Bei dem Stichwort Seidenstrasse haben wir sehr alte Bilder im Kopf. Bilder von langen Kamelkarawanen, die durch unendliche Steppenlandschaften ziehen. Diese exotischen Szenen sind Vergangenheit – vielleicht noch für Touristen ein Motiv. Die neue Seidenstrasse ist das grösste Infrastruktur- und Transportprojekt der Gegenwart. Die teilnehmenden Länder – allen voran China mit seinen geostrategischen Ambitionen – sind die zielstrebigen Treiber. Kasachstan präsentiert sich in diesem Rahmen nicht nur als wichtiges Transitland, sondern als Brückenbauer.
Zentrale Güterbahnhöfe in Europa erlebten in den letzten Jahren immer wieder beeindruckende Szenarien. Es ging und geht um sehr lange Containerzüge aus China, die blumengeschmückt in den Güterknotenpunkten eintrafen. Das ist aus europäischer Sicht eine Überraschung, da hier zwar seit Jahren davon in Sonntagsreden das Thema «Güter auf die Schiene» ganz oben auf der Agenda steht, in der Praxis die Lkw-Staus auf den Autobahnen aber immer länger werden. Das Güteraufkommen auf der Schiene im Vergleich
zu Strasse, Luft und Wasser stagniert. Das Projekt der «Transeuropäischen Netze» ist in Europa schon in den Neunzigerjahren beschlossen worden. Dort wurde die Grundlage für den massiven Ausbau des Schienennetzes, auf dem grosse Teile der Güter mittels Achsen, wie Rotterdam nach Mailand, rollen sollten, beschlossen. Die Schweiz hat mit den Basistunneln ihre Hausaufgaben gemacht, aber sonst ist das Projekt aus europäisch verkehrspolitischer Sicht bislang ein Armutszeugnis.
Neue Wirtschaftskorridore
Da drehen die Verantwortlichen in China an einem ganz anderen Rad. Das ursprünglich
als «One Belt, One Road» gestartete Projekt bündelt seit 2013 die Interessen und Ziele der Volksrepublik China unter Staatspräsident Xi Jinping zum Neu- und Ausbau interkontinentaler Handels- und Infrastruktur-Netze zwischen der Volksrepublik und in über 67 weiteren Ländern Afrikas, Asiens und Europas. Nun heisst das imposante Projekt «Belt and Road Initiative » (BRI). Zentrale Bausteine sind zwei der insgesamt sechs Komponenten des Seidenstrassen-Wirtschaftsgürtels, der die Landwege der BRI vereint. Erstens die neue (oder zweite) eurasische Landbrücke mit den Endpunkten Lianyungang in der chinesischen Provinz Jiangsu und Rotterdam in den Niederlanden sowie zweitens der
China-Zentralasien-Westasien-Wirtschaftskorridor zwischen der autonomen Provinz
Xinjiang im Westen Chinas sowie Iran und der Türkei.
Entlang der gesamten projektierten Korridore und Routen entstehen laufend neue
Infrastruktureinrichtungen, und nach der anfangs noch groben Planung gehen immer
mehr konkrete Projekte in Asien, Afrika und Europa in Umsetzung. Parallel dazu nimmt auch der Warenverkehr auf der Seidenstrasse stetig zu.
Argumente für die Schiene
Lange Zeit hat die Russlandroute, im Rahmen der berühmten Transsibirischen Eisenbahn,
bei dieser Transportvariante auch zwischen China und Europa die Nase vorn gehabt. Der transnationale Güterverkehr blieb aber immer eine Nischenveranstaltung. Mit der Eröffnung des riesigen Trockenhafens Khorgos, der Ende 2012 in Betrieb genommen wurde, wächst der Umschlag im Containerverkehr an der kasachisch-chinesischen Grenze Jahr um
Jahr. Kasachstan wurde zum zentralen Transitland zwischen China und Europa. Die Schiene gewinnt gegenüber der Luftund der Seefracht immer mehr an Bedeutung. Und das hat Gründe. Die Seeroute ist immer noch die billigste Variante, allerdings auch die mit dem längsten Zeitraum. Unter einem Monat geht gar nichts. Man sollte eher mit sechs bis acht Wochen rechnen. Luftfracht ist logischerweise die ganz schnelle Variante, aber aus Kostengründen rechnet sie sich bei der ganz grossen Mehrheit der Transportprodukte
nicht. Daher kommt hier die Schiene zum Zug. Mit der Eisenbahn sind die Produkte etwa um die zehn Tage unterwegs, und auch die Kosten sind inzwischen nicht wesentlich
höher als die Seefracht. Durch die verbesserte Logistik wird der Bahntransport auch immer effizienter. Auch dies spart Zeit und Geld. Immer mehr geht es zudem um die ökologische Frage. Auch hier hat die Bahn gegenüber See- und Luftfracht, aber auch gegenüber dem Lkw klare Vorteile. Es spricht folglich vieles für das Thema Güter auf den Zug. Wo liegen
die Herausforderungen der Schiene? Noch immer müssen erstens die Güter umständlich
von der Breitspur, noch aus sowjetischen Zeiten, auf die europäische Normalspur verladen werden. Solange noch Dieselloks das Szenario bestimmen und noch nicht alle Strecken elektrifiziert sind, bleibt zweitens der ökologische Vorteil auf der Strecke.
Neue Aufstellung Kasachstans
Aufgrund seiner günstigen geografischen Lage wird Kasachstan, der grösste Binnenstaat
der Erde, zunehmend zu einer wichtigen Drehscheibe für den Warenhandel Chinas mit Ländern in Europa und Westasien. Kasachstan spielt im Rahmen der BRI-Initiative gleich für zwei Wirtschaftskorridore eine tragende Rolle.
Für China hat dies den Vorteil, dass es sich damit unabhängiger von Russland macht,
dessen wirtschaftlichen und vor allem politischen Beziehungen nach Europa gerade
eher kühl sind. Zudem kann aufgrund der kurzen Transportzeit nun auch leicht verderbliche
Ware billig in China produziert und nach Europa exportiert werden. Aber auch andere südostasiatische Länder wie Vietnam haben nun neue und bessere Transportlösungen zur Verfügung.
Die Botschaft in Bern wird aktuell von Botschafter Alibek Bakayev geleitet. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Förderung der Handelsbeziehungen, des kulturellen Austausches sowie des Tourismus zwischen Kasachstan und der Schweiz. Bislang residierte man eher versteckt in Genf. Dies soll sich jetzt in Bern ändern. Die Verantwortlichen gehen auch medienpolitisch in die Offensive.
Das grösste zentralasiatische Land und die Schweiz unterhalten seit Jahrzehnten enge wirtschaftliche Beziehungen, was die strategische und wirtschaftliche Bedeutung Kasachstans für die Schweiz untermauert. Heute sind nicht weniger als 40 bekannte Schweizer Unternehmen wie ABB, Nestlé, Roche, Novartis, Georg Fischer, Schindler, Hilti, Stadler Rail und Clariant in Kasachstan präsent.
Allerdings sollten Projekte mit nüchternem Realismus angegangen werden. In den letzten Jahren ist der Handels- und Wirtschaftsliberalismus der Neunzigerjahre an seine geopolitischen Grenzen gestossen. Russland, China und die USA haben ihre eigene Agenda. Länder wie Kasachstan, die dazwischen liegen, drohen in eine Sandwich-Position zu kommen. Die Chancen in Kasachstan für nicht chinesische Akteure, um bei Projekten
zum Zuge zu kommen, die mit chinesischer Finanzhilfe verfolgt oder zukünftig umgesetzt werden, ist eher als schwierig einzuschätzen. Trotzdem gibt es im Rahmen dieser gewaltigen Projekte einige Chancen für Schweizer Unternehmen zu entdecken.