Wer seinen Energieverbrauch senkt, spart Geld. Personen, die ihren Energieverbrauch senken wollen, nehmen gern die telefonische oder persönliche Beratung von Fachpersonen in Anspruch. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtzürcher Stromversorgers ewz führen im Callcenter jedes Jahr rund 2 600 Beratungsgespräche zu Energieeffizienz-Themen. Hinzu kommen mehrere Hundert persönliche Beratungen für Private und Geschäftskunden. Letzteren wird ein Kurzcheck für verschiedene Branchen angeboten.
Energieberatung gelingt auch online: 2014 wurden 40’000 der 180’000 ewz-Haushalte per Brief eingeladen, sich auf einem Webportal über Effizienzangebote zu informieren. 3000 Kunden folgten der brieflichen Einladung. «Mit einer persönlich formulierten Einladung ist es uns gelungen, Interesse für unser Online-Angebot zum Thema Energieeffizienz zu wecken», sagt Marcel Wickart, Leiter des ewz-Ressorts Strategische Energieberatung und Entwicklung. Sind Kunden offen für eine Energieberatung, resultieren oft erkleckliche Einsparungen. Allerdings bedarf es eines grossen Aufwands, die Leute überhaupt auf das Thema Energieeffizienz zu bringen. «Die Leute rennen uns nicht die Tür ein», sagt Marcel Wickart.
Auswertung von Smart-Meter-Daten
Die Erfahrungen der Stadt Zürich teilen Energieberater landauf, landab. Entsprechend gesucht sind neue Wege, damit Energieberater ohne grosse Streuverluste jene Personen ansprechen können, bei denen die Beratungsangebote Früchte tragen. «Damit Energiespartipps bei den Kunden auf Resonanz stossen, müssen sie auf den jeweiligen Haushalt zugeschnitten sein. Für dieses individuelle Ansprechen benötigen Energieversorger ein besseres Wissen über ihre Kunden – und zwar haushaltsbezogen», sagt Prof. Thorsten Staake. Staake hat Elektrotechnik studiert und in Technologiemanagement promoviert. Heute ist er Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Bamberg und leitet an der ETH Zürich das «Bits to Energy Lab», das gemeinsam mit den Universitäten St. Gallen und Bamberg untersucht, wie sich nachhaltiger Energiekonsum durch Verbindung von Informationstechnologie und Verhaltenswissenschaften fördern lässt.
In einem zweijährigen Forschungsprojekt im Auftrag des BFE hat das Team um Staake jetzt einen neuen Weg entwickelt, um die Wirkung von Energieberatung durch Nutzung von Smart-Meter-Daten zu erhöhen. Dafür spannten die Wissenschaftler mit der Arbon Energie AG zusammen; der Thurgauer Energieversorger hat die 9 000 von ihm versorgten Haushalte mit kommunikationsfähigen Stromzählern ausgerüstet. Diese Smart Meter messen den Stromverbrauch der Haushalte im Viertelstunden-Takt und übermitteln die Daten an den Stromversorger. Smart Meter-Daten liefern die Grundlage für die Stromrechnung und sollen künftig neuartige Dienstleistungen möglich machen.
22 Haushaltsmerkmale bestimmt
Smart Meter zeichnen das Lastprofil eines Haushalts – also den Stromverbrauch im Zeitverlauf – detailliert auf. Die Forscher um Staake haben es sich zur Aufgabe gemacht, mithilfe der Lastprofile möglichst viel über den zugehörigen Haushalt zu erfahren. Dazu gehörten beispielsweise Fragen, wie viele Personen in einem Haushalt leben, ob elektrisch gekocht wird und ob dort alte, mittlere oder neue Elektrogeräte im Einsatz sind. Um aus den Lastprofilen die entsprechenden Antworten abzuleiten, nutzten die Wissenschaftler einen selbstlernenden Algorithmus, der an den realen Daten ausgewählter Haushalte trainiert und getestet wurde (vgl. Textbox).
Dank ihrer Methode können die Wissenschaftler allein aus dem Lastprofil 22 Haushaltsmerkmale bestimmen, wobei die Treffsicherheit nach Merkmalen variiert (vgl. Grafik 01). Um es an einem Beispiel zu veranschaulichen: Den Haustyp konnten die Forscher mit 46 %iger Treffsicherheit ermitteln, also für 46 von 100 Haushalten korrekt voraussagen, ob ein Haushalt zur Klasse a) Wohnung, b) Einfamilienhaus, c) Doppelhaushälfte oder d) Reihenhaus gehört. Der Algorithmus erlaubt also nicht eine sichere Klassifikation, aber eine Zuordnung, die in der Regel deutlich verlässlicher ist als der blosse Zufall (Biased Random Guess; in Grafik 01 ausgedrückt durch die blauen Säulen). Bei vier Merkmalen erreichen die Forscher mit ihrem Algorithmus eine Treffsicherheit von über 70 %: «Kochherd», «Photovoltaikanlage», «Haushaltstyp», «Schnelles Internet über Glasfaser» (Bekanntheit der Technologie). Bei weiteren 16 Merkmalen liegt die Treffsicherheit zwischen 40 und 70 %.
Zusätzliche Daten erhöhen Treffsicherheit
Mit dem Ziel, die Treffsicherheit weiter zu erhöhen, fütterten die Wissenschaftler ihren Algorithmus – neben den Lastprofilen – mit weiteren Daten, die öffentlich verfügbar sind, nämlich mit Wetterdaten (z. B. Temperatur-, Wind- und Niederschlagswerte) und mit Geoinformationen (z. B. OpenStreetMap, GeoNames). Mit diesen Zusatzinformationen konnten sie die Treffsicherheit in den meisten Fällen nochmals deutlich erhöhen (beim Merkmal «Haustyp» beispielsweise von 46 auf 67 %). Jetzt konnten elf von 22 Merkmalen mit über 70 %iger Treffsicherheit bestimmt werden. Die Auswertung zeigt auch: Die Treffsicherheit kann bei einzelnen Haushaltsmerkmalen höher sein, wenn man nicht alle Daten einbezieht. So lässt sich die Frage, wie ein Haushalt das Warmwasser erzeugt (Merkmal «Warmwasser») zuverlässiger voraussagen, wenn man nur auf Smart-Meter- und Wetterdaten abstellt und die Geodaten nicht einbezieht.
«Aus unserer Sicht gelingt die Klassifikation der Haushalte mit unserem Algorithmus sehr gut», sagt Dr. Mariya Sodenkamp von der Universität Bamberg, die den Forschungsbereich Data Analytics am Bits to Energy Lab verantwortet und das Forschungsprojekt geleitet hat. «Zwar können wir nicht alle Merkmale mit gleicher Treffsicherheit erkennen, aber doch jene Merkmale, die für eine kundenspezifische Energieberatung von Bedeutung sind. Hinzu kommt, dass wir einzelne Klassen eines Merkmals oft noch besonders treffsicher ermitteln können.» Zu den für die Energieberatung relevanten Merkmalen gehört etwa die Frage, wie ein Haushalt heizt (Merkmal «Heizung»), was der Algorithmus mit 76 %iger Treffsicherheit erkennt. Beratungsrelevant ist auch die Frage, ob eine Wohnung Eigentum ist oder gemietet wird (Merkmal «Wohnverhältnis»; 73 % Treffsicherheit). Oder die Frage, ob im Haus eine Solaranlage vorhanden ist (Merkmal «Solaranlage»; 96 % Treffsicherheit).
Innovatives Werkzeug für Energieversorger
Der grosse Vorteil: Der an 530 Arbon-Energie-Haushalten «geschulte» Algorithmus ist in der Lage, die Merkmale der übrigen rund 8 500 Arbon Energie-Haushalte mit beachtlicher Treffsicherheit vorherzusagen – und dies allein auf der Grundlage der Lastprofile aus den Smart Metern und öffentlich zugänglicher Wetter- und Geodaten. Dies versetzt den Energieversorger in die Lage, Haushalte z. B. per Mail oder Brief individuell anzusprechen. «Wir prüfen die neuartige Technologie dahingehend, ob wir sie ab dem kommenden Jahr dafür nutzen, unseren Kunden per Post massgeschneiderte Angebote zur Erhöhung der Energieeffizienz zu unterbreiten», sagt Silvan Kieber, Geschäftsführer der Arbon Energie AG. Das kann zum Beispiel heissen, gezielt jenen Haushalten zum Ersatz der Elektrogeräte zu raten, bei denen der Algorithmus vermutet, dass die Elektrogeräte veraltet sind. Die Wissenschaftler von ETH und Universität Bamberg möchten mit begleitender Forschung die Wirksamkeit des innovativen Beratungskonzepts ermitteln. Im Erfolgsfall stünde ein Werkzeug bereit, das auch andere Energieversorger einsetzen könnten, um die Wirksamkeit von Energieberatungs- und Effizienzmassnahmen zu steigern. Da persönliche Kundendaten im Spiel sind, kommen nur Anwendungen in Frage, die den Anforderungen des Datenschutzes genügen.
Wie erfolgreich die neue Methode arbeitet, dürfte sich schon im laufenden Jahr zeigen. Arbon Energie will den Algorithmus nämlich für das Marketing von schnellem Internet auf Glasfasertechnologie («Fiber-to-the-home» / FTTH) einsetzen. Der Algorithmus kann nicht nur ermitteln, ob die Bewohner eines Haushalts FTTH kennen (93 % Treffsicherheit), sondern auch, wie gross die Kaufbereitschaft ist (62 % Treffsicherheit). «Wir haben das Projekt der Forscher aus Zürich und Bamberg mit beträchtlichem Aufwand unterstützt und freuen uns nun, dass wir die Resultate nutzen können, um gezielt jene Kunden anzusprechen, die dem schnellen Internet über Glasfaser aufgeschlossen gegenüberstehen», sagt Silvan Kieber.
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