Schweizer Unternehmen erwarten von Big Data einen zusätzlichen Innovationsschub, der ihre Position im internationalen Wettbewerb stärkt. Das ist eine zentrale These einer Studie der Commerzbank. Bei der Umsetzung in entsprechende Produkte haben die Unternehmen nach der aktuellen Studie der Commerzbank allerdings noch Nachholbedarf. Wir führten ein Hintergrundgespräch mit Marc Steinkat, dem CEO der Commerzbank.
Ich bekomme als Redaktor fast jede Woche Materialien zur digitalen Transformation im Allgemeinen oder auch Blockchain, KI oder Big Data auf den Schreibtisch. Die Einschätzungen schwanken stark. Wie sehen Sie die Situation Schweizer Unternehmen und wie kann ich als Verantwortlicher damit umgehen? Auch wir sehen sehr viele Unsicherheiten und gegenläufige Tendenzen. Auch aus diesem Grund haben wir unsere Studie «Big Data, Smart Data: Der Rohstoff des 21. Jahrhunderts» in Auftrag gegeben, um Klarheit und Orientierung vermitteln zu können. Wir wollen mit der Studie aber auch Mut machen, auf die steigende Bedeutung
von Big Data hinzuweisen.
Was stimmt Sie optimistisch?
Inzwischen sind viele Unternehmen bei der systematischen Erfassung ihrer Daten gut unterwegs. Die ersten Schritte sind gemacht. Die Datenströme werden zunehmend
vernetzt. Gerade in der Produktion oder bei den Lagerbeständen hat sich hier einiges getan.
Und was steht uns noch bevor, genauer gefragt, wo gibt es noch Luft nach oben?
Big Data geht weit über diese angeführten Schritte hinaus. Es geht um Stichworte wie Distribution, Qualitätsmanagement oder die Optimierung der Service-Intervalle. Hier erwarten die Unternehmensverantwortlichen von Big Data einen Innovationsschub, um schlussendlich ihre Position im internationalen Wettbewerb zu schärfen. Bei der Umsetzung in entsprechende Produkte haben die Unternehmen allerdings noch Nachholbedarf.
Sind solche Themen nicht nur etwas für grosse Unternehmen, die viel Geld investieren können?
Der wichtigste Erfolgsfaktor ist die Veränderung der Unternehmenskultur. Man kann hier nicht einfach stehen bleiben. Heute können branchenfremde Mitbewerber viel schneller das eigene Geschäftsmodell angreifen. Intelligenter Einsatz von Big Data kann Unternehmenshierarchien
zwar durcheinanderwirbeln, doch es gibt heute immer weniger Insellösungen, die einfach so funktionieren. Alle sind von den Umwälzungen betroffen.
Was heisst dies im Betriebsalltag für die Unternehmensverantwortlichen?
Der Chef sollte Mitarbeitern mehr Raum geben. Digitalisierung geht alle Hierarchiestufen
etwas an. Er muss auf Teamarbeit und agile Prozesse setzen und Verantwortung abgeben können. Die strategische Umsetzung von Big Data braucht flache Hierarchien und die Bereitschaft, etwas zu tun. Und hier bin ich wieder bei Ihrer Ausgangsfrage. Das ist nicht immer eine Frage des Geldes. Es geht um Kultur und Neugier, aus diesem Grund ist die Einbindung von Digital Natives zwingend notwendig. Im Zentrum steht die Herausforderung, sein eigenes Geschäftsmodell zu hinterfragen. Das betrifft wirklich jede Branche.
Da können Sie uns sicher ein Beispiel verraten?
Ich war auf Kundenbesuch bei einem Maschinenbauunternehmen. Es produziert Werkzeuge. Man denkt ja auf den ersten Blick, dass Werkzeuge analoge Produkte sind.
Ja, meine Maulschlüssel, die bei mir im Keller an der Wand hängen, sind nicht digital gesteuert.
Diese Sichtweise ist heute zu kurz gesprungen. Das von mir besuchte Unternehmen ist in seinem Bereich Marktführer, da es in seine Werkzeuge einen digitalen Chip einbaut. Dieses Werkzeug zeigt dem Anwender Verbrauchsparameter auf. Das Werkzeug selbst sendet ein Signal aus, wenn es ausgetauscht werden sollte. Dies löst dann selbstständig die Lieferkette aus. Dann kann rechtzeitig aus der Schweiz in alle Welt hinaus das Werkzeug geliefert werden. Hier stellt man sich den Herausforderungen, und wir lernen, dass ein analoges
Werkzeug nach nur kleinen Veränderungen sehr digital daherkommen kann.
Eine zentrale Herausforderung ist auch das Thema Bildung. Wobei es sicher um Aus- und Weiterbildung geht. Das Stichwort vom lebenslangen Lernen springt einen beim Thema Big Data ja förmlich an.
Qualifizierung ist fraglos ein Kernthema. Es muss mehr Weiterbildung geben. Eine Kooperation mit Hochschulen und Wissenschaft ist sehr sinnvoll. Neue IT-Spezialisten gilt es, so zu integrieren, dass sie ihr Wissen auch weitergeben können.
Da sind wir bei dem Thema Fachkräftemangel angekommen …
Ja, viele Datenspezialistinnen und -spezialisten sind derzeit noch in der Ausbildung. Der Wettkampf um die besten Köpfe ist hart. Es gibt aber auch KMU, die sich sogar aus dem Silicon-Valley heraus verstärken konnten und einige Anregungen bekommen haben. Hier kommen auch die Standortvorteile der Schweiz zum Tragen – auch dies verdeutlicht die Studie. Die Verflechtungen zwischen Wissenschaft und Unternehmen sind hier sehr gut, und
dadurch bekommen die Unternehmen auch mehr Fachkräfte.
Wie sieht es beim Thema Datenqualität aus? Daten sind ja nicht Daten und aus Big Data sollte sich ja auch Smart Data entwickeln?
Datenqualität und Datenverfügbarkeit stellen eine zentrale Herausforderung dar. Eine tiefe Datenerfassung und -analyse stellt die Unternehmen aktuell noch vor Probleme. Knapp drei Viertel der Befragten geben an, dass die Qualität der gesammelten Daten noch unzureichend ist. Daneben gestaltet sich die Datenbeschaffung als schwierig. Fragen rund um Datenschutz und -sicherheit oder Kundenmisstrauen werden hingegen seltener als Problem benannt. Bei der Datenerfassung konzentrieren sich die Unternehmen aktuell vermehrt auf interne Daten.
Hier werden Daten zur finanziellen Lage und Entwicklung des Unternehmens sowie zu den Absatzschwerpunkten genannt. Die internen Daten zur Kundenzufriedenheit bei der Produktnutzung werden leider selten ermittelt. Das hat mich überrascht.
Das ist eine offensichtliche Baustelle.
Absolut. In den Daten stecken ja die zentralen Töne, die das eigene Geschäftsmodell zum Klingen bringen: Eine professionelle Datenanalyse liefert Informationen zu Qualität und Kundenzufriedenheit und die Wünsche der Kunden. Das hilft ganz ohne Frage der Weiterentwicklung des Geschäftsmodells.
Was haben eigentlich Banken mit dem Thema zu tun?
Das grosse Potenzial von Big Data liegt in der Neuausrichtung oder Weiterentwicklung
von Geschäftsmodellen. Das gilt zunächst gerade auch für uns als Verantwortungsträger in Banken. Banken haben oft einen riesigen Datenschatz im Keller – oft noch analog. Hier Ordnung zu schaffen, stellt die Erstaufgabe dar. In der Folge geht es um die Aufdeckung
von Effizienzpotenzialen beim Kunden als auch bei uns.
Wie sieht dies konkreter aus?
Mit dem Thema Commerzbank Big Data lassen sich völlig neue datenbasierte Finanzierungslösungen und Services entwickeln und dadurch für unsere Kunden Mehrwerte schaffen. Es gibt bei uns Lösungen, in deren Rahmen sich die Tilgung dem Nutzungsverlauf der Maschinen anpasst. Das ist eine direkte Verknüpfung mit der Produktion. Solche Lösungen haben wir nur realisieren können, indem wir nachhaltig in die digitale Transformation investiert haben. Jetzt können wir moderne Analysemethoden mit unserer IT verknüpfen, Daten in Echtzeit auswerten und so wertvolle Erkenntnisse gewinnen. Diese Erkenntnisse können wir
dann gezielt im Bankgeschäft nutzen.
Wie sieht der Link zwischen Ihrem klassischen Bankmodell und Big Data in der Praxis aus?
Es geht um datenbasierte Kredite für Firmenkunden. Das Stichwort heisst hier Payper- Use-Kredite, deren Tilgung sich an der Maschinennutzung orientiert. Das Internet der Dinge bezeichnet vernetzte Gegenstände, die über das Internet selbstständig miteinander kommunizieren. Damit können zum Beispiel Maschinenhersteller und -nutzer den Einsatz ihrer Maschinen optimieren, Stillstandzeiten minimieren und Wartungszyklen individuell auf die Nutzung anpassen. Ziel sind Effizienzgewinne im Einsatz der Anlagegüter. Die neuen Technologien ermöglichen ebenfalls neue Geschäftsmodelle wie Pay-per-Use, Pay-per- Part oder auch Equipment-as-a-Service.
Lassen Sie uns nochmals zu den Grundlagen und Zielrichtungen kommen.
Wie sehen diese aus?
Big Data & Advanced Analytics heisst unsere neue Einheit. Darin geht es unter anderem um Infrastrukturthemen, damit die Prozesse effizienter laufen. Das Fundament bildet der sogenannte Data Lake, der als Sammelbecken für sämtliche Daten dient. Wer mit uns künftig ein neues Produkt entwickelt, bekommt Zugang zu dem Teil des «Data Lake», den er braucht und gemäss Datenschutzbestimmungen einsehen darf. So können Produkte genauer auf das Kundenwachstum zielen. Aber auch Risiken können von Beginn an noch besser eingeschätzt und gemanagt werden. Wir entwickeln und implementieren Use Cases, die auf konkrete Kundenwünsche einzahlen und entwickeln diese ständig weiter. Zu guter Letzt generieren
wir aus unseren Daten Erkenntnisse, die einen wertvollen Beitrag zu Kostensenkungen
und zur Vermeidung von Risiko-, Betrugs- und Compliance-Kosten leisten. Ein weiterer wichtiger Rahmen ist das Future Lab in Frankfurt. Dort analysieren wir mithilfe von Big Data und Beratungsprozessen Kundenverhalten oder lassen neue Player am Markt wachsen. Auch im Risikomanagement digitalisieren wir unsere Geschäftsmodelle, damit eine hohe Qualität und schnelle Entscheidungsprozesse ermöglicht werden.
Was heisst dies für die Schweiz?
Die Schweiz steht als Hartwährungsland in einem extremen Wettbewerb. Mit unseren Lösungen können sich die Firmenverantwortlichen Luft verschaffen und etwas ruhiger in die Zukunft schauen.
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