Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, müssen Unternehmungen in den westlichen Ländern Wettbewerbsvorteile über Innovation generieren und durch häufige Erneuerungen aufrechterhalten. Bei anderen Produktionsfaktoren, insbesondere den Lohnkosten, geniessen Konkurrenten aus anderen Regionen unbestreitbare komparative Vorteile. Innovation gilt schon lange als Antrieb der wirtschaftlichen Entwicklung. Mittlerweile ist sie jedoch für zahlreiche Unternehmungen zur täglichen Aufgabe geworden. Hier stellt sich die Frage, in welcher Form hier demokratische Organisationsstrukturen weiterhelfen können.

Zahlreiche Autoren haben sich mit ­Voraussetzungen und Methoden ­befasst, wie die Innovationsfähigkeit von Unternehmungen gefördert werden kann. Der Ausgangspunkt ihrer Überlegungen liegt in der Erkenntnis, dass Innovation Kreativität und überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft voraussetzt und beide sich nicht anordnen lassen, sondern «aktiviert» werden müssen. Demokratisierung, verstanden als das Recht der Mitarbeiter zur Selbst- und Mitbestimmung, gilt als ­vielversprechende Stossrichtung, um eine innovationsfreundliche Umgebung in Unternehmungen zu schaffen. Welches sind aber die Ausprägungen von Demokratisierung, und welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um eine Unternehmung nach diesem Grundsatz zu gestalten? Und wo liegen die Grenzen der Demokratisierung?

Formen der Demokratisierung
Eine erste, zunehmend verbreitete Form von Selbstbestimmung betrifft eine gewisse Freiheit in der Wahl der Arbeitsbedingungen. Arbeitszeit, -ort und -weise werden, zumindest bis zu einem gewissen Grad, der Eigenverantwortung des Mitarbeiters überlassen beziehungsweise sind Teil einer Verhandlung mit abschliessender Vereinbarung. Bekannte Ansätze in diesen drei Bereichen sind jeweils Blockzeiten, Home-Office-Tage und «Bring Your Own Device»-Regeln.

Gewisse Unternehmungen gehen aber noch weiter und überlassen auch die Bestimmung eines Teils der Ziele den Mitarbeitern. Diese können zum Beispiel einen Teil ihrer Arbeitszeit für Projekte aufwenden, die sie selber definieren. 3M, dem wir die Erfindung der Post-it während der frei verfügbaren 20 Prozent Arbeitszeit verdanken, ist wahrscheinlich das bekannteste Beispiel. Ein neueres ist Google, bei der dieselbe Regel 15 Prozent der Arbeitszeit betrifft.

Vor einigen Jahren nahm die brasilianische Semco eine Sonderstellung unter den ­demokratisch-orientierten Firmen ein, wenn auch manche den Konzern als Unternehmensexoten bezeichneten. Ricardo Semler, der charismatische Leiter, der die Unternehmung von seinem Vater übernahm, hob viele feste Bedingungen auf, um Freiräume zu schaffen. Die Neuangestellten durften während sechs Monaten frei nach der passendsten Position suchen und dabei von einer Organisationseinheit zur anderen wechseln, sie durften die Form ihrer Entlohnung unter elf Varianten wählen, oder sie durften ihren Titel frei aussuchen. Ein besonderes Anliegen Semlers war die Förderung von Unternehmertum unter den Mitarbeitern. Jeder von ihnen konnte Vorschläge einbringen, um neue Produkte oder Dienstleistungen zu lancieren oder sogar ganze Firmen zu gründen. Die Auswertung der Vorschläge erfolgte in Anwesenheit der Mitarbeiter, wobei die Entscheidungskriterien transparent gemacht wurden. So schnell die Unternehmung ­Geschäftsideen unterstützte und umsetzte, so schnell war sie auch bereit, diese wieder einzustampfen, wenn sie sich als nicht mehr profitabel erwiesen.

Mitbestimmung auf strategischer Ebene
Das vorherige Beispiel dient als Überleitung zur nächsten Stufe der Demokratisierung. Diese lässt sich anhand der Frage beschreiben, ob die Reichweite der Mitbestimmung über die persönliche Ebene hinausreicht und auch die Unternehmung beziehungsweise Teile davon wie ein Team oder eine Betriebseinheit betreffen kann.

Ein Indiz dafür, dass die Demokratisierung im Entscheidungsverfahren in Unternehmungen ein gangbarer Weg sein kann, ist bei Genossenschaften zu finden. Das vielleicht bekannteste Beispiel ist die Mondragón Corporación Cooperativa (MCC), die grösste Genossenschaft der Welt mit Hauptsitz im Baskenland. Bei der MCC waren in den letzten Jahren etwa 80 Prozent der über 100’000 Mitarbeiter auch Teil­haber der Genossenschaft und somit an den Entscheidungsprozessen direkt beteiligt. Die gigantische Dimension, welche die Organisation angenommen hat, sorgt aber mittlerweile für Einschnitte in die direkte Teilnahme der Mitarbeiter. Um die Reak­tionsfähigkeit der Unternehmung nicht zu beeinträchtigen, werden nämlich vermehrt Vertreter der Mitarbeiter gewählt, die dann die Entscheidungen treffen. Demzufolge haben einige Teilgenossenschaften eine Abspaltung vorgenommen, um stärker den basisdemokratischen Prinzipien zu folgen. Auch die Schweiz kennt sehr erfolgreiche Genossenschaften wie die Mischkonzerne Migros und Coop. Im Unterschied zur MCC erfolgt deren Führung nach traditionellen Prinzipien, sprich: ohne Beteiligung der Mitarbeiter an den Entscheidungsprozessen. Was dennoch im Sinne des Genossenschaftsprinzips bleibt, ist die Grundorientierung dieser Unternehmensgruppen, die nicht strikt am Gewinnmaximierungsprinzip angelehnt ist.

Mitbestimmung auf normativer Ebene
Ein weiterer Bereich, in dem Mitbestimmung empfohlen wird, ist das normative Management, das Vision, Mission und Leitbild umfasst. Die Befürworter eines ­demokratischen Ansatzes zur Erarbeitung solcher gemeinsamen Grundlagen plädieren für die Notwendigkeit eines breiten Konsenses, um den verabschiedeten Richtlinien eine breite Akzeptanz zu sichern. Die Gegner heben hervor, dass manche von solchen gemeinsam erarbeiteten Grundlagen kaum praktische Auswirkung erzielen, weil sie so generisch und offen formuliert sind, dass sie selten einen Stellungsbezug erfordern. Die normativen Grundlagen einer Unternehmung sind aber auch dazu da, die Mitarbeiter anzuziehen und zu behalten, die sich damit identifizieren, und  die anderen davon fernzuhalten. Sie sollen also eine selektive Wirkung erzielen.

Als Kontrapunkt zum genannten Selektionsprozess soll hier noch das Thema der Vielfältigkeit erwähnt werden, das in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen hat. Gerade um Einseitigkeit zu vermeiden, versuchen Unternehmungen vermehrt Geschäftsleitung und Verwaltungsrat mit einer ausgeglichenen Mischung von Mitgliedern hinsichtlich Geschlecht, Herkunft, aber auch anderer Merkmale wie das Alter zu besetzen. Die Annahme dahinter ist, dass die Unternehmungen die Komplexität der globalisierten Welt besser meistern können, wenn unterschiedliche Perspektiven in die Entscheidungsfindung berücksichtigt werden. Auch diese Tendenz kann man als Ausprägung der Demokratisierung aus­legen. Sie strebt den verbreiteten Wunsch nach Gleichberechtigung an.

Bedingungen und Kriterien zur Demokratisierung

Um Demokratisierung erfolgreich in Unternehmungen einzuführen, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. Die gewünschten Ergebnisse stellen sich womöglich nicht ein, wenn die Umsetzung inkonsistent erfolgt und die Kehrseite der Prozesse unberücksichtigt bleibt. Auf einige solche Aspekte deuten wir im Folgenden hin.

Die Flexibilität der Arbeitsbedingungen setzt Klarheit hinsichtlich der zu erreichenden Ziele voraus. Solange die Mit­arbeiter die Ziele in der gewünschten Qualität und Umfang sowie innert einer vereinbarten Frist erreichen, dürfen sie den freien Spielraum nutzen. Je vager die Bedingungen formuliert sind, desto anfälliger wird die auf Subjektivität gründende Bewertung und dementsprechend höher ist das Risiko, dass Letztere als unfair empfunden wird.

Die Erweiterung des persönlichen Spielraums setzt erhöhte Anforderungen an die Koordination. Wenn jeder asynchron arbeiten darf, werden Mechanismen benötigt, um sicherzustellen, dass die Teilergebnisse zusammenpassen. Der klassische Weg, um dieses Ziel zu erreichen, ist, die erwarteten Beiträge im Voraus aufeinander abzustimmen, sprich: die vorgängige Absprache der zu erbringenden Leistungen. Bei Innovationen ist aber das Endergebnis nicht eindeutig definiert, so braucht es wiederkehrende Abgleichungsmomente. Deren Häufigkeit passend zu bestimmen sowie die Beteiligten im Abstimmungsprozess zu begleiten, ist eine Herausforderung. Diese wird umso grösser, wenn die Mitarbeiter immer seltener in physischem Kontakt miteinander stehen wie bei mehrtägigem Home Office. Technische Mittel, wie Videokonferenz, gemeinsame Datenablagen oder IT-basierte Projektmanagementwerkzeuge, schaffen Abhilfe, müssen aber sorgfältig eingeführt und gepflegt werden.

Wenn die gewährten Spielräume auch die teilweise Wahl der individuellen Ziele – wie bei 3M oder Google – betreffen, so wird eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens zur Schlüsselbedingung. Die Unternehmungsleitung wird nicht im Voraus wissen können, ob die Mitarbeiter die verfügbare Zeit gut nutzen und Ergebnisse im Interesse der Unternehmung erzielen. Da Innovation sich nicht verschreiben lässt und Kontrolle sich kontraproduktiv auswirkt, bleibt den Unternehmungen nichts anderes übrig, als auf Faktoren wie gemeinsame Werte oder auch Personalselektion zu setzen. Ein Klima der Kontrolle lässt sich schlecht mit freiem Experimentieren vereinbaren, deswegen sind Mitarbeiter gefragt, welche von sich aus auch in der frei verfügbaren Zeit das Beste geben und zugunsten der Unternehmung arbeiten; in der Gewissheit, dass diese den Beitrag honoriert.

Wenn Demokratisierung in einer Unternehmung die Mitbestimmung der gemeinsamen Ziele auf Ebene eines Teams, einer Betriebseinheit oder sogar der gesamten Unternehmung bedeutet, so wird es entscheidend sein, die Rechte und Pflichten im Gleichgewicht zu halten. Wer (mit)bestimmen darf, soll auch die Konsequenzen der Entscheidungen bzw. einen angemessenen Teil davon tragen. Die Anteilseigner der baskischen MCC tragen die Konsequenzen von falschen Entscheidungen entsprechend mit. Bei Semco ist die unternehmerische Freiheit durch ein entsprechendes Kündigungsrisiko behaftet. Allerdings steht es dort den Mitarbeitern frei, ob sie diese Spielräume nutzen und das entsprechende Risiko tragen wollen.

Eine faire Gestaltung der genannten Pflichten will aber gut durchdacht sein. Wenn die Besitzer den Mitarbeitern ein paar Prozente des Unternehmenskapitals über­tragen, dann bekommen diese weder einen wirksamen Anreiz, noch wird ihnen mehr Verantwortung gegeben, denn die Anteile haben keinen Wiederverkaufswert, noch lassen diese sie an Entscheidungen wirksam teilnehmen.

Die verschiedenen Aspekte der Demo­kratisierung greifen oft ineinander. Will eine Unternehmung beispielsweise die Teamarbeit fördern, so wirkt sich dies auf das Leistungsbewertungssystem (Rechte und Pflichten) aus. Die Gestaltung solcher Systeme ist anspruchsvoll. Beispielsweise soll die Leistung einerseits nicht individuell ­bewertet und belohnt werden, gleichzeitig darf aber die gemeinsame Bewertung kein Schlupfloch für Trittbrettfahrer werden.

Abschlussgedanke
Mehrere der angesprochenen Elemente der Demokratisierung gehören zum Unternehmensalltag vieler Betriebe in der Schweiz. Es stellt sich nun die Frage, inwiefern diese Faktoren zu den Grundbedingungen gehören, welche die Mitarbeiter erwarten und deswegen den Unternehmungen keine Differenzierung mehr ermöglichen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob Unternehmungen, die stärker auf Demokratisierung setzen, besser als andere gestellt sind ­beziehungsweise ob sie damit tatsächlich einen Wettbewerbsvorteil erzielen. Denkt man darüber nach, so scheint Letzteres der «falsche» Grund zu sein, um eine Demokratisierung einzuführen beziehungsweise zu erweitern. Vielmehr ist es eine Frage der Überzeugung: Wer ein Menschenbild ­vertritt, das – wie vor vielen Jahren von Douglas McGregor mit dem «X-Typ» beschrieben – bei Mitarbeitern eine latente Abneigung gegenüber der Arbeit annimmt, der wird sich schwer damit tun, Bedingungen einzuführen, welche Eigenverantwortung und Vertrauen voraussetzen.

Weitere Informationen:
www.ffhs.ch