dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann sind im Durchschnitt die Gehälter von Frauen jeden Monat 1512 Franken niedriger als die der Männer. Davon lassen sich 54.6 Prozent durch objektive Faktoren wie berufliche Stellung, Dienstjahre oder Bildungsniveau erklären. 45.4 Prozent des Lohnunterschiedes können jedoch nicht erklärt werden und beinhalten eine mögliche geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung. Gründe hierfür sind wieder die traditionellen Rollenverteilungen in der Familie.
Gesellschaftliche Stereotype haben nach wie vor einen erheblichen Einfluss auf die Bildungs- und Berufswahl von Frauen und Männern. Während Männer bei der Familiengründung oft als Ernährer gesehen werden und somit Vollzeit bis zur Pensionierung arbeiten, planen Frauen öfters Karrierepausen und wünschen sich ein flexibles Arbeitsumfeld, in dem kleine Pensen und Pausen möglich sind.
Unternehmenskultur und Vorbilder
Immer wieder gibt es Unternehmen, die die geringe Anzahl von Frauen in Managementpositionen damit erklären, dass es keine qualifizierten Bewerberinnen gibt, obwohl laut Bundesamt für Statistik in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen der Anteil an Frauen mit einem Abschluss an einer Fachhochschule oder einer universitären Hochschule höher als jener der Männer ist. Je nachdem, wie hierarchisch und autoritär die Kultur eines Unternehmens ist, desto schwieriger kann es also sein, eine weibliche Führungskraft erfolgreich für das Unternehmen zu gewinnen.
Viele Menschen glauben, dass eine Führungskraft dominant, selbstbewusst und autoritär sein muss – Eigenschaften, die aufgrund von stereotypischem Denken nicht immer den Frauen zugeschrieben werden. Es wurde jedoch bewiesen, dass eine Führungskraft auch dann erfolgreich sein kann, wenn sie teamorientiert und demokratisch führt und empathisch ist. Um diese Stereotype zu überwinden, brauchen Frauen erfolgreiche Vorbilder: Frauen, die vorleben, dass sich die beiden Lebensbereiche «Arbeiten» und «Mutter sein» gut und selbstverständlich vereinbaren lassen. Hier sind unter anderem Philomena Colatrella (CSS), Magdalena Martullo-Blocher (EMS Chemie), Jeannette Pilloud (Ascom) oder Suzanne Thoma (BKW) bekannte Persönlichkeiten aus der Wirtschaft.
Lösungsansätze
Die Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter ohne Anstellung ist nicht mehr zeitgemäss. Die traditionellen Rollenbilder beherrschen zwar nach wie vor unser Gesellschaftsbild, stehen aber vor grossen Veränderungen. Die Akzeptanz von Frauen als berufstätige Mütter wird zunehmend grösser: Was jedoch in vielen Haushalten unverändert bleibt, ist die Rollenkonstellation. Hier wird vielfach immer noch gewünscht und erwartet, dass Frauen den elterlichen Pflichten der Kindererziehung sowie dem Haushalt und keiner Arbeitstätigkeit nachgehen. Deshalb liegt die wohl häufigste Barriere auf dem Weg in die Führungsverantwortung nach wie vor in der Mehrfachbelastung der Frauen durch die Betreuung von Kindern und Haushalt.
Auch müssen die Politik und Unternehmen bessere Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schaffen. Auf politischer Ebene müssen sich die Parteien für Tagesschulen, attraktive Anreize im Steuersystem und Subventionen der Kinderbetreuung für berufstätige Eltern einsetzen. Damit kann sichergestellt werden, dass Frauen neben den familiären Verpflichtungen ohne Nachteile einer Tätigkeit nachgehen können. Die Unternehmen müssen gleiche Aufstiegschancen für Frauen und Männer durch flexible Arbeitszeiten und Teilzeitarbeitsplätze (auch in Führungspositionen), Wiedereinstiegsmöglichkeiten und Lohngleichheit anbieten.
Lohngleichheit kommt nicht nur Frauen und ihren Familien zugute, sondern nützt der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft. Lohngleichheit macht den (Wieder-)Einstieg und Verbleib im Erwerbsleben für alle Frauen erheblich attraktiver und liegt somit auch im Interesse der Unternehmen. Wenn sich die Lohnschere zwischen den Geschlechtern verringert, bietet sich einem Paar die Chance, die (bezahlte) Erwerbs- und die (unbezahlte) Haushalts- und Betreuungsarbeit gleichmässig aufzuteilen, ohne dass dadurch finanzielle Einbussen entstehen. Lohngleichheit ermöglicht reelle Chancengleichheit und echte Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Familien- und Erwerbsmodellen.
Gleichzeitig braucht es die gezielte Förderung einer integrativen Kultur, damit Frauen überhaupt erfolgreich sein können. Viele Management- und Machtstrukturen sind nach wie vor stereotypisch männlich geprägt, beispielsweise durch eine überwiegend autoritäre Führungskultur in Unternehmen.
Fazit
Der Einfluss von Frauen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik nimmt stetig zu. Trotzdem gibt es immer noch eine grosse Ungleichheit bei den Karrierechancen, insbesondere auf der Führungsebene.
Die Politik muss eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung des sogenannten Megatrends «Female Shift» spielen – durch den weiteren Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und die Unterstützung gleichberechtigter Hausarbeit zwischen Männern und Frauen, die Gewährleistung von Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und gleichem Lohn für gleiche Arbeit sowie die Förderung von Frauen in Führungspositionen. All dies sollte im Jahr 2021 keine Utopie mehr sein, sondern hoffentlich bald Realität!