Beim Thema Gesundheit im Büro kommt man im Moment nicht am Modethema Arbeit 4.0 vorbei. Es macht viele Unternehmer unsicher – nicht zuletzt geschürt durch Beratungsunternehmen, welche auch gleich den passenden (ihren) Lösungsansatz dazu verkaufen. Angst wurde als Verkaufsargument schon oft eingesetzt. Es fragt sich allerdings: Ist Angst hier angebracht?
Um sich als Unternehmer oder Führungskraft in diesem Thema besser zu orientieren und damit auch einfacher entscheiden zu können, ist es sinnvoll, zwei Aspekte anzuschauen: Was verändert sich mit Arbeit 4.0? Und wie ist Arbeit 4.0 hinsichtlich des Konzepts des Hype Cycle von Gartner einzustufen?
Industrielle Revolution: Ein Blick zurück
Arbeit 4.0 ist die logische Fortführung der Arbeit 1.0, 2.0 und 3.0. Und diese Arbeitswelten eins bis vier sind abgeleitet von den vier industriellen Revolutionen. Von einer industriellen Revolution spricht man, wenn sich eine tiefgreifende und dauerhafte Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ergeben und sich damit auch die Arbeitsumstände und Arbeitsbedingungen verändert haben. Diese industriellen Revolutionen hat man der Einfachheit halber zu nummerieren begonnen.
Ganz kurz zusammengefasst lässt sich sagen: Um etwa 1750 fand mit der Einführung
der Dampfmaschine im Produktionsprozess eine grosse Leistungssteigerung statt.
Im Arbeitsalltag wurde Muskelkraft durch Maschinenkraft ersetzt. Um 1870 veränderten
das Fliessband und die Massenproduktion die Industrie. Die Arbeitswelt verändert sich dahin, dass Mitarbeitende statt einem ganzen Produkt nur noch kleinste Arbeitsschritte ausführten. Um circa 1970 führten Automatisierung, Kommunikationstechnologie
und Elektronik dazu, den Markt vom Verkäufer- zum Käufermarkt zu transformieren. Mitarbeitende wurden von der ausführenden Instanz zur kontrollierenden Instanz und
überwachten in der Produktion hauptsächlich noch Maschinen. Ab etwa 2011 kündigte die deutsche Regierung die «Industrie 4.0» an. Hier geht es um Digitalisierung und Individualisierung.
Interessant an diesen industriellen Revolutionen ist, wie sie definiert beziehungsweise wann sie ausgerufen wurden. Der französische Soziologe Georges Friedmann sprach 1936 erstmals von einer zweiten industriellen Revolution und datierte sie auf die Jahrzehnte um 1900. Man schaute also rund 30 Jahre in die Vergangenheit und definiert mit diesem zeitlichen Abstand und mit den damit verbundenen zusätzlichen Erkenntnissen, was für eine Revolution stattgefunden hatte. Dies ist für die Industrie 1.0 bis 3.0 so. Nicht allerdings für die Industrie 4.0 beziehungsweise Arbeit 4.0.
Ausrufen der Industrie 4.0
Die Industrie 4.0 wurde etwa im Jahr 2011 ausgerufen, bevor sich die proklamierten Veränderungen tatsächlich vollzogen hatten – wie beispielsweise Digitalisierung und Individualisierung. Industrie 4.0 ist somit nicht die Gewissheit einer rückwärtsgerichtete
Beschreibung einer Veränderung, die sich schon vor langer Zeit vollzogen hat, sondern eine Art Zielbild oder Sammelbegriff für die Ausrichtung und Gestaltung zukünftiger Produktionsstrukturen und Wertschöpfungsbereiche.
In der Forschung gibt es bis heute keine eindeutigen Definitionsmerkale für die Industrie / Arbeit 4.0, und die Definitionsansätze unterscheiden sich auch ganz stark je nach Branche, zum Beispiel Gesundheit versus Automobil. Die proklamierten Ansätze wie beispielsweise Cyber Physical Systems und Internet der Dinge sind heute also einfach mögliche Lösungsansätze, deren Wirksamkeit noch überhaupt nicht klar ist. Was die Revolution 4.0 schlussendlich verändert hat und welcher Lösungsansatz Erfolg versprechend war, lässt sich wohl erst in rund 30 Jahren mit Sicherheit sagen. Wie entscheidet jetzt in dieser unklaren
Situation aber eine Führungskraft? Dafür hilft der Ansatz des Hype Cycle.
Lösungsansätze für Arbeit 4.0 anwenden
Jacke Fenn, eine Beraterin der Firma Gartner, prägte schon vor einiger Zeit den Begriff des Hype Cycle, den eine neue Technologie bei der Einführung durchläuft. Eine neue Technologie erhält hohe Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, meist ausgelöst durch eines oder mehrere Ereignisse, zum Beispiel der Projektdurchbruch. Viele Trittbrettfahrer steigen auf – auch Beratungsfirmen – und es werden unrealistische Erwartungen geschürt. Es zeigt sich
dann bei den ersten Anwendungen, dass sich viele der Erwartungen nicht halten lassen. Das Thema wird für die Berichterstattung weniger interessant. Die gewonnenen Erkenntnisse führen dazu, dass eine realistischere Einschätzung der Technologie erfolgen kann, welche dann zu einem sinnvollen und nutzenstiftenden Einsatz führt.
Angewendet auf Arbeit 4.0 und der damit verbundenen passenden Gesundheit im Büro lässt sich Folgendes festhalten: Viele der neuen und laut proklamierten Lösungsansätze befinden sich im Moment wohl irgendwo rund um den Gipfel der überzogenen Erwartungen. Damit ist die beste Strategie, hier eher zu beobachten, auf Erfahrungsberichte der konkreten Umsetzung zu warten und dann zu entscheiden, welche Elemente daraus in welcher Art für
das eigene Unternehmen passend und zielführend sein könnten.
Es zeigt sich also, dass noch überhaupt nicht klar ist, was Arbeit 4.0 genau ist – und dass damit die Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit vieler der proklamierten Lösungsansätze ebenfalls mindestens unklar, wenn nicht weit überzogen sind. Um zu entscheiden, wie Arbeit 4.0 und Gesundheit im Büro (4.0) für das eigene Unternehmen genau aussieht, braucht es die Berücksichtigung der Branche, der Wertvorstellungen und der Strategie des eigenen Unternehmens. Ebenso muss ein Unternehmen die Situation im Markt, die Firmengeschichte und eigenen Mitarbeitenden mit in Betracht ziehen. Danach geht es an das Ausprobieren einzelner Ansätze verbunden mit der Analyse der erwünschten und unerwünschten Auswirkungen, und schliesslich stehen stetige Anpassungen auf dem Programm, bis es für das eigene Unternehmen stimmt. Und um dies zu beurteilen und durchzuführen, ist man selber als Unternehmer oder Führungskraft immer noch der beste Experte. Gesundheit im Büro wird konkret also auch mit Arbeit 4.0 eher stetige Evolution statt grosse Revolution sein.