Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie sind wir auch mit einer Krise der
Ungleichheit konfrontiert. Ähnlich einer Lupe vergrössert der Ausnahmezustand die Sicht auf die gesellschaftliche Situation in der Schweiz und hebt bestehende Benachteiligungen besonders deutlich hervor. Wir befinden uns im vergleichsweise jungen 50. Jubiläumsjahr des Frauenstimmrechts und es bleibt noch immer viel zu tun, bis Parität erreicht ist.
Laut dem Weltwirtschaftsforum (WEF) wird niemand von uns zu Lebzeiten eine Gleichstellung der Geschlechter erleben, und wahrscheinlich auch viele unserer Kinder nicht. In Anbetracht der Tatsache, dass die Pandemie unverhältnismässig starke Auswirkungen auf Frauen hat, wird sich diese Kluft wohl noch vergrössern.
Umso angemessener erscheint das UN-Thema für den Internationalen Frauentag (IWD)
am 8. März: «Achieving an equal future in a COVID-19 world». Alle gewinnen, wenn
Frauen und Mädchen gleichberechtigt behandelt werden und vor allem gleiche Chancen
haben. Es ist ein globales Ziel, auf das wir gemeinsam hinarbeiten können und sollten,
auch in unseren Unternehmen und an unseren Arbeitsplätzen. Am Internationalen
Frauentag sollten wir die Errungenschaften der Frauen feiern. Wir sollten diese
Gelegenheit auch nutzen, um zu überlegen, wie die Wirtschaft und einzelne Unternehmen
die Gleichstellung der Geschlechter vorantreiben sowie bessere Führungsmöglichkeiten
bieten können.
Unterrepräsentation angehen
Gemäss dem Bericht des WEF gibt es drei Hauptgründe für die anhaltende Ungleichheit
zwischen den Geschlechtern: Erstens sind Frauen stärker in Berufen vertreten, die
Gegenstand der Automatisierung sind. Zweitens stehen Frauen vor dem anhaltenden
Problem einer unzureichenden Betreuungsinfrastruktur, was die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf oft massgeblich einschränkt. Drittens treten nicht genügend Frauen in Berufe
ein, in denen gut verdient wird und das Lohnwachstum stärker ausgeprägt ist. Die
Technologiebranche ist ein offensichtliches Beispiel, in dem Frauen nach wie vor deutlich
unterrepräsentiert sind. In der Schweiz sind laut dem Schweizer Bundesamt für Statistik
nur etwa 11 Prozent der IT-Spezialisten und -Analysten Frauen.
Während der Pandemie sind neue Hindernisse für die wirtschaftliche Teilhabe und
Führungsrollen von Frauen aufgetaucht. Man kann feststellen, dass Frauen eine grössere
Last von Kindererziehungsaufgaben zu Hause schultern, was zusätzlich zu der enormen
Doppelbelastung auch einen unverhältnismässig negativen Einfluss auf ihr Vorankommen
am Arbeitsplatz hat. Nach Schätzungen von McKinsey ist der Verlust von Arbeitsplätzen
durch diese Krise bei Frauen weltweit etwa 1.8 Mal höher als bei Männern.
Die grösste Herausforderung besteht darin, die Unterrepräsentation von Frauen in
aufstrebenden Bereichen wie Cloud Computing, Engineering und Data and AI anzugehen.
Personalstrategien sollten deshalb mittels gezielten Aus- und Weiterbildungsangeboten
sicherstellen, dass Frauen diese Herausforderungen bewältigen und die Chancen der
digitalen Wirtschaft nutzen können. Die Basis für eine entsprechende Ausbildung zu
schaffen ist eine Sache, die Bereitstellung von Führungsmöglichkeiten eine andere. Um
die Gleichstellung der Geschlechter wirklich voranzutreiben, muss der gesamte
Entwicklungszyklus eines Mitarbeitenden betrachtet werden – beginnend bei der
Rekrutierung und einschliesslich der Investitionen in die stetige Weiterentwicklung.
Schaffen eines inklusiven Umfelds
Eine Kultur der Gleichberechtigung zu schaffen und zu leben, ist nicht nur richtig, sondern
auch klug. Studien haben immer wieder gezeigt, dass ein diverseres Arbeitsumfeld
vergleichsweise profitabler ist. Die Einführung von auf Diversität ausgerichtete
Einstellungspraktiken und Schulungsprogrammen können Vorurteile abbauen und den
Kandidatenkreis so massgeblich erweitern. Ebenso müssen Frauen auf allen Ebenen
vertreten sein, insbesondere in den Verwaltungsräten und C-Suite-Positionen, um eine
Arbeitswelt zu schaffen, die der Gesellschaft entspricht. Dies erfordert die Förderung von
Frauen in allen Karrierephasen beispielsweise durch Investitionen in Programme zur
Entwicklung von Führungskräften sowie integrative Beförderungsprozesse. Das bedeutet
auch, dass Unternehmen in der Verantwortung stehen, Frauen bei einer Karriereauszeit
auf dem Weg zurück ins Berufsleben zu unterstützen.
Fairness, Chancengleichheit, Anerkennung von Erfolgen und Erhöhung der Sichtbarkeit
werden letztlich mehr Frauen an den Entscheidungstisch bringen und dazu inspirieren,
von unterschiedlichen Positionen aus zu wachsen und aufzusteigen. In der digitalen Welt,
in der wir von überall her arbeiten, haben Unternehmen eine noch grössere
Verantwortung, ein entsprechendes Umfeld zu schaffen, das sowohl im Büro als auch
virtuell umgesetzt wird.
Chancengleichheit zu erzielen liegt in jedermanns Verantwortung. Während sich die
Volkswirtschaften von der Pandemie erholen, müssen wir diese Gelegenheit nutzen, um
ein besseres Arbeitsumfeld zu schaffen, sinnvolle Aufgaben anzubieten sowie Initiativen
zur Umschulung zu priorisieren. Nur so können auch alle unterrepräsentierten Gruppen
gedeihen. Die Wirtschaft bietet in dieser Hinsicht die grösste Plattform für positive
Veränderungen – indem sie sich für mehr Frauen einsetzt, in sie investiert und sie
unterstützt, Führungsrollen zu übernehmen. Gemeinsam schaffen wir eine inklusivere
Gesellschaft als bisher, in der sich jeder gesehen, gehört und wertgeschätzt fühlt.