Im Rahmen des beschworenen Zeitalters der Digitalisierung werden wir mit begriffen, die sehr wichtig daherkommen überschwemmt. Da kann manchmal nur noch das Kabarett helfen, um die Situationen ironisch zu brechen und uns auf den Boden der Realität zurückzuführen.
Schlagworte wie Industrie 4.0, digitale Transformation und disruptive Technologien treiben die Unternehmen um und stellen sich als zentrale Herausforderungen unserer Zeit dar. Von allen Seiten bekommen Unternehmer, Entscheider und Führungskräfte gute Tipps, wie sie solche Themen im Alltag besser oder sogar stressfrei bewältigen. Und da darf die Agilität nicht fehlen! Mitunter kann genau das zu so mancher Absurdität in der Chefetage führen – so erfährt und erlebt das auch Hannes. Der 49-jährige studierte Betriebswirt ist Produktionsleiter und Mitglied der Geschäftsleitung eines internationalen Industriekonzerns. Er gewährt einen Einblick, was auf der Management-Etage so gedacht und getan wird – erst recht, wenn es um agile Projekte geht. Übrigens: Ein Schmunzeln aufgrund dieser Business-Satire ist hier durchaus erlaubt …
der Prozess und die Sinnfrage
Die Zeiten stehen auf digital und agil. Da muss Hannes durch, das Unternehmen will (zumindest in der deklarierten Aussensicht) den Anschluss nicht verlieren. Zuerst wird die HR-Abteilung versuchsweise agil aufgestellt. Der Auftrag lautet wörtlich, dass sich die besagte HR-Abteilung als Pilotprojekt «agilisiert». Hannes wird dieses Projekt schliesslich auch in der Produktionsabteilung umsetzen und gehört damit zum SBC (Sounding Board
Commitee), das der pilotierenden Abteilung rückmelden muss, wie die Agilisierung wirkt. Obwohl die Vorgabe klar ist: sie MÜSSEN es machen. Und der CEO hat auch schon gesagt, WIE sie es tun müssen. Da gibt’s in der Tat wenig zu «sounden», aber Prozess ist Prozess. Man «soundet» einfach so lange, bis es dem Chef passt.
Nicht, dass sich Hannes unnütz vorkommt, immerhin hat er eine politisch bestätigende Funktion inne. Im Versteckten aber schwappt die Sinnfrage doch ein wenig hoch. Dafür bleibt indessen jetzt keine Zeit. Es gilt, den Prozess zu starten. Die HR-Abteilung macht zum Auftakt einen Workshop. Unbestrittene
Tatsache ist, dass «agil» beweglich heisst. Unerklärlicherweise herrscht die Meinung auch vor, dass «agil» gleichzeitig auch «nicht-mehr-durchdenken-sondern-einfach-mal-machen» bedeutet.
Sinnentleerter Sound
So funktioniert «agil»: Alles ist perfekt verordnet. Diese Arbeitsweise ist übrigens auch die verinnerlichte Haltung der HRLeitung. «Gib vor, was die Leute zu tun haben, damit sie wissen, was und wie sie es tun sollen.» Doch wie passt das zur neuen Agilität? Im internen Workshop wird darüber diskutiert: agil heisst jetzt, nicht mehr alles zu sagen, was man meint, es dann umsetzen zu lassen, um es dann am Schluss trotzdem zu sanktionieren. Wieder ein anderer meint, dass es gar nicht möglich sei, dass HR agil sein könne.
Tipps für die agile Welt
> New Work ist mehr als nur ein neues Vokabular im Management.
> Neue Ansätze müssen ein Ziel und einen Sinn haben, sonst bleibt es Selbstzweck.
> Das Tempo des Wandels, genau wie die Abflachung von Hierarchien, brauchen funktionierende Beziehungen.
> Beziehungen finden spätestens beim letzten Punkt von einem realen Menschen zum anderen realen Mensch statt.
> Beziehung gepflegt wird in erster Linie durch gute, menschliche Kommunikation.
«Ist ja eh alles vorgegeben.» Der nächste wirft in die Runde: «Wir sind ein tolles Team und bereits jetzt total agil.» Die Stichworte landen im Boarding-Protokoll, das Hannes nun sounden muss.
Hannes überlegt, wie der Workshop und die Aussagen auf ihn wirken. Die Glaubwürdigkeitsfrage eines in sich nicht kongruenten Prozesses darf er nicht stellen. Er beschliesst folglich, sich auf die Rückmeldung «wirkt professionell und sprachlich absolut verständlich» zu beschränken. Gleichwohl liest Hannes Literatur zum Thema und beginnt sich die Frage zu stellen, ob wirklich alle alles verstanden haben.
Denn er selbst versteht die Welt nicht mehr. Er beginnt disruptiv zu denken, stellt den ganzen «jetzt-machen-wir-einfach-alles-agil-und-ändern-trotzdemnichts» in Frage und ist froh, dass agil grundsätzlich mit beweglich übersetzt wird. Ein agiles Zielbild heisst beispielsweise, dass man sich mal da und mal dort, oder vielleicht doch nicht einigt, welchen Nutzen der Kunde hat.
Irgendwie lässt ihn «agil» nicht mehr los. Er beginnt sich selbst zu sounden und verliert völlig den inneren Halt, was nun gilt. JETZT ist Hannes wohl selbst im agilen Zeitalter angekommen …
Willkommen im agilen Zeitalter
Modern heisst nicht nur, die Begriffe auswechseln. Auch wenn es hie und da vorkommt, dass «kollegiale Fallberatung» in der Verpackung «Community of Practice»
sich besser anhört, darf nicht vergessen werden, dass die Agilität und Digitalisierung irgendetwas verbessern sollten. Darum reicht es nicht, einfach mal einen Namen auszuwechseln. Es gilt, haarscharf zu überlegen, was jetzt aus welchem Grund wirklich besser werden soll und was man besser, genauer, effizienter, kostengünstiger, kundenfreundlicher machen kann.
Die Verflachung der Hierarchien, Automatisierung und Digitalisierung sind klar erkennbare Entwicklungen, die Veränderungen mit sich bringen. Immer mehr Prozesse funktionieren allerdings nachweisbar nur, wenn auch die zwischenmenschliche, interne und Team-interne Kommunikation auf höchstem Niveau gelebt wird. Je digitaler die Welt, desto zentraler werden sauber gestaltete Beziehungen.