In der Hotellerie sind weibliche Angestellte mit 55 Prozent gegenüber den männlichen klar in der Mehrheit. Im obersten Kader jedoch sind Frauen krass untervertreten: Ein nicht ausgeschöpftes Potenzial, das aktiviert werden sollte, findet man nun in grossen Hotelkonzernen.‘
Die Frau, die uns an der Rezeption des Hotels Schweizerhof in Bern empfängt, wirkt jung, ist zierlich und zurückhaltend. Der Schweizerhof ist eines von zwei Fünfsternhäusern in der Bundesstadt. Er gehört zur «Bürgenstock Selection», die sich im Besitz einer Gruppe aus dem konservativen islamischen Emirat Katar befindet. Umso erstaunlicher, dass der General Manager des Hauses – ebendiese junge Frau ist, Iris Flückiger. Sie war erst 36, als sie Anfang Juni 2014 die Chefposition erklomm. «Die Anfrage ist damals aus heiterem Himmel gekommen», sagt sie lachend.
Junge, ehrgeizige Frauen in der Hotellerie könnten sich Iris Flückiger zum Vorbild nehmen. Doch die Hotelgruppe Carlson Rezidor mit Sitz in Minnesota USA und in Brüssel will solche Karrieren nicht mehr dem Zufall überlassen und hat sich vor ein paar Jahren ein ehrgeiziges strategisches Ziel gesetzt: Ende 2016 sollten in ihren rund 350 Betrieben mit etwa 40’000 Angestellten 30 Prozent des obersten Kaders Frauen sein.
Keine Frauenquote
Verantwortlich für die Umsetzung des Programms in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Polen und Südosteuropa sind Markus Conzelmann, der in Luzern seit 2006 das Rezidor-Haus Radisson Blu führt, und Verena Forstinger, Direktorin des Radisson Blu Style Hotel in Wien. Conzelmann relativiert gleich zu Beginn unseres Gesprächs: Wir sind am Ende des Jahres 2016 noch nicht bei 30 Prozent ankommen, dafür 2018 oder 2019 vielleicht bei 35 Prozent.
«Erste Firma in der Schweiz führt Frauenquote ein», lautete eine Presse-Schlagzeile, als erstmals vom Programm berichtet wurde. Conzelmann dementiert: Die RezidorGruppe wolle nicht um jeden Preis Frauen in Spitzenpositionen befördern. «Bei der Kandidatenauslese zählt nur die Qualität», sagt er. Hingegen wolle man «verborgene Talente entdecken und fördern». Seine Wiener Kollegin Verena Forstinger betont, es gehe darum, «Gründe, die als Karrierehindernis im Weg stehen, zu relativieren oder auszuräumen». Allerdings denke sie, sagte Forstinger in einem Gespräch mit austrianbusinesswomen.at, «dass es zahlreiche Frauen in unserem Unternehmen gibt, die das Potenzial haben, als Top-Führungskraft eingesetzt zu werden».
Zwar gibt es in der Gruppe viele Kaderpositionen zu besetzen: Rezidor eröffnet rund 20 neue Hotels pro Jahr. Und fast die Hälfte der Frauen antwortete in einer Rezidor-internen Erhebung auf die Frage «Wie weit möchten Sie in Ihrer Karriere kommen?», dass sie mindestens die Stufe Geschäftsführer / General Manager anstrebten. Weshalb klappt das (noch) nicht? Conzelmann führt mehrere Gründe auf: Frauen hätten eine Tendenz zu falscher Bescheidenheit: «Wenn ein Mann zwei von fünf Kriterien für eine ausgeschriebene Stelle erfüllt, bewirbt er sich. Bei einer Frau können es vier von fünf sein, und sie hat trotzdem Hemmungen, sich zu bewerben.» Hinzu kämen oft familiäre Verpflichtungen oder die fehlende Bereitschaft zu Ausland-Engagements. Carlson-Rezidor expandiert vor allem in Südosteuropa, Afrika und im Fernen Osten.
Kreative und flexible Lösungen
Wenn Iris Flückiger schildert, wie sie auf ihre Berufung reagierte, bestätigt sie indirekt die Tendenz zu falscher Bescheidenheit: «Ich dachte zuerst, der Job sei eine Nummer zu gross für mich», sagt sie, «und das ist vielleicht typisch weiblich.» Das nötige Rüstzeug für die Position hatte sie mitgebracht, mit einem KV-Abschluss bei den SBB, einem Diplom der Hotelfachschule Thun und Berufserfahrung in den Hotels Davoserhof, Giardino in Ascona, Ramada in Solothurn, auf der Griesalp im Kiental, Berner Oberland, sowie seit Ende 2010 in Kaderpositionen im Berner Schweizerhof selber.
Die Hotelgruppe Carlson Rezidor will Hinderungsgründe für Frauenkarrieren aktiv angehen, und das Radisson Blu in Luzern macht es vor: Das Hotel hat 189 Zimmer; dank seiner Lage unmittelbar beim KKL und beim Bahnhof ist es gut belegt; 2014 wurde es gruppenintern zum Hotel des Jahres gekürt. Dass seine Leute auf allen Stufen Teilzeitarbeit, Job Sharing, gleitende Arbeitszeit praktizieren, ist für Direktor Conzelmann selbstverständlich. Er akzeptiert auch Home Office, soweit das mit der jeweiligen Funktion vereinbar ist: «Es ist klar, dass eine Rezeptionistin oder ein Koch die Arbeit nicht zu Hause erledigen kann», sagt er, «aber man kann mit ihnen über die Organisation der Arbeitszeiten reden und kreative, flexible Lösungen finden». Wer 60 Prozent arbeitet, kann auch mal den Lohn für 70 Prozent bekommen; dafür erwartet der Chef, dass man auch in der Freizeit mal ein Telefon oder eine E-Mail beantwortet.
In der Rezidor-Gruppe gibt es darüber hinaus ein Entwicklungsprogramm speziell für Frauen. Dort werden gezielt Karrierevorstellungen abgeklärt und Talente gefördert. Man stellt den Teilnehmerinnen die Frage nach ihren beruflichen Träumen und klärt dann ab, ob die Karrierevorstellungen mit den effektiven Fähigkeiten und Begabungen kompatibel sind. Bei regelmässigen «Talent Review Meetings» werden individuelle Entwicklungspläne erarbeitet; das Selbstvertrauen soll so gefördert werden. Das Programm, vorerst nur Frauen angeboten, soll später allen zugänglich sein, sagt Conzelmann.
«Balanced Leadership» angestrebt
Am Ende sei dies gar kein spezifisches Frauenthema, meint Michael Farrell: «Heute gibt es auch immer mehr Männer, die sich mehr Zeit für die Betreuung ihrer Kinder nehmen wollen. Dem müssen wir Rechnung tragen.» Und Markus Conzelmann fügt bei, dass man eine «Balanced Leadership» anstrebe, eine Führung also, in der «männliche und weibliche Eigenschaften vereint» seien. Deshalb werden die Rezidor-internen Massnahmen und Programme längerfristig Männern ebenso zugutekommen wie Frauen – und damit auch den Betrieben selber: «Es ist erwiesen, dass eine gut durchmischte Führung mehr Ertrag bringt», sagt der Radisson-Blu-Direktor.
Die Carlson-Rezidor-Gruppe ist mit dieser Initiative inzwischen nicht mehr allein. Anfang 2016 hat auch der französische Hotelkonzern Accor mit weltweit 180’000 Mitarbeitenden ein internes Mentoring-Programm speziell für Frauen gestartet. Olaf Hagen, Director Talent and Culture Support Office bei Accor, stellte es im März an der Internationalen Tourismusmesse in Berlin (ITB) vor. «Wir haben festgestellt, dass in der Personalentwicklung die individuelle Förderung zu kurz kommt, und dass ein Mentor oder eine Mentorin dafür das beste Instrument ist», sagte Olaf Hagen.
Und was tut Iris Flückiger, die Schweizerhof-Direktorin, für die Frauenförderung? Sie hat ein gutes Gewissen: «In meinem achtköpfigen Kader sind sechs Frauen.» Doch die Lorbeeren dafür will sie nicht einheimsen: «Das war schon unter meinem Vorgänger Michael Thomann so.»
Jungen Frauen, die eine Laufbahn in der Hotellerie anstreben, rät Iris Flückiger, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln, Selbstzweifel abzubauen, etwas zu wagen. Denn als Direktorin eines Hotels, vor allem eines renommierten Fünfsternhauses wie der Schweizerhof, stösst man nicht überall auf Begeisterung. «Einige, vor allem ältere, Hoteliers haben mich spüren lassen, dass sie nicht glaubten, eine Frau, und erst noch eine relativ junge, sei einer solchen Anforderung gewachsen.» Da gebe es nur eines, und das gelte für alle Frauen in jedem Beruf: «Durchhalten und sich nicht einschüchtern lassen».
Lohnungleichheit
Seit 1981 ist in Artikel 8, Absatz 3 der Bundesverfassung festgehalten, dass Frauen und Männer «Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit» haben. Dieses Prinzip ist auch nach 25 Jahren noch nirgends hundertprozentig umgesetzt; allerdings gehören Hotellerie und Gastgewerbe schon fast zu den Musterknaben (es werden jeweils die neusten erhältlichen Zahlen des Bundesamts für Statistik verwendet): In der Hotellerie und im Gastgewerbe beträgt der Lohnunterschied zwischen Frau und Mann im Schnitt noch elf Prozent. Davon sind durchschnittlich 206 Franken im Monat «unerklärlich», das heisst: nicht durch unterschiedliche Stellenprofile, Ausbildung oder Funktion gerechtfertigt.
Im öffentlichen Sektor, von dem man annehmen müsste, er ginge mit gutem Beispiel voran, beträgt die Lohndifferenz noch immer 16.5 Prozent, mit einer monatlichen nicht erklärbaren Lohndifferenz von durchschnittlich 573 Franken. Besonders gross sind die Diskrepanzen im Finanz- und Versicherungswesen (34 Prozent Abweichung, 1 089 Franken pro Monat nicht erklärbar) sowie bei der Herstellung von Textilien und Bekleidung (Lohnunterschied 30.3 Prozent, 952 Franken pro Monat nicht erklärbar).
Allerdings muss auch gesagt werden, dass Hotellerie und Gastgewerbe mit Medianlöhnen um 4 000 Franken brutto im Monat von allen statistisch erfassten Branchen die tiefsten Saläre bezahlen.
Weitere Informationen:
www.schweizerhof-bern.ch
www.radissonblu.com/de/hotel-lucerne