Wer Produkte verkaufen will, muss mit der Zeit gehen. Das gilt auch für die Marketingstrategie: In der heutigen Zeit reicht es nicht mehr, Inserate in der Zeitung zu publizieren oder Banner im Internet zu schalten. Philippe Stuker – Geschäftsführer der Agentur webguerillas – zeigt auf, was die technologische Entwicklung für Auswirkungen auf die Werbemöglichkeiten hat.
Brauchen wir das wirklich, eine Website? Unternehmer waren verunsichert, als sich das Internet vor gut zwanzig Jahren durchsetzte. Niemand konnte voraussagen, wo die Reise hingeht. Heute hat selbst der Coiffeur-Salon um die Ecke einen Auftritt im Internet. Ein Medium, das nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken ist. Das Netz bestimmt sogar zu weiten Teilen unser Leben.
Die Welt ist zu einem einzigen Marktplatz geworden – das Internet mit eingeschlossen. Immer und überall kämpfen Unternehmen um Aufmerksamkeit. Werbung muss grösser, provokativer, aufreizender und lustiger sein. Der moderne Mensch droht in der Werbeflut regelrecht zu ertrinken und verliert schnell den Überblick – nicht erstaunlich bei rund 30’000 Produkteinführungen pro Jahr. Konsumenten sind denn auch zunehmend überfordert von den allgegenwärtigen Werbebotschaften.
Die Anfänge des Zielgruppenmarketings
Die Geschichte der modernen Werbung begann im 17. Jahrhundert. Mit der ersten Tageszeitung, die 1650 in Leipzig erschien, verfügten Unternehmen erstmals über einen wirksamen Kanal, um ihre Ware zu bewerben. In den folgenden Jahrzehnten etablierten sich sogar reine Anzeigenblätter. Nach 1850, im Zeitalter der späten industriellen Revolution, kopierten Firmen im grösseren Stil bewährte Produkte. Werbung informierte demnach nicht mehr nur über Innovationen und Neuigkeiten, sondern pries die Vorzüge einer bestimmten Marke.
In dieser Zeit ist auch der Beginn des Zielgruppenmarketings zu suchen: Bald schon tauchten erste Fachzeitschriften auf. Dank der lukrativen Werbeeinnahmen auch solche, die nur kleine Zielgruppen ansprachen. Bis heute sind Unternehmen bestrebt, bestimmte Käufergruppen gezielt anzusprechen. Alternative Werbeformen wie Social-Media- oder Empfehlungsmarketing haben dies perfektioniert. Im Gegensatz zu breit angelegten TV-, Inserate- oder Plakatkampagnen kommen neue Werbeformen mit geringeren Streuverlusten aus und sind effizienter. Bis dahin sollten aber noch ein paar Jahrzehnte vergehen.
Gefühle kurbeln den Umsatz an
Vor gut 100 Jahren begann ein neues Werbezeitalter: Grosse Konzerne lancierten zum ersten Mal umfassende Kampagnen – und zwar nicht nur, um primär Produkte oder Dienstleistungen zu verkaufen, sondern vor allem, um die Bekanntheit der Marke zu steigern. Das Ziel: Die Bevölkerung sollte ein Lebensgefühl mit dem beworbenen Produkt in Verbindung bringen.
Mit technischen Innovationen wuchsen auch die Möglichkeiten der Kundenansprache. Dank Radio und Fernsehen war es den Firmen möglich, die Kunden noch emotionaler zu erreichen.
Gutes Google-Ranking ist entscheidend
Und dann – gut 50 Jahre nach dem Fernsehen – kam das Internet, das die Verbreitungsmöglichkeiten nochmals revolutionierte. Nach anfänglicher Zurückhaltung hatte bald jedes Unternehmen seine Visitenkarte im Netz – die Website. Je intensiver die Nutzung, desto grösser wurden die Werbebanner. Zusätzlich verärgerten Pop-up-Fenster und andere aggressive Werbeformen die Kunden zunehmend. Dieser Trend hält an.
Dank Social-Media-Plattformen wie Facebook, YouTube oder Twitter haben Unternehmen die Möglichkeit, wieder näher bei den Kunden zu sein.
Das Potenzial ist aber längst nicht ausgeschöpft: In den Chefetagen sitzen Entscheider, die mit den klassischen Medien aufgewachsen sind. Diejenigen Führungskräfte, die sich damals schon gegen eine Website ausgesprochen hatten, sind häufig noch immer am Ruder. Sie verkennen etwa, dass Social-Media-Aktivitäten von Google gemessen werden und entsprechend zu einem besseren Ranking des eigenen Unternehmens führen. Wer sucht heute schon in den Gelben Seiten nach einem Dienstleister?
Kanäle verknüpfen – Kunden involvieren
Um sich wirksam von der Konkurrenz abzuheben, brauchen Firmen eine umfassende Social-Media-Strategie. Es geht darum, die verschiedenen Kanäle sinnvoll und logisch über die Unternehmensbereiche miteinander zu verknüpfen.
Trugen in früheren Zeiten neben einer guten Idee vor allem grosse Werbebudgets zum Erfolg einer Kampagne bei, können es Unternehmen heute bereits mit weniger finanziellen Mitteln schaffen, ihre Produkte und Dienstleistungen an die Frau oder den Mann zu bringen. Unternehmen müssen greifbar werden und ein Gesicht bekommen. Es geht darum, Fans und potenzielle Kunden zu involvieren, damit diese im Social Web als authentische Markenbotschafter auftreten. Oder wieso nicht mit Crowdsourcing die eigenen Kunden in den Innovationsprozess von neuen Produkten miteinbeziehen? Die Menschen da draussen wissen am besten, was sie wollen.
Die Zukunft hat bereits begonnen
Ob Zeitungsanzeigen vor gut 350 Jahren, Soap Operas im Radio oder Social-Media-Konzepte – sie alle können nicht manipulieren und die Bevölkerung in unmündige Käufer verwandeln. Gute Werbung schafft es höchstens, ein Produkt in einem bestimmten Licht zu präsentieren, und erhöht so die Wahrscheinlichkeit für einen Kauf. Was aber, wenn Freunde von einem Erlebnis oder einem Produkt schwärmen. Das ist beste Werbung. Und genau hier setzt Social-Media-Marketing an. Dank den viralen Mechanismen funktioniert Mund-zu-Mund-Propaganda noch effizienter. Kunden werden langfristig an die Marke gebunden.
Noch spielen alternative Werbeformen für viele Unternehmen eine nebensächliche Rolle. Gemäss einer GfK-Studie (2011) sind aber drei Viertel der Schweizer Marketingentscheider der Meinung, dass die Investitionen in Social-Media-, Empfehlungs- oder virales Marketing im Gesamtmarkt in Zukunft stark steigen.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass bewährte Werbeformen nicht von einem Tag auf den anderen abgelöst werden, aber in jeder Epoche durch effizientere Methoden ergänzt wurden. Dass Social Media für mittlerweile fast die Hälfte der Schweizer Bevölkerung zum Alltag gehört, können Firmen nicht mehr ignorieren – wie sie es sich vor zwanzig Jahren nicht leisten konnten, auf eine Website zu verzichten. Eine umfassende Social-Media-Strategie ist also essentiell, um die Menschen längerfristig zu binden. Besser jetzt als später, denn die Konkurrenz schläft nicht.
So macht es Mammut
Das Unternehmen Mammut startete 1862 als Seilerei. Erst seit den Achtzigerjahren stellt die Firma Sportbekleidung her. Seither hat sich Mammut zu einer modernen Marke entwickelt. Mammut beherrscht die Kunst, sich immer wieder neu zu erfinden, aber gleichzeitig den eigenen Werten treu zu bleiben. Dank aussergewöhnlichen Online- und Social-Media-Kampagnen ist der Hersteller von Sportausrüstung so nahe beim Kunden wie nur wenige andere Marken.
Bestes Beispiel dafür ist die aktuelle Aktion zum 150-jährigen Jubiläum: 150 Teams erklimmen – unterstützt von Mammut – die attraktivsten Berggipfel. Die Bewerbung dafür fand über Facebook statt: Je mehr Freunde der Bewerber für seine Tour gewinnen konnte, desto höher wuchs der aus Profilbildern der Freunde dargestellte virtuelle Berg. «Die Erbauer» der 300 höchsten Berge stellten im Anschluss ein Team für ihre eigene Bergtour zusammen. Nur die 150 spektakulärsten und schönsten Touren schafften es ins Finale. Verantwortlich für die Konzeption und Umsetzung «des grössten Gipfelprojekts aller Zeiten» ist die Werbeagentur webguerillas.
Mammut schöpft die Möglichkeiten der neuen Kommunikationsmittel aus und gibt Bergsteigern die Möglichkeit, selbst Teil einer Expedition zu werden. Die Marke involviert so nicht nur Kunden. Mammut gewinnt auch neue Fans, die gespannt verfolgen, was passiert. Und dies weltweit, wie die 88 000 Facebook-Fans beweisen. Nicht zuletzt hat es Mammut geschafft, selbst Bewegungsmuffel für die Marke zu begeistern: Selbst wer nicht als Expeditionsmitglied ausgewählt wurde, kann die Touren dank spektakulären Fotos und Videos online mitverfolgen.
Philippe Stuker ist Geschäftsführer der webguerillas Zürich – die Full-Service-Agentur für alternative Werbeformen. Der Betriebsökonom arbeitet seit 13 Jahren in der Werbebranche. Die Agentur webguerillas wurde vor zwölf Jahren in München gegründet. Seit Oktober des letzten Jahres ist die Agentur auch in der Schweiz, wo sie zurzeit 23 Mitarbeitende beschäftigt.