Interview mit Guido Schilling, Managing Partner (Guido Schilling AG)
von Patrick Gunti und Urs Huebscher
«Geschäftsführer»: Herr Schilling, ob in der Finanzbranche, in der IT, in der Verwaltung oder in den Spitälern – jahrelang war die Zuwanderung von Fachkräften in die Schweiz ungebrochen. In diesem Jahr hat sich dies geändert und Sie gehen davon aus, dass der Wanderungssaldo der Deutschen weiter rückläufig sein wird. Was ist passiert? Wo sehen Sie die Hauptgründe dieser Entwicklung?
Guido Schilling: Grossen Einfluss hat die robuste wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland: Sie sorgt dafür, dass den deutschen Führungskräften im Heimatland sehr gute Karriereperspektiven geboten werden. Hinzu kommt das eher schwache Wachstum in der Schweiz als Folge der starken Währung. Zusammen sorgt das dafür, dass die Schweiz als Standort für diese Personen weniger attraktiv erscheinen lässt. Die jüngsten Zahlen des Staatssekretariats für Migration sprechen eine deutliche Sprache: In den letzten 12 Monaten ist die Zahl der Deutschen in der Schweiz noch um netto 2 264 Personen angestiegen, weniger als beispielsweise bei den Polen oder den Ungarn. Zum Vergleich: 2010 kamen netto noch über 14’000 Deutsche ins Land.
Gibt es auch emotionale Gründe? Lange Zeit wurde die Debatte bezüglich den vielen Deutschen in der Schweiz ja leidenschaftlich geführt. Haben die vielfach geäusserten populistischen Aussagen bei den deutschen Fach- und Führungskräften Spuren hinterlassen?
Das hat durchaus eine Rolle gespielt. Die deutschen Medien haben diese Debatte ja ebenfalls aufgegriffen, so dass in Deutschland der Eindruck entstand, man sei in der Schweiz gar nicht mehr willkommen. Ein anderes Bild bieten jedoch die positiven Rückmeldungen vieler in der Schweiz lebender deutscher Spitzenkräfte, die sich hier sehr wohl fühlen.
Es kommen nicht nur weniger Deutsche ins Land, es ziehen sogar mehr wieder weg. Welche Auswirkungen hat dies auf die hiesige Wirtschaft?
Langfristig zeitigt das gravierende Folgen: Die Deutschen sind die natürliche Ergänzung des Kandidatenpools für Kaderpositionen, weil sie uns sprachlich und, gerade was den süddeutschen Raum betrifft, kulturell sehr nahe stehen. Der CEO eines bedeutenden Verkehrsunternehmens sagte mir das vor Wochenfrist ganz deutlich: Ohne Deutsche im mittleren und oberen Kader gehe es schlicht nicht.
Wie spüren Sie diese Entwicklung in Ihrer täglichen Arbeit? Wie haben sich die Verhandlungen mit Top Executives aus unserem Nachbarland in den letzten Monaten verändert?
In den letzten Monaten verschärfte sich eine Entwicklung, die sich schon seit mehreren Jahren abzeichnet: Es gestaltet sich seit 2011 schwieriger, deutsche Kandidaten für Positionen in der Schweiz zu begeistern. Waren nach der Finanzkrise noch etwa 50 Prozent grundsätzlich interessiert, wenn wir sie angefragt haben, sind es heute noch etwa 10 Prozent.
Die Attraktivität unseres Arbeitsmarktes hat zahlreiche Facetten. Aus jahrelanger Erfahrung wissen Sie, welche Gründe ausländische Manager überzeugen, in die Schweiz zu übersiedeln. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein? Welche Rolle spielen Faktoren bezüglich der hohen Lebensqualität in der Schweiz?
Natürlich müssen Gehalt und Karriereperspektiven stimmen. Doch für viele gilt: Eine Position im Ausland muss eine merkliche Verbesserung in der Aufgabe und in der beruflichen Herausforderung mit sich bringen, damit sie das Risiko eines Jobwechsels auf sich nehmen. Denn den Entscheid für oder gegen eine Position im Ausland trifft ein Topmanager nie alleine, sondern am Familientisch. Eine hohe Lebensqualität, gute Schulen, hohe Sicherheit und eine vertraute Kultur spielen daher auch eine wichtige Rolle.
Unabhängig vom Bildungsstand, der beruflichen Stellung oder dem Aufenthaltsstatus wird von Ausländern in der Schweiz stets gefordert, sich zu integrieren. Bieten die Schweiz und die Schweizerinnen und Schweizer ihrer Meinung nach dazu gute Voraussetzungen?
Durchaus, in der Schweiz ist man sehr vertraut mit dem Thema Integration, wir haben da ja auch viel Erfahrung. Viele Gemeinden verfügen über hervorragende Strukturen, um Neuankömmlinge zu empfangen und willkommen zu heissen. Einigen Personen fällt es zwar schwer, mit der zurückhaltenden Schweizer Mentalität zurechtzukommen. Doch von der grossen Mehrheit der ausländischen Führungskräfte, die ich für Positionen in der Schweiz gewinnen konnte, habe ich sehr positive Rückmeldungen erhalten. Oftmals bleibt ihre Familie sogar dauerhaft in der Schweiz, wenn sie selbst ein nächstes Auslandengagement annehmen.
Welche Branchen sind eher auf Top Executives aus Deutschland angewiesen, in welchen Branchen ist auf der anderen Seite auch die Konkurrenz für die Deutschen grösser?
Es ist nicht in erster Linie eine Frage der Branche, sondern der Unternehmensgrösse. Die grossen multinationalen Konzerne, die Grossbanken, Nestlé oder Novartis, sind sehr international aufgestellt und rekrutieren ihr Top-Management auf der ganzen Welt. Deutsche haben hier, aufgrund der angelsächsisch geprägten Unternehmenskultur, keinen nennenswerten Vorteil gegenüber anderen Ausländern. Es sind die nächstgrösseren Unternehmen aus dem SPI, insbesondere aus der Industrie, aber durchaus auch aus den Dienstleistungen, die auf deutsche Führungskräfte angewiesen sind.
Nicht vergessen darf man, dass die vielen international aufgestellten, traditionellen Schweizer Unternehmen, welche sich trotz sehr internationaler Kundschaft immer noch mehrheitlich auf Deutsch unterhalten. Diese benötigen Fach- und Führungskräfte, welche oft hoch spezialisiertes Wissen in das Unternehmen bringen müssen. In der Schweiz ist dieses Wissen oft nicht in genügendem Mass vorhanden, in Deutschland schon, weil dort die Hauptkonkurrenten des Unternehmens anzutreffen sind.
So oder so benötigt die Schweiz Manager aus dem Ausland, um alle anspruchsvollen Führungspositionen besetzen zu können. Gerade in Anbetracht der ausstehenden Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative ist die Unsicherheit gross. Wie erleben Sie diese?
Diese Unsicherheit ist vorhanden, ich erlebe sie auf Seiten der Unternehmen wie bei den Kandidaten. Die Masseneinwanderungsinitiative hat den Rückgang der Ausländer in Führungspositionen zwar nicht ausgelöst, dieser begann wie gesagt bereits 2011. Sie hat der Attraktivität der Schweiz für Führungskräfte jedoch zusätzlich geschadet. Und unabhängig davon, welche Umsetzung zuletzt gewählt wird: Die aktuelle Phase der Unsicherheit ist Gift für den Standort Schweiz.
Sie schreiben in Ihrem Beitrag zum Thema: «Wollen wir unsere Unternehmen in der Champions League halten, können wir auf die Spitzenspieler aus Deutschland nicht verzichten.» Wären Sie einer dieser Champions League-Teilnehmer: Was würden Sie tun?
Zunächst einmal würde ich eine starke Nachwuchsabteilung aufbauen: Wer seine interne Pipeline an Talenten pflegt und entwickelt, vergrössert sein zukünftiges Reservoir an Führungskräften und verschafft sich den Ruf eines hervorragenden Arbeitgebers. Im Weiteren würde ich auf eine maximale Diversity setzen, denn die jungen, hervorragend ausgebildeten Frauen werden sich bei ihrem Berufseinstieg an Firmen orientieren, welche auf diesem Bereich schon viel gemacht haben und Leuchttürme sind. Dieser Ruf ist entscheidend, um weitere Talente für das Unternehmen gewinnen zu können. Allerdings hilft auch die beste Nachwuchsarbeit nicht, wenn das Team absteigt, bevor die Talente für die erste Mannschaft bereit sind. Gezielte Zukäufe von ausländischen Spitzenspielern sind daher unumgänglich und sinnvoll.
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