wir waren in fellbach bei Stuttgart auf dem elo ecM-fachkongress. es ging darum, hinter die Kulissen des Schlagworts Künstliche intelligenz (Ki) zu schauen. inzwischen hilft Ki unternehmensverantwortlichen, veraltete Prozesse zu optimieren und besser dem wettbewerbsdruck standzuhalten. doch kann sie noch mehr? ist Ki ein game changer, der das Business und seine regeln völlig neu vom Kopf auf die füsse stellt? wir besuchten in erster linie die Keynotes von elo-ceo Karl Heinz Mosbach und unternehmer und wissenschaftler Prof. dr Peter gentsch sowie die Pressekonferenz mit dem elogeschäftsführer.
Stuttgart ist nicht nur eine Wiege des Autobaus – Daimler und Porsche sind hier die zwei bekanntesten Namen –, der Raum Stuttgart war auch der Geburtsort der modernen Büro-Kommunikation: dem Leitz-Ordner. In der Schweiz ist der Leitz-Ordner mit dem Bundesordner von Biella vergleichbar. Diese waren das zentrale Aufbewahrungs- und Ordungssystem in früheren Büros.
Die erste Software, die Daten in den Griff bekommen und das Papier ersetzen sollte, orientierte sich noch, selbst im Namen, an den alten Ordnerstrukturen: Der elektronische Leitz-Ordner (kurz ELO) war zunächst als Einstiegssoftware für Archivierung und Dokumentenmanagement konzipiert. Er erfreute sich rasch grosser Beliebtheit, nicht zuletzt aufgrund der intuitiven Benutzerführung und des konventionellen Ablageprinzips nach Aktenschrank, Ordner oder Register. «Als ich gemeinsam mit meinem Geschäftsführerkollegen Matthias Thiele 1998 die ELO Digital Office GmbH aus dem Leitz-Konzern ausgliederte und als eigenständiges Unternehmen am Markt platzierte, war das papierlose Büro unsere Vision. Recht schnell rückte dann aber vor allem die Optimierung der Geschäftsprozesse in den Mittelpunkt unseres Handelns», erinnert sich Karl Heinz Mosbach.
Umfassende Produktfamilie
«Mittlerweile haben wir zwar immer noch nicht das papierlose Büro, dafür ist das Produktportfolio von ELO nicht nur einige Generationen fortgeschritten, sondern es entwickelt sich mit immer neuen Modulen stetig weiter», ergänzt Mosbach. So sind Collaboration, Integration, Mobilität, intelligente Suche, eine HR-Lösung und Workflow nicht nur Schlagworte, sondern gelebte Realität. Insgesamt unterstützt die ELOProduktfamilie Unternehmen dabei, Informationen effizient zu erfassen, zu verwalten, zu nutzen oder zu teilen – allesamt Grundvoraussetzung für die digitale Transformation.
schwache und starke KI
Zunächst stellt sich bei einem Trendwort wie KI die Frage, was man darunter versteht. Die Bandbreite der Interpretationen ist in der öffentlichen Diskussion sehr weit gefasst. Für Mosbach ist KI zunächst eine grosse Chance, und ELO arbeitet auch nicht erst seit gestern mit ihr. «Wir setzen KI zur Klassifikation von Daten schon lange ein. Zum Beispiel beim Rechnungseingang, um unstrukturierte Informationen analysieren und einordnen können. Das sind Systeme, die sich auch selbst optimieren. Der Mensch habe aber weiter die Kontrolle über die Prozesse», betont Mosbach.
Der CEO von ELO kann hier einen persönlich geprägten Blick in die Geschichte der KI werfen. Es geht um KI in der Bilderkennung. Karl Heinz Mosbach hat vor 35 Jahren an der Hochschule in Saarbrücken dazu eine Forschungsarbeit geschrieben und programmiert, die sich mit mathematischanalytischen Werten befasste. Mithilfe mathematischer Modelle habe man das System gefüttert und zum Laufen gebracht. Es ging um Werkstücke mit ihren Flächen und Umfängen. Im Ergebnis konnte ein Roboter das Werkstück richtig greifen.
Heute hat man sehr viel schnellere Rechner, die viel mehr Daten in kürzerer Zeit verarbeiten können, und arbeitet sogar schon mit künstlichen neuronalen Netzen. Dies befeuert weltweit die euphorischen Träume von IT-Freaks. Mosbach sieht das etwas nüchterner. Bekanntlich setze sich nicht jede Technologie, die funktioniert, auf einem Massenmarkt durch und auch nicht jede Zielvorstellung, wie das papierlose Büro, verwirkliche sich. Laut Mosbach gehe es auch um sehr umfangreiche, aber gleichzeitig stupide Lernprozesse. Die Systeme werden immer wieder neu antrainiert. «Das geht vereinfacht so: Man zeigt dem Rechner Bilder wie beispielsweise die einer Katze – aber auch von anderen Tieren. Irgendwann kann der Rechner dann die Katze erkennen.»
Wie viele Trainingsanläufe braucht es im Alltag bei der Bereitstellung einer Software? «Das geht im Rahmen von Bürolösungen schnell – nehmen wir hier die Bearbeitung von Rechnungen als Beispiel. Man fängt ja nicht bei null mit einem nackten System an, sondern hat über die Jahre Trainingsmengen gesammelt, und die hat das System bereits in seinem Handlungskoffer. Der Standardisierungsgrad ist hoch», erklärt Mosbach und führt fort: «In jeder Rechnungsbearbeitungslösung, die wir heute verkaufen, ist bereits eine automatische Klassifizierung dabei.» Das ist inzwischen auch preiswert, da der Standardisierungsgrad bei Rechnungen sehr hoch ist. Die Rechnungserfassung geschieht heute automatisiert, niemand muss Daten mehr manuell erfassen und eingeben.
So können wir schwache KI definieren. Man bildet einfachere Prozesse nach und optimiert sie. Was ist aber demgegenüber starke KI? Nach der Definition von Alan Turing aus dem Jahre 1950 kann KI dann als stark bezeichnet werden, wenn sie in der Lage sei, ein Verhalten zu zeigen, das sich nicht vom Verhalten eines intelligenten Menschen unterscheiden liesse. So weit sind wir noch nicht. Wir sprechen zwar schon mit Alexa oder Chat-Bots unserer Bank, wissen aber oder merken es nach Zwischenfragen schnell, wer da spricht.
Auf den ersten Blick können Rechner heute beeindruckende Leistungen erbringen. Sie schreiben Fortsetzungsromane von Harry Potter und malen Bilder im Stil von Rembrandt. Beim Thema Schach ist KI schon seit Jahren im Vorteil. Vor fünf Jahren haben Forscher ein KI-System entwickelt, das sich selbst das Spiel «GO» – das noch wesentlich komplexer als Schach ist – beibringen kann. Man gibt nur Spielregeln vor und startet umfangreiche Lernprozesse. Inzwischen schlägt die Software jeden Grossmeister. Die Geschwindigkeit ist dabei fast schon erschreckend. Mosbach spricht hier aber sofort einschränkend von einem Abklatscheffekt. Man nehme alte Informationen und kombiniere diese neu. Es gebe ja auch KI, die Bachkompositionen nachbauen könne. «Das wird aber nie etwas wirklich Neues sein. Wenn man die Musik mehrfach hören würde, kommt Langeweile auf. Es wirkt künstlich – eben ein Abklatsch.
Es fehlt die emotionale Komponente. Das kennen wir aus SF-Fernsehserien wie «StarTrek», in der Commander Data als menschlicher Roboter einen Emotionschip hat, von dem er aber immer wieder enttäuscht ist.
euphorische Prognosen Und die Realität
Ein Computer kann den Menschen bei Spielen wie Schach und GO schlagen, der mit unendlich vielen Daten und Szenarien gefüttert und trainiert wurde. Bei Abarbeitung der Szenarien ist er schneller als der Mensch, da er darauf getrimmt oder programmiert wurde. KI kann hochkomplexe Prozesse nachbilden, KI kann aber von sich aus nicht ohne Grundlagen rechnen. Wir befinden uns hier immer noch in einem sehr engen Kanal. Schwache KI ist schon im Einsatz und sie wird an Bedeutung gewinnen. Aber schon beim Thema autonomes Fahren gibt es noch viele Hürden. Unser Auto kann inzwischen selbst einparken, sogar wirklich autonomes Fahren ist technologisch möglich, wird aber allein wegen ethischen und rechtlichen Fragen in der Praxis bisher nicht umgesetzt. Ein Google-Boss hat vor zehn Jahren prophezeit, man könne 2017 ein autonom fahrendes Auto kaufen – natürlich von Google. Mosbach kommt an diesem Punkt auf die vielen euphorischen Prognosen von IT-Managern zu sprechen: «ITManager unterschätzen komplexe Situationen, die ja schnell im Alltag des Verkehrs auf unseren Strassen zu erkennen sind.» Auch tragische Beispiele wie die Unfälle der Boeing 737 Max warnen uns.
KI frisst Software
Professor Dr. Peter Gentsch kam frisch vom WEF in Davos und sprühte vor Energie. Für ihn ist KI ein fundamentaler Game Changer. Wie die Dampfmaschine in der ersten industriellen Revolution werde sie unsere Welt fundamental verändern. Sie werde Spielregeln von Unternehmen neu definieren. Das heisst in der Konsequenz, dass es eine neue Balance zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz geben werde. Hier geht es nicht mehr nur darum, dass eine KI bei einem Bewerbungsprozess eine Vorauswahl treffen kann. Die Prognose von Gentsch lautet «Software is eating the world … KI is eating Software».
Springen wir wieder in die Praxis. Wie viel Prozent der Prozesse aus dem Büro oder in der Fertigung kann man nun in den nächsten Jahren maschinell mithilfe der KI nachbilden? Professor Dr. Peter Gentsch war da sehr optimistisch und sprach von 97 Prozent, die schon in den nächsten Jahren erreichbar wären. Mosbach ist etwas pessimistischer. Seine Zahl liegt bei maximal 80 Prozent. Auf jeden Fall bestätigte sich auf dem Fachkongress das Unternehmensmotto von ELO: «Nichts ist beständiger als der Wandel.»
Einige Prognosen erinnerten aber eher an die Futuristen der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Beispielsweise, als Gentsch die These aufstellte: «Wir sind die letzte Generation, die sterblich ist.» Aus seiner Sicht leben wir bald in digitaler Form weiter, auch wenn wir uns biologisch gar nicht mehr auf dieser Welt befinden. Das will ich dann aber auch selbst bestimmen können.