Schweizer Unternehmen haben eine gnadenlose Demografie vor sich. Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter ist auf Rekordhöhe gestiegen. In der Führungsetage ist das Alter noch höher. Fach- und Führungskräfte erreichen bald das Pensionsalter und gehen der Wirtschaft verloren: Unternehmen verlieren mehr Mitarbeiter als je in der Geschichte; die geburtenstarken Jahrgänge entschwinden in die Rente; Nachwuchs ist knapp.
Die Schweiz hat die «Fachkräfte-Initiative» ausgerufen – mit vier Handlungsfeldern: Höherqualifizierung entsprechend Bedarf, Schaffung guter Bedingungen für ältere Arbeitnehmer, Innovation für Produktivität und Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Der Bund als Arbeitgeber will ältere Arbeitnehmer und Beruf/Familie fördern mit Kinderbetreuung und Ganztags-Schulen. Doch auf der Website der «Fachkräfte-Initiative» FKI heisst es: «Der Fachkräftemangel wird intensiviert durch die Initiative ‚Gegen Masseneinwanderung‘ von Februar 2014» – und … «Der Fachkräftemangel kann mit der FKI nicht gelöst werden.»
In anderen Worten: Firmen müssen selbst Lösungen finden. Der Fachkräftemangel ist längst Realität und kostet Milliarden. Firmen kompensieren durch «Arbeitsverdichtung». Sie müssen das Pensum mit weniger Leuten schaffen. Produktivitätserhöhung ist das Schlagwort. Das bleibt nicht ohne Folgen. Der Stresspegel steigt.
Wer hat das Hauptproblem? Der Fachkräftemangel ist nicht mehr das, was wir erwarten: Knappe Ingenieure sind längst nicht mehr das Hauptproblem: Die produzierende Industrie beschäftigt im Wandel zur Wissensgesellschaft nur noch etwa 22 Prozent der Erwerbstätigen. Die Dienstleistung beschäftigt mehr als Dreiviertel der Erwerbstätigen. Wer hier Fachkräfte sucht, hat überraschende Statistiken vor sich. Der Arbeitsmarkt besteht überwiegend aus Frauen – im Bereich Bildung, soziale Dienste und Finanzdienstleistung; der Bereich Gesundheit und Wellness beschäftigt bereits heute zu knapp 80 Prozent Frauen. Das nehmen wir nicht wahr, denn Chefärzte und Leiter von Klinik und Verwaltung sind zu über 90 Prozent Männer.
Früher lockten Schweizer Kliniken Ärzte und Krankenpfleger aus dem süddeutschen Raum. Kliniken dort haben sich gegen den «Brain Drain» gewappnet: Attraktive Work-Life-Balance und Job-Sharing-Angebote halten die Hochqualifizierten – das Schweizer Gehalt ist Einbussen an Work-Life-Balance nicht mehr wert. Die Zeiten sind vorbei, wo sich hoch qualifizierte Menschen antiquierten Strukturen beugen. Häuser, die nicht innovativ sind, verlieren ihre Mitarbeiter.
In Genf zeigt die Universitätsklinik, wie es geht: Hier sind Positionen bis hin zum Oberarzt mittels Job-Sharing auf Wunsch hin aufgeteilt. Und eine hauseigene Kinderbetreuung entlastet die Ärzte, die rund um die Uhr verfügbar sein müssen. Das Resultat? Der Krankenstand ist niedrig. Die Loyalität der Mitarbeiter und ihre Leistung sind hoch.
Wer die neue demografische Realität nicht im Blick hat, verliert Mitarbeiter nicht nur an innovative Mitbewerber, sondern auch in den Krankenstand – oder in den «Präsentismus»: Mitarbeiter sind zwar körperlich anwesend, aber geistig nicht voll da.
Wo Arbeitsmodelle und Zeitsysteme flexibilisiert werden und Positionen bis hin zu Führungspositionen aufgeteilt werden, verzeichnet man hervorragende Ergebnisse: Das Unternehmen ist attraktiv im Markt, die Mitarbeiterschaft ist motiviert und bleibt, der Dienst am Kunden bringt Umsatzvorteile.
von Dr. Barbara Lang