von Jürgen Stark
Europa befindet sich in schweren Turbulenzen. In fast jeder Frage ist man zerstritten. Wo bleiben die Gemeinsamkeiten? Wie kann die EU aus ihrer schwersten, ja existenziellen Krise herausgeführt werden? Was wird aus dem Euro?
Die aufgetürmten selbstverschuldeten Probleme und wenig überzeugende Lösungen haben national-populistischen Kräften Auftrieb gegeben. Die politischen Landschaften in den Ländern und damit in der EU haben sich bereits dramatisch verändert. Einfache, rückwärtsgerichtete nationalstaatliche Schein-Antworten finden Zuspruch. Nicht nur wegen eines drohenden Brexit ist die Gefahr der Desintegration so real wie nie zuvor.
Die Krise der Euro-Währungsunion schwelt weiter. Nur wegen der Dominanz der Flüchtlingswelle ist sie in den Hintergrund getreten. Zudem überdeckt die EZB mit ihrer ultra-expansiven Politik – mit Negativzinsen und der mengenmässigen Lockerung der Geldpolitik – die fortbestehenden Probleme.
Nach sechs Krisenjahren bleiben die Perspektiven düster, obwohl man im Krisenmanagement dem Euro ein neues Konzept verpasst hat. Die klaren Inhalte von «Maastricht» wurden 2010 staatstreichartig innerhalb weniger Stunden verworfen und durch intergouvernementale Vereinbarungen ersetzt. Aus der «no bail out»-Klausel wurde mit dem «Europäischen Stabilitätsmechanismus» ein «bail out»-System für Staaten geschaffen. Das Zentralbank-Eurosystem hat sich zum Kreditgeber der letzten Instanz für Staaten entwickelt. Das ist ein eklatanter Verstoss gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung.
Die Wirtschafts- und Währungsunion wurde stückwerkartig mit immer mehr Elementen gemeinschaftlicher Haftung für die Risiken anderer ergänzt. Die vereinbarte Schärfung der Haushaltregeln erwies sich als Illusion. Ehe sie angewandt werden, werden sie flexibel interpretiert. So erodiert auch das neue Regelwerk.
Die Währungsunion hat eine Schwester, die Bankenunion, bekommen. Weitere Vorschläge zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion liegen auf dem Tisch. Sie reichen unter anderem von einer europäischen «Finanzunion» mit einem Einlagensicherungssystem über eine «Fiskalunion» mit einem Haushalt für das Eurogebiet bis zu einer Stärkung der Institutionen, die die Regeln ersetzen sollen. Eine Fülle weiterer und sich widersprechender Vorschläge ist in der Diskussion. Eine «Sozialunion» wird gefordert. Andere schlagen einen «europäischen Finanzminister» vor, wobei es entweder um dessen Budgethoheit oder um dessen Durchgriffsrechte auf nationale Budgetentscheidungen geht.
Aber wie soll man angesichts der rücksichtslosen Vertretung nationaler Interessen einen Konsens finden? Noch nie waren die Divergenzen so gross. Noch nie gab es einen derart unterentwickelten politischen Willen für europäische Lösungen.
Sind damit die Währungsunion als solche und der Euro in Gefahr? Sowohl von einem «Nord»- und «Süd»-Euro wird geredet. Das «Atmen» der Währungsunion wird empfohlen, um Ländern wie Griechenland vorübergehend das Ausscheiden aus dem Euro zu ermöglichen. Dies hiesse, entweder eine Nord-Süd-Teilung Europas zu akzeptieren oder die Irreversibilität des Euro infrage zu stellen.
Der Euro wird bestehen bleiben, solange Frankreich und Deutschland hierfür die politische Garantie geben. Gesichert ist das angesichts sich verschiebender Mehrheitsverhältnisse nicht. Die 2015 gegebene Chance wurde vertan, die Währungsunion zu stärken und ihr schwächstes Glied ziehen zu lassen. Die Folge ist, dass der Euroraum nur durch massive Finanztransfers und monetäre Finanzierung durch die EZB zusammengehalten werden kann. Das wiederum spaltet Geber und Nehmer!
Weitere Informationen: www.ecb.europa.eu