Reputationsdebakel gibt es immer wieder. So ist der deutsche Fussball nach der EM und dem Ausscheiden in der Vorrunde bei Olympia im Tief. Vom «Sommermärchen» wie 2006 spricht niemand mehr. Jedoch ist der entstandene Schaden nichts im Vergleich zu den Schäden, welche die «Jahrhundertflut» in diesem Jahr in unserem Nachbarland angerichtet hat – und auch die Schweiz blieb von den historischen Fluten ja nicht verschont. So wie der verklärte Blick der Fussballfans die Korruption der Verbände nicht wahrnehmen will, so blendet der Grossteil der Menschheit – wie der im siedenden Wassertopf gefangene und zum Tode geweihte Frosch – die imminente und existentielle Bedrohung durch die Klimakatastrophe immer noch aus.
Im gängigen Verständnis verorten wir die Leistungsträger der Gesellschaft in dem kleinen Kreis der Elite: Professionen und Menschen, meist mit akademischer Ausbildung und Titeln, die massgeblich den aktuellen Zustand unseres Planeten zu verantworten haben. (Ich schliesse mich davon nicht aus.) Mit den einschneidenden Erfahrungen aus der Corona-Pandemie sollten wir unser Verständnis von Leistung grundsätzlich hinterfragen und Idole und Ideale neu definieren. Sollen permanent um den Erdball jettende Manager mehr Ansehen und ein Vielfaches an Gehalt verdienen als bis zur totalen Erschöpfung arbeitende Pflegekräfte? Zählt ein «Banker des Jahres»-Titel mehr als ein Prix Courage?
Über Jahrzehnte hinweg haben die Nutzniesser der Globalisierung ihre Doktrin mit dem Argument gerechtfertigt, Menschen aus der Armut herauszuführen. Aber gerade diese Menschen waren die ersten, die durch die Corona-Pandemie in teilweise noch prekärere Verhältnisse zurückgeworfen wurden – und sie leiden am meisten unter den Folgen des Klimawandels. Wir müssen uns eingestehen, dass die Globalisierung in der aktuellen Ausprägung eben nicht nachhaltig sichere Lebensverhältnisse für die meisten Menschen schafft.
Man sollte meinen, dass das politische System – anders als das dem Shareholder Value und der kurzfristigen Gewinnmaximierung unterworfene Wirtschaftssystem –dank längerer Legislaturperioden und Amtszeiten seiner Führungskräfte intakte Voraussetzungen hätte, um das Ruder in Richtung Nachhaltigkeit herumzureissen. Die Realität zeigt jedoch, dass der kurzfristige Blick auf die Gunst der ebenfalls kurzfristig denkenden Wähler das langfristige Denken und Handeln verunmöglicht.
Der Ball des Handelns liegt vor allem bei den Unternehmensverantwortlichen. Sie können ein fundamental neues Verständnis des Wirtschaftens kreieren, bei dem beispielsweise bei der Ermittlung der Wertschöpfung auch die Externalitäten miteinbezogen werden. Mithilfe der Politik auf supranationaler Ebene müssen Nachhaltigkeitskennzahlen wie die ESG-Kriterien – auch im Sinne der Transparenz für Investoren und Konsumenten – zu einheitlichen und messbaren Standards gemacht werden. Investitionen in Nachhaltigkeit sollten von der Gesellschaft positiv, beschämende Steuervermeidung negativ sanktioniert werden. Statt auf unseren kurzfristigen Gewinn und Vorteil zu schielen, haben wir es als Konsumenten in der Hand, durch unsere Konsumausgaben und Investitionen vorbildliches Handeln der Unternehmen zu würdigen und einen Nachhaltigkeitszyklus zu nähren. Und wir müssen die Superreichen moralisch fordern, ihr Handeln zu ändern. Spenden und philanthropisches Engagement sind oft nur Goodwill-Aktionen – Ablenkungsmanöver, die das bestehende System zementieren. Wir sollten aufhören, Umweltaktivisten als radikale Spinner und Outlaws zu diffamieren und dadurch von unseren eigenen Unterlassungen beim Umwelt- und Klimaschutz abzulenken. Wir alle sind gefordert – auch Unternehmer wie Bezos oder Branson, deren Vermögen das Bruttosozialprodukt manch eines Landes übersteigt. Angesichts der weltweiten Umweltkatastrophen hätte ihr Timing für den Startschuss zum Weltraum-Tourismus nicht unglücklicher gewählt werden können. Statt der Erde den Rücken zu kehren, sollten sie, die in ausserordentlichem Masse von ihr profitiert haben, ihr jetzt vielmehr zur Hilfe eilen. Und wir alle sollten mit ihnen mitziehen.