Eigentümergeführte Klein- und Mittelunternehmen (KMU) haben eine andere Kultur als Konzerne. Doch auch sie müssen ihre Führungskultur auf den Prüfstand stellen – unter anderem, weil sich ihre Mitarbeiter und deren Erwartung an Führung gewandelt haben.
von Frank Linde und Michael Reichl
Eigentümergeführte Klein- und Mittelunternehmen (KMU) mit bis zu 300 Mitarbeitern haben eine andere Struktur und Kultur als Grossunternehmen. Das belegen wissenschaftliche Untersuchungen. In ihnen arbeiten zum Beispiel weniger als ein Prozent der Mitarbeiter hauptamtlich im Personalbereich. In Grossunternehmen sind es vier Mal so viele. Und nur 25 Prozent der Betriebe mit bis zu 150 Mitarbeitern und nur 38 Prozent der Unternehmen mit 151 bis 500 Mitarbeitern haben einen hauptamtlichen Personalleiter; bei den Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sind dies 72 Prozent.
Das zeigt: Die Rahmenbedingungen für die Personalarbeit sind in mittleren und kleinen Familienbetrieben andere als in Grossunternehmen – selbst wenn sich diese wie zum Beispiel die Stihl-Unternehmensgruppe, Waiblingen (D), die weltweit 14’000 Mitarbeiter beschäftigt, selbst «als mittelständisch geprägte Familienunternehmen» verstehen. Deshalb bezeichnet die Europäische Union nur Familienunternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern als «mittelständisch». In der Schweiz sind KMU quantitativ noch wesentlich kleiner definiert. Ein durchschnittliches inhabergeführtes KMU in der Schweiz hat zwischen 30 und 150 Mitarbeiter.
Bei allen quantitativen Unterscheidungen gibt es aber qualitative Gemeinsamkeiten. KMU haben in der Regel folgende Stärken:
- Sie sind seit jeher kundenorientiert. Als Nischenproduzenten / -anbieter sind sie es gewohnt, Service zu erbringen und kleine «Serien» zu produzieren.
- Sie waren nie vollständig «taylorisiert». Die starre Arbeitsteilung der Fliessbandproduktion prägte grosse Industrieunternehmen bis in die Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Die Arbeitsteilung und Trennung von Hand- und Kopfarbeit waren in kleinen Unternehmen nie extrem ausgeprägt. Sie gleichen daher bis heute eher klassischen Manufakturen, allerdings mit sehr moderner Ausstattung.
- Die Mitarbeiter sind es gewohnt, mit Kollegen und Vorgesetzten unmittelbar zu kommunizieren und flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren.
Dem stehen oft folgende Schwächen gegenüber:
- In vielen KMU fehlt eine systematische Organisation.
- Sie haben eine geringe Kompetenz in den Bereichen Organisations- und Personalentwicklung.
- Ihre Entwicklungsplanung erfolgt meist kurzfristig.
- Die Personalentwicklung beschränkt sich häufig auf das Management.
Nur zirka ein Drittel der KMU planen denn auch, wie Untersuchungen zeigen, ihre Weiterbildung. Und gar nur 15 Prozent von ihnen stufen ihre Weiterbildungsplanung als «vorausschauend» ein.
Strategisches Denken im Personalbereich
Weil die Weiterbildung weitgehend ad hoc erfolgt, haben viele KMU Defizite in allen Bereichen, die mit einer systematischen Personal- und Organisationsentwicklung zusammenhängen. Eine Ursache liegt im Fehlen von Spezialisten; eine weitere darin, dass viele der Personalleiter, die auch für die Weiterbildung zuständig sind, ein sehr breites Aufgabenfeld haben. Deshalb haben sie für ein konzeptionelles, strategisches Arbeiten kaum Zeit.
Dieses behalten sich in vielen KMU ohnehin die «Eigentümer-Unternehmer» vor. Sie betrachten das Beantworten der personalpolitischen Grundsatzfragen, wozu auch die Personalentwicklung und Entlohnung zählen, häufig als ihre originäre Aufgabe. Folglich beschränkt sich die Kompetenz der Personaler oft auf operative Aufgaben.
Deshalb zeigen viele Personalleiter in KMU ein scheinbar widersprüchliches Verhalten. Sie betonen zwar die Notwendigkeit einer strategischen Personalarbeit, im Alltag sind sie aber primär mit der Personalauswahl und dem Personalcontrolling beschäftigt. Und mit dem Thema Weiterbildung befassen sie sich nur, wenn ein akutes Betriebsproblem wie zum Beispiel zu hohe Kosten oder unzureichende Qualität besteht.
Neue Personal- und Führungskonzepte
Doch zunehmend findet in den KMU ein Umdenken statt. Das hat unterschiedliche Gründe. In den letzten ein, zwei Jahrzehnten haben sich zum Beispiel viele früher handwerklich geprägte Klein- und Mittelbetriebe zu hoch spezialisierten Nischenanbietern entwickelt, die ihren Kunden massgeschneiderte Problemlösungen bieten. Das spiegelt sich in der Struktur ihrer Mitarbeiter wider. Sie ist heute viel heterogener als noch zur Jahrtausendwende. Zudem haben ihre Mitarbeiter häufiger einen akademischen Abschluss – zum Beispiel als Ingenieur oder Betriebswirt. Und diese Mitarbeiter stellen ausser an ihre Arbeit auch an ihre Führung andere Anforderungen als die Mitarbeiter in der Vergangenheit.
Zudem spüren gerade die mittelständischen Unternehmen, die häufig «Hidden Champions in der Provinz» sind, die Folgen des demografischen Wandels. Es fällt ihnen zunehmend schwer, hoch qualifizierte und motivierte Mitarbeiter zu finden und langfristig an sich zu binden. Auch deshalb stellen zurzeit viele KMU ihre Personalführungs- und -entwicklungskonzepte auf den Prüfstand. Dabei lautet die zentrale Frage: Wie können wir unsere Personalarbeit sowie Unternehmens- und Führungskultur so modernisieren, dass sie einerseits den (Arbeits-)Marktanforderungen entspricht und wir andererseits nicht die spezifischen Stärken eines mittelständischen Unternehmens verlieren? Denn klar ist: Ein Irrweg wäre es, die Personalentwicklungs- und Führungskonzepte der Konzerne – in abgespeckter Form – auf die KMU zu übertragen. Denn dies entspräche nicht ihrem Bedarf. Zudem ginge hierdurch die Identität der KMU verloren. Also müssen KMU-Verantwortliche eigene, passgenaue Lösungen entwickeln. Hierzu können die KMU auch auf staatliche Unterstützung und Förderprogramme zurückgreifen.
Neues Selbst- und Führungsverständnis
Doch Förder- und Entwicklungsprogramme nutzen wenig, solange nicht die Eigentümer-Unternehmer ihre Einstellung und ihr Verhalten ändern. Für viele KMU-Inhaber gilt: Sie sind von Haus aus zum Beispiel Techniker oder Ingenieure. Und in diesem Bereich liegt auch ihre Leidenschaft. Dass sie hingegen nun zudem «Chefs» einer grösseren Zahl von Mitarbeitern sind, ist eher ein Ausdruck ihrer Persönlichkeit – also ihres Strebens nach Unabhängigkeit und ihres Bedürfnisses, etwas zu bewegen – als das Resultat eines gezielten Wollens.
Deshalb hört man von ihnen oft Aussagen wie: «Ich bin Programmierer aus Leidenschaft, doch nun muss ich auch noch 30 Menschen führen.» Oder: «Die Arbeit würde mir viel mehr Spass machen, wenn ich mich nicht um diesen Personalkram kümmern müsste.» Entsprechend wenig Bedeutung messen sie der Führungsarbeit bei – auch weil es bei ihr so stark «menschelt». Denn eigentlich beschäftigen sie sich lieber mit Zahlen und Fakten sowie dem Entwickeln neuer Produkte und Problemlösungen.
Zugleich fällt es ihnen jedoch schwer, zumindest Teile der Führungsarbeit völlig loszulassen und zu delegieren – unter anderem, weil sie sich mit ihrem «Kind», dem Unternehmen, so stark identifizieren. Im Gegenteil! Häufig regieren sie im Betriebsalltag nicht nur in die Kompetenzbereiche ihrer Mitarbeiter, sondern auch ihrer Führungskräfte hinein. Zum Beispiel indem sie Mitarbeitern Anweisungen erteilen, ohne dies zuvor mit deren unmittelbaren Vorgesetzten abzustimmen. Oder indem sie Entscheidungen und Planungen ihrer Führungskräfte und Mitarbeiter – en passant – über den Haufen werfen und diesen so signalisieren: Letztendlich habe ich hier das Sagen. Das frustriert gerade junge, hoch motivierte Mitarbeiter, die beruflich nicht in der Kultur von KMU sozialisiert wurden, oft sehr – weshalb sie häufig nach zwei, drei Jahren den Arbeitgeber wechseln.
Das Führungsverhalten auf den Prüfstand
Daran wird sich so lange nichts ändern, wie die Eigentümer-Unternehmer nicht akzeptieren, dass sie – aufgrund des Wachstums ihrer Unternehmen und der veränderten Erwartungshaltung der Mitarbeiter – nicht nur mehr Zeit in das Führen ihrer Mitarbeiter investieren, sondern auch ihr Führungsverhalten verändern müssen. Entsprechend wichtig ist es, dass sie regelmässig ein Feedback über ihr Führungsverhalten und dessen (unbeabsichtigte) Wirkungen erhalten.
Theoretisch können dieses Feedback ihnen ihre Mitarbeiter geben. Doch praktisch ist dies nur bedingt möglich. Denn aufgrund der übermächtigen Stellung der Eigentümer-Unternehmer in ihren Unternehmen sowie ihrer existenziellen Abhängigkeit von ihnen sind die Mitarbeiter – zu Recht – meist sehr vorsichtig mit dem Feedback-Geben. Was sie stört, sagen sie dem «Chef» maximal durch die Blume. Deshalb empfiehlt es sich, wenn sich die Führungskultur real ändern soll, zum Beispiel einen erfahrenen Führungskräftecoach mit ins Boot zu holen, der den Eigentümer-Unternehmer unter anderem auf seine blinden Flecken im Bereich Führung hinweist und diese mit ihm bearbeitet.
Weitere Informationen:
www.im-prove.de