Die Zeiten, in denen Lotus in den 1960er- und 1970er Jahren die Formel 1 mit seinen aussergewöhnlich leichten Rennwagen dominierte, sind passé. Heute sind die Fahrzeuge von Lotus weitaus leiser – und dank starker Elektromotoren auch schwerer unterwegs. Mit dem Lotus «Eletre» lebt das Erbe von Gründer Colin Chapman jedoch weiter – der vollelektrische Hyper-SUV macht sowohl auf der Strasse als auch auf dem Track eine gute Figur.
Fast schon meditativ gleite ich über die leergefegte Autobahn – links und rechts von mir zieht die von saftig grünen Wäldern und tiefblauen Seen geprägte Landschaft Norwegens vorbei. Die ruhigen Strassenverhältnisse erlauben es mir, meinen Blick umherschweifen zu lassen und das mysteriöse Land, das ich sonst nur aus Film und Fernsehen kenne, zu
bestaunen. Nur selten kommt mir ein anderes Fahrzeug entgegen oder zieht an mir vorbei – aber wenn, dann ist es ein Elektroauto. Rund 85Prozent aller Neuzulassungen in Norwegen sind derzeit elektrisch – mittlerweile fährt jedes fünfte Auto hier mit Elektroantrieb. Die grosszügigen Subventionen des Staates machen den Kauf für Norweger attraktiv. Schliesslich will das Land bis 2025 den Verkauf von Verbrennern einstellen. Ein hochgestecktes Ziel, das sich aber bereits jetzt auf den Strassen bemerkbar macht. Es
überrascht also nicht, dass sich Lotus genau diese Destination, das Land im hohen Norden, für den Test des ersten vollelektrischen Hyper-SUVs weltweit ausgesucht hat: den Lotus «Eletre».
VOM RENNSTALL AUF DIE STRASSE
Die Erfolge und Innovationen im Rennsport haben die Grundlage für die heutige
Faszination und Anziehungskraft von Lotus gelegt. Gegründet wurde das Unternehmen
1952 von Colin Chapman, einem visionären Ingenieur und Rennfahrer. Chapman hatte eine klare Philosophie: Leichtbau, innovative Technik und überragende Fahrleistung sollten Hand in Hand gehen. So erlangte Lotus bereits früh seinen Ruf für technische Exzellenz und bemerkenswerte Rennsporterfolge. Zum Beispiel war Lotus einer der ersten Hersteller, der den Einsatz von aerodynamischen Flügeln in der Formel 1 einführte. Dieser Ansatz fand später weltweit Anwendung und prägte das Rennwagendesign nachhaltig. Die Zusammenarbeit mit berühmten Fahrern wie Jim Clark und Ayrton Senna trug weiter zur Legendenbildung bei und machte Lotus zu einer festen Grösse im Rennsport.
Parallel zur erfolgreichen Rennsportkarriere begann Lotus, auch Strassenfahrzeuge zu produzieren. In den 1970er- und 1980er-Jahren eroberte der Lotus «Esprit» die Herzen von Autoenthusiasten weltweit. Mit seinem auffälligen Design und dem legendären Auftritt in James-Bond-Filmen wurde der luxuriöse Sportwagen zu einem Symbol für Eleganz und Stil.
Mittlerweile hat Lotus seine Aktivitäten im Rennsport eingestellt, seine Expertise in die Entwicklung von High-Performance-Strassenfahrzeugen eingebracht und dabei die Philosophie von Colin Chapman bewahrt. Im Einklang mit dem Zeitgeist hat Lotus die Elektrifizierung als Teil seiner zukünftigen Vision angenommen. Nach dem «Evija», dem
ersten vollelektrischen Hypercar, setzte Lotus im Jahr 2023 mit dem «Eletre» ein weiteres Statement für sein Engagement im Bereich Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein.
EIN MEILENSTEINAUTO FÜR EINEN MEILENSTEINMOMENT
Er ist ein wichtiger Meilenstein in der dramatischen Transformation von Lotus: Der weltweit erste vollelektrische Hyper-SUV «Eletre» übernimmt die Kernprinzipien und die Lotus-DNA aus 75Jahren Sportwagendesign und -technik und entwickelt sie zu einem begehrenswerten, völlig neuen Lifestyle-Fahrzeug weiter. Tatsächlich fühle ich mich in dem
markanten SUV mit seinen rot-schwarzen Sportsitzen, dem Grip rund um das Lenkrad und den beiden kraftvollen Elektromotoren unter mir, als würde ich gleich die Rennstrecke befahren. Glücklicherweise befinde ich mich später im Rahmen meines Test-Drives auf einem leerstehenden Flughafengelände, wo ich die Leistung des Modell-Flaggschiffs «Eletre R» sorgenlos testen kann. Immerhin bietet das Spitzenmodell eine Beschleunigung von null auf 100Kilometer pro Stunde in atemberaubenden 2.95Sekunden. Mächtig Power, die dank des aktiven Heckspoilers sowie eines zweiten geteilten Dachspoilers noch unterstützt wird. Diese passen sich je nach Fahrzeuggeschwindigkeit, Beschleunigung, Bremsung und
Fahrmodus-Einstellung automatisch an. Ein weiteres charakteristisches Element des Designs ist die «Porosität» – das aerodynamische Prinzip der Luftströmung durch das Fahrzeug sowie darunter, darüber und drumherum. Für den Fahrer liegen die Vorteile klar auf der Hand: Durch die Reduzierung des Luftwiderstands verbessern sich Leistung
und Reichweite. Von aussen zeichnet sich der Wagen durch eine nach vorn gerichtete Fahrerhausposition, einen langen Radstand und sehr kurze Überhänge vorne und hinten aus. Insgesamt wirkt das Fahrzeug optisch leicht und vermittelt eher den Eindruck eines hochsitzenden Sportwagens als eines SUV. Auffallend bleibt das Gefährt ohnehin. Unzählige Augenpaare drehen sich nach dem Fahrzeug um, als ich wenig später meine Fahrt durch Norwegen fortsetze. Vielleicht auch, weil die Norweger nicht gerade für ihren Hang zum Luxus bekannt sind – neben Skoda, Toyota und VW trifft man aber auch auf den Strassen eher die budgetfreundlicheren Elektromodelle. Kein Wunder also, dass die dramatische Erscheinung des «Eletre» die Aufmerksamkeit erregt. Es liegen noch rund drei Stunden Fahrt vor mir, bis ich mein Endziel erreiche. Doch dank der Reichweite des Akkus von bis zu 600Kilometern trete ich die Reise entspannt an. Und selbst wenn sich der Akku dem Ende nähert, reichen nur 20Minuten aus, um diesen von zehn auf 80Prozent aufzuladen. Sorgenfrei folge ich den Anweisungen meines Navigationsgeräts, das mir nicht nur meine Route, sondern auch die Verfügbarkeit von Ladestationen anzeigt. Und auch wenn die
Strassen ruhig vor mir liegen, ist der «Eletre» natürlich mit einer ganzen Reihe fortschrittlicher Fahrerassistenzsysteme ausgestattet, die alle darauf ausgelegt sind, die Sicherheit zu erhöhen und die Fahrt entspannter zu gestalten. Insgesamt 34Sensoren verleihen dem Fahrzeug einen echten 360-Grad-Blick auf die Welt drum herum – praktisch, als ich den Wagen einige Stunden später am gut besuchten Parkplatz beim Flughafen in Oslo zurückbringe.