Frauen sind schlau: Bei der jungen Bevölkerung der Schweiz haben bedeutend mehr von ihnen einen Hochschulabschluss als Männer. In Kaderpositionen dagegen schaffen sie es zwar zunehmend, aber immer noch unverhältnismässig selten. Und dabei bestätigen Studien, dass gemischte Gremien bessere Leistung erbringen als rein männliche. Griffige Massnahmen, neue Strukturen und gesellschaftliches Umdenken sind jetzt gefragt. Aber auch die Frauen müssen sich nun zeigen.
Die Jahre 2018 und 2019 stimmen mich zuversichtlich: Noch nie wurden so viele Frauen in der Schweiz in hohe Führungspositionen befördert wie in den letzten Monaten. Dennoch ist ihr Anteil noch immer beschämend gering. Nimmt man den Anteil Frauen mit Hochschlussabschluss als groben Gradmesser für das Interesse von Frauen an beruflicher Karriere, so besteht hier ein krasses Missverhältnis. Frauen mit Hochschulabschluss gibt es nämlich immer mehr. Beträgt ihr Anteil bei den über 75-Jährigen nur 5.5 Prozent gegenüber 16.6 Prozent bei den Männern, so sind es im Alterssegment der 35- bis 44-Jährigen immerhin schon 32.8 Prozent der Frauen gegenüber 34.9 Prozent der Männer. Inzwischen aber haben die Frauen die Männer bei Weitem überholt: 42.3 Prozent aller Frauen im Alter zwischen 25 und 34 Jahren haben einen Hochschulabschluss, während nur 34.7 Prozent der Männer darüber verfügen.
Der Anteil Frauen in Führungspositionen wächst nur sehr langsam. Die Indikatoren dafür finden sich beispielsweise in der jährlichen EY-Umfrage in nicht börsenkotierten Unternehmen und dem zweijährlichen Schilling- Report über die grössten Unternehmen in
der Schweiz und den öffentlichen Sektor. Die EY-Umfrage im Dezember 2018 bis Januar 2019 bei 707 Unternehmen in der Schweiz mit 30 bis 2 000 Mitarbeitenden weist einen Frauenanteil von 20.6 Prozent in der Geschäftsführung aus. Die Frauenquote liegt damit um 1.6 Prozent höher als noch vor zwei Jahren.
Ganzheitlicher Ansatz fehlt
Die InnoPark-Dozentin für soziales Networking, Petra Rohner, kennt Diversity- Förderungsmassnahmen, die funktionieren, und solche, die zu kurz greifen. Die Gründerin der Stiftung Swiss Women Network SWONET und Geschäftsführerin des Frauenkarriereportals femdat, erklärt: «Was fehlt, ist ein ganzheitlicher Ansatz mit grundlegenden Veränderungen für berufstätige Frauen. Einzelne Förderprogramme oder Mentoring-Konzepte erreichten in der Vergangenheit nicht die gewünschten Ziele. Dies, weil Karriereplanung und Persönlichkeitsentwicklung nur einzelne Puzzelteile im ganzen Bild sind. Zusätzlich müssten Unternehmen die Chancen auf Karriere mit Familie berücksichtigen. Eine nachhaltige Veränderung wird sich erst dann zeigen, wenn Gleichstellung auch auf Seiten der Männer stattgefunden hat. Sobald es in den Unternehmen selbstverständlich ist, dass Männer Führungspositionen in Teilzeit ausüben, wird die teilzeitarbeitende Frau kein Sonderfall mehr sein.»
Zahlen aus einer Studie der International Labour Organzation ILO in 70 Ländern aus dem Jahr 2018 scheinen solche Aussagen zu stützen: 57 Prozent der mehr als 12’000 befragten Unternehmen gaben an, dass Gender Diversity die Business Performance verbessert. Aber über 78 Prozent der Unternehmen haben männliche Geschäftsführer. Ähnliches ergab die bereits erwähnte EYStudie: 72 Prozent der Unternehmen sehen einen positiven Einfluss von geschlechtlich gemischten Führungsteams auf das Unternehmen. 46 Prozent aller Unternehmen bekunden aber Mühe bei der Rekrutierung geeigneter weiblicher Führungskräfte.
Karriere mit Familie
Modelle für flexible Arbeitszeit, Vater- und Mutterschaftsurlaub, Führungskräftetrainings zur Sensibilisierung für die Gleichstellungsthematik oder Home Office wären geeignete Massnahmen für eine Vereinbarkeit von Familie und Karriere. Zusätzlich müsste die Kinderbetreuung gesichert sein. Wo diese nicht verfügbar sind, werden Führungskräfte mit Familie Firmen bevorzugen, die interne Lösungen bieten.
Der Schilling-Report, der seit 2006 die Zusammensetzung der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrates untersucht, lässt – wie die EY-Studie – zaghafte Hoffnung aufkeimen.
In ihm wurden Daten aus 129 der bedeutendsten Schweizer Unternehmen sowie aus 14 Kantonen und dem Bund ausgewertet. Daraus ergibt sich, dass der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen neun Prozent beträgt, wobei aber erst knapp die Hälfte der 100 grössten Arbeitgeber eine Frau in der Geschäftsleitung beschäftigt. Nur 40 Prozent der weiblichen Geschäftsleitungsmitglieder sind in einer klassischen Business-Funktion tätig, 60 Prozent bekleiden eine Service-Rolle. Dies ist ziemlich typisch: Frauen auf höheren Hierarchiestufen sind oft in Bereichen platziert, die als weniger relevant auf dem Weg in die höchsten Führungspositionen oder den Verwaltungsrat gelten, nämlich im Personal- und Finanzwesen oder in der Kommunikation. Von dort geht es oft nicht weiter.
Im hintersten Drittel
Die Schweiz figuriert mit ihrem Frauenanteil in Geschäftsleitungen noch immer im hintersten Drittel des europäischen Länderumfeldes: Gemäss einer Statistik von Eurostat
aus dem Jahr 2018 steht Lettland an der Spitze mit 56 Prozent Frauenanteil, gefolgt von Bulgarien und Estland mit je 49 Prozent, Polen und Slowenien mit je 47 Prozent, in Ungarn beträgt er 43 Prozent, in Litauen und Schweden je 42 Prozent. Neben kulturellen Unterschieden ist zu erwähnen, dass es in vielen europäischen Ländern eine Frauenquote
gibt. Deutschland beispielsweise hat diese 2016 eingeführt. Entsprechend wurden 2016 und 2017 fast 50 Prozent der Wahlen in den Aufsichtsrat mit Frauen besetzt. Diese europäischen Frauenquoten könnten einen indirekten positiven Einfluss im Sinne eines Zugzwanges auf die Zusammensetzung in Schweizer Geschäftsleitungen haben: Zu beobachten ist nämlich, dass Frauen von der erhöhten Fluktuation in Schweizer Geschäftsleitungen im letzten Jahr profitieren: Letztere betrug 16 Prozent in den Geschäftsleitungen, was dem bisherigen Durchschnitt von zwölf Prozent gegenübersteht.
Gleichzeitig betrug der Frauenanteil im Verwaltungsrat 14 Prozent, früher waren es durchschnittlich zehn Prozent.
Potenzial liegt brach
Frauen in Führungspositionen bedingen aber auch neue Strukturen und ein gesellschaftliches Umdenken. Es hängt nicht nur mit der Biologie, der gesellschaftlichen
Prägung und den Strukturen zusammen, dass gut ausgebildete Frauen ihr Potenzial brach liegen und verdorren lassen. Gemäss Studien spielen auch kulturelle, soziale bis selbstsabotierende Umstände eine Rolle: Frauen wird oft weniger Kompetenz zugetraut,
sie trauen sich nicht selten auch selbst weniger zu und finden, sie müssen 100 Prozent der Anforderung eines Stellenprofils erfüllen, wohingegen Männern 60 Prozent genügen. Ausserdem finden Frauen Karriere in der Regel nicht so wichtig.
Ich beobachte, dass Frauen nicht bewusst aus einem Rennen um eine Stelle ausgeschlossen werden. Es kommt den Entscheidungsträgern einfach nicht in den Sinn, eine weibliche Kollegin in Betracht zu ziehen. Daher ist es für Frauen wichtig, sich sichtbar zu machen und Männern auf Augenhöhe zu begegnen. Ich sehe an Wirtschaftsforen und Grossanlässen auffallend wenig weibliche Manager. Und wenn sie da sind, verhalten sie sich oft introvertiert, lassen den anschliessenden Networking-Apéro aus. Dabei ist Networking in der realen Welt wie auf elektronischen Plattformen heute ein Muss, und Frauen sollten sich entsprechende Kompetenzen aufbauen.
Selbstbewusst auftreten
InnoPark-Jobcoach Roland Niklaus beobachtet, dass sich viele Frauen als einzige in reinen Männergremien unwohl fühlen. «Sie können sich erst in gemischten Gremien richtig entfalten. Ich denke, viele Menschen schätzen wie ich die ausgleichende und sachliche Art, mit der Frauen das Zepter in die Hand nehmen, wenn sie sich wohlfühlen. Während Männer eher ihr Durchsetzungsvermögen geltend machen, bringen Frauen ihre Fachkompetenz ins Spiel.» Positiv an Frauen sei auch, dass sie eher bereit seien, sich Hilfe zu holen, sprich: sich zum Beispiel coachen zu lassen. Niklaus rät Frauen, selbstbewusster aufzutreten und
sich mehr ins Rampenlicht zu stellen: «Wohlfühlen ist meines Erachtens auch ein wichtiges Stichwort für Frauen: Ist die Unternehmensform von einer fast militärischen Hierarchie geprägt, wird die Organisation nur wenige Frauen anziehen. Ich sehe dies am Beispiel von InnoPark: Die Frauenquote ist ausgeglichen. Auf allen Managementstufen sind Frauen zu rund 50 Prozent vertreten. Im Verwaltungsrat sitzen sogar zwei Frauen und nur ein Mann.» Neben der sinnstiftenden Tätigkeit und flachen Hierarchien trägt ausserdem sicher zum hohen Frauenanteil bei, dass Teilzeit möglich ist.
Führen durch gutes Beispiel
Wie aber sind Frauen als Führungspersonen? Führen sie besser als Männer oder sind sie viel schlimmer? Matthias Westhäusser, InnoPark-Führungscoach, erlebt sie wie folgt: «Sie wollen tendenziell alles richtig machen. Frauen sind intuitiver, eher bereit zu lernen und fähig, ihren Führungsstil anzupassen. Manche, die sich in Männer-Chef- Welten bewegt haben, haben gelernt, welche Fehler sie sicher nicht machen wollen. Mussten sie sich dagegen behaupten und reagieren, führen sie oft wie Männer.» Sein Rat an Frauen: «Vertraue dir. Führe durch gutes Beispiel. Und kommuniziere.»