Trotz der Digitalisierung bleibt die persönliche Beratung für komplexe Versicherungen zentral. Es ist deshalb stossend, dass die Branchenvereinbarung Vermittler (BVV) an den Eigenvertrieb nicht die gleich hohen Ausbildungsanforderungen stellt wie an externe Vermittler.
Covid-19 hat den schon vor der Pandemie herrschenden Trend, viele Geschäftsinteraktionen ins Internet zu verlegen, noch deutlich beschleunigt – und die Digitalisierung schreitet auch im Versicherungsmarkt rasch voran. Versicherungsvermittler müssen auf die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden reagieren, denn diese haben den digitalen Service rund um die Uhr, nahtlose Omnichannel-Reisen und personalisierte Angebote entdeckt. Diese überzeugende Kombination erwarten sie nun nicht nur beim Online-Shopping sondern auch bei allen anderen Produkten und Dienstleistungen. Versicherungskunden wünschen die einfache Verfügbarkeit von Informationen, Kosten- und Leistungstransparenz, eine Vergleichbarkeit der Angebote sowie individuell zugeschnittene Lösungen.
Zudem möchten sie die Versicherungsanträge gleich elektronisch unterschreiben und nicht warten, bis die Dokumente eine Woche später per Post zugestellt werden. Nach Abschluss der Police soll jederzeit der Zugang zu den eigenen Daten und Produkten gewährleistet und ihre Bewirtschaftung und Änderung möglich sein. Kundinnen und Kunden fordern auch bei Versicherungslösungen mehr Flexibilität und benutzerfreundliche Applikationen.
Benutzerfreundliche Apps und Technologieplattformen
Versicherer können vor allem in zwei Bereichen von einer Digitalisierung profitieren, nämlich betreffend Kundenorientierung und Technologieplattformen. Kundenorientierung heisst, dass die Kundinnen und Kunden – und ihre Bedürfnisse – ins Zentrum sämtlicher Aktivitäten und Prozesse gestellt werden. Sie erhalten über einfach handhabbare und interaktive Applikationen jederzeit Zugang zu digitalen Dienstleistungen, zu ihren Versicherungsverträgen und zu relevanten Informationen. Die Beratung der Kunden kann ebenfalls mit digitalen Hilfsmitteln stattfinden, zum Beispiel anhand benutzerfreundlicher Analysetools im Vorsorgebereich oder Erklärvideos. Der Versicherungsabschluss erfolgt online mittels digitaler Unterschrift, SMS-Code oder E-Signatur-Lösungen.
Vernetzte, kooperative Plattformen sind ein technologisches Ökosystem, in dem Angebote und Kompetenzen verschiedener Akteure über digitale Schnittstellen unkompliziert miteinander verbunden werden. Sie sind für Kunden von grossem Nutzen und vereinfachen die Verarbeitung für Vermittler deutlich – Schnelligkeit, Übersichtlichkeit und Transparenz werden immer wichtiger. Versicherungsvermittler erhalten nur noch vollständige Anträge und Gesundheitsdeklarationen, und zum Teil ist eine direkte Risikoeinschätzung möglich. Die Praxis zeigt, dass die Rückzugsquoten beim digitalen Versicherungsabschluss tendenziell tiefer sind, da der Kunde volle Transparenz hat und direkt Antragskopien erhält. Die Digitalisierung der Abläufe und Prozesse erleichtert auch die administrative Abwicklung beim Versicherer, da ein Informationsgleichstand herrscht. Dort gibt es jedoch noch einigen Verbesserungsbedarf, da die meisten Versicherungen noch nicht alle Prozesse durchgehend digitalisiert haben.
Ohne persönliche Beratung geht es nicht
Vermittler stehen heute also Kundinnen und Kunden gegenüber, die ein breites Angebot an digitalen Dienstleistungen erwarten. Aber das ist nicht alles: Sie wünschen diese Dienstleistungen in Kombination mit einer persönlichen Beratung. Der Grund dafür ist, dass der Digitalisierung von Versicherungsabschlüssen Grenzen gesetzt sind. Die Gegenüberstellung und Evaluation von Versicherungen und ihren Leistungen auf den beliebten Vergleichsportalen ist nicht immer zielführend.
Gerade im Krankenversicherungsbereich können sich auf den ersten Blick ähnliche Versicherungen in Bezug auf Leistungen und Restriktionen stark unterscheiden, und ein Prämienvergleich allein reicht nicht. Entsprechende Konvertierungsquoten über Vergleichsportale sind denn auch tief. Nach wie vor besonders wichtig ist die menschliche Komponente im Vorsorgebereich. Dort müssen passende Lösungen im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung erarbeitet werden, die persönliche und professionelle Beratung ist für komplexe Vorsorgeprodukte unabdingbar.
Überall dort, wo es trotz intelligenter, digitaler Tools offene Fragen gibt, kommt nach wie der Mensch ins Spiel – und deshalb kommt der Qualität und Ausbildung der Versicherungsvermittler eine besonders grosse Bedeutung zu. Die Anforderungen sind im hart umkämpften Markt und als Folge der digitalen Transformation gestiegen: Im riesigen Produktdschungel sind die richtige Beratung und korrektes Agieren zum richtigen Zeitpunkt anspruchsvoller denn je.
Strengere und weniger strenge Anforderungen
Im Krankenversicherungsbereich ist die von den beiden Gesundheitsverbänden Santésuisse und Curafutura ausgearbeitete «Branchenvereinbarung Vermittler (BVV)» Anfang Januar in Kraft getreten. Zweck dieser neuen Vereinbarung ist, die Qualität der Beratung und der Abschlüsse in Grund- und Zusatzversicherung zu verbessern, die Höhe der Vermittlungsprovisionen zu begrenzen und unerwünschte Werbeanrufe (Kaltakquise) zu verhindern.
Sie macht dabei fragwürdige Unterschiede zwischen dem eigenen Aussendienst der Krankenkassen und externen Vermittlern: Die Vorschriften in Bezug auf Qualität und Ausbildung im Eigenvertrieb sowie auf die Abschlusskosten unterliegen nicht den gleich strengen Anforderungen wie der externe Vertrieb. Diese Unterscheidung macht keinen Sinn, im Gegenteil. Wenn es um die Kundinnen und Kunden geht, dann müssen die Qualitätsvorschriften für alle gelten, sodass schlechte Berater nicht bei dem eigenen Aussendienst oder bei akquirierten Tochterfirmen Unterschlupf finden können. Es braucht dringend eine Präzisierung der BVV. Die Kunden haben Anrecht auf eine qualitativ hochstehende und unabhängige Beratung – und es müssen die gleichen Massstäbe für Eigenvertrieb und externe Vermittler gelten.
Um die Chancen der Digitalisierung in Kundenakquise und Kundenberatung voll nutzen zu können, müssen Versicherer die kontinuierliche Weiterbildung ihrer internen und externen Vermittler sicherstellen. Auch dort bieten neue Technologien grosse Vorteile, sei es durch interaktive Schulungs-Apps oder digitale Ausbildungsplattformen für sämtliche Produkte und neue regulatorische Anforderungen.