Im Juni 2016 hat das neue Coop-Verteilzentrum in Schafisheim (AG) offiziell seinen Betrieb aufgenommen. Von dem Standort beliefert der Grossverteiler rund 350 Supermärkte in der Nordwestschweiz, der Zentralschweiz und im Raum Zürich. Zum Verteilzentrum gehört auch ein Tiefkühllager, das sämtliche Coop- und Pronto-Länden landesweit mit Tiefkühlprodukten versorgt. Hinzu kommt die grösste Bäckerei / Konditorei der Schweiz mit 23 Prozesslinien. Diese Backöfen laufen sechs Tage die Woche im Dreischichtbetrieb. Täglich werden rund 200 t Brot und Backwaren (wie Patisserie, Torten und Rouladen) gebacken.
«Die Coop Genossenschaft hat sich in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie dem Ziel verschrieben, bis im Jahr 2023 ein CO2-neutrales Unternehmen zu werden, also die Umwelt durch ihre Geschäftsaktivitäten mit keinem CO2 zu belasten», sagt Georg Weinhofer, Leiter der Coop-Fachstelle Logistik. Dieses Ziel will der Detailhändler durch Reduktion des Energieverbrauchs, den konsequenten Ersatz von fossilen Energieträgern und dem Zukauf von CO2-Zertifikaten erreichen. So sollen Warentransporte bei Distanzen von mehr als 90 Kilometern mit der Bahn erfolgen, wozu Coop eine eigene Bahngesellschaft betreibt. Die 400 Fahrzeuge umfassende Lkw-Flotte wird schrittweise auf Biodiesel und Elektroantrieb umgerüstet. Auch werden Transportwege eingespart, indem in Schafisheim beispielsweise Produktion und Lagerung von Tiefkühlteiglingen örtlich zusammengelegt werden. Hinzu kommt die Eigenproduktion von «sauberem» Strom: Auf dem Dach des Verteilzentrums liefert eine PV-Anlage 250 MWh Solarstrom pro Jahr, so die Planzahl.
Biomasse erhitzt Thermoöl
Den innovativsten Beitrag zur Vermeidung von CO2 leistet am Standort Schafisheim die neue Grossbäckerei. Die Hitze in modernen industriellen Backöfen stammt üblicherweise von heissem Thermoöl, das in den Wänden der Backöfen zirkuliert. Thermoöl hat gegenüber Dampf, wie er in anderen industriellen Prozessen eingesetzt wird, einen wichtigen Vorteil: Das Öl arbeitet auch bei Betriebstemperaturen von rund 300 °C praktisch bei Normaldruck (0,5 bar). Für die Erhitzung von Thermoöl werden bislang in der Regel Gas- oder Ölheizungen eingesetzt. Die Coop-Grossbäckerei geht einen neuen Weg. Sie benutzt für die Erhitzung des Thermoöls einem neuartigen Biomasse-Brennstoff: ein Gemisch aus Waldhackschnitzeln und staubförmige Getreiderückständen (Müllereinebenprodukt, kurz MNP). Coop bezieht MNP in Pellet-Form aus der unternehmenseigenen Grossmühle Swissmill in Zürich.
Die Biomasse-Feuerung in der Energiezentrale des Verteilzentrums funktioniert praktisch wie eine Holzheizung: Holzschnitzel und Getreiderückstände – in getrennten Silos gelagert – werden gemischt und in die Brennkammer geführt, wo das Gemisch auf einem Rost verbrennt. Die so erhitzte Luft gibt die Wärme in einem mehrstufigen Wärmetauscher an das Thermoöl ab, das dann mit einer Vorlauftemperatur von 285 °C über Rohrleitungen zu den Backöfen gelangt. Das Abgas wird in einem Elektroabscheider von Feinstaub gereinigt, bevor es über den Kamin in die Umwelt entweicht. Die Asche aus dem Elektroabscheider (Feinstaub) wird separat von der Rostasche aus dem Verbrennungsprozess entsorgt.
Neuer Brennstoff erfordert Anpassungen
«Um die Heizanlage auch mit MNP betreiben zu können, waren entlang der Prozesskette etliche Anpassungen nötig», sagt Projektleiter Philippe Hennemann vom Planungsbüro Dr. Eicher+Pauli AG (Liestal). Bei der Anlieferung wird das pellet-förmige MNP von einem Gebläse-Camion ins Silo eingeblasen. Die Luft, die bei diesem Vorgang aus dem Silo entweicht, muss gefiltert werden. Da staubförmige Biomasse explodieren kann, waren auch spezielle Sicherheitsvorkehrungen bei Türen und am Silo nötig. Damit der sehr leichte Brennstoff optimal verbrennt und eine allfällige Verschmutzung in den Rauchgaszügen keinen Einfluss auf die Feuerungsleistung hat, wurden die Feuerung sowie der Elektroabscheider grösser dimensioniert als bei einem Holzschnitzelofen gleicher Leistung. Zur Minderung der Stickoxid-Emissionen wird – wie bei grösseren Holzheizungen üblich – Harnstoff eingedüst (SNCR-Verfahren).
Der Einsatz von MNP hat seinen Preis: Die Holzschnitzel / MNP-Heizanlage kostet 10 Mio. Fr., ein Gaskessel gleicher Leistung wäre rund für den Drittel dieses Preises zu haben. Eine Million Franken entfallen auf die Sondermassnahmen, die nötig waren, um die Holzheizung mit MNP betreiben zu können. Gegen diese Kosten stehen die unbestrittenen ökologischen Vorteile der neuartigen Biomasse-Heizung. Dank der Anlage spart Coop rund 4000 t CO2 im Jahr. Das Bundesamt für Energie fördert die Biomasse-Heizung im Rahmen seines Pilot- und Demonstrationsprogramms, da hier erstmals MNP zur Erhitzung von Thermooel eingesetzt wird. Solche Feuerungen haben ein breites Anwendungspotential für industrielle Prozesswärme. Staubförmige Biomasse fällt hauptsächlich als Müllereinebenprodukt (MNP) in Getreidemühlen an. Darüber hinaus verwertbar sind aber auch viele andere biogene Reststoffe, wie sie z. B. bei der Ölproduktion und bei der Verarbeitung von Zuckerrüben anfallen. Gemäss einer Studie im Auftrag des BFE würde allein das MNP aus Schweizer Getreidemühlen ausreichen, um theoretisch 100 Anlagen vom Typ Schafisheim (2,5 MW Leistung) betreiben zu können. Bei Nutzung aller landesweit verfügbaren staubförmigen Biomassbrennstoffe liessen sich 1,34 % des Wärmeverbrauchs der Schweiz decken. Somit besteht grundsätzlich die Möglichkeit, eine grosse Zahl ähnlicher Anlagen zur Substitution fossiler Energieträger für hochwertige Prozesswärmeerzeugung zu realisieren. Die Dambach-Mühle der Meyerhans Mühlen AG in Villmergen (AG) setzt ein Gemisch aus Holzschnitzel und MNP schon seit einigen Jahren zur Erzeugung von Prozessdampf ein.
Im Praxistest
Der Einsatz von MNP zur Erzeugung industrieller Prozesswärme ist noch jung. Entsprechend wertvoll ist es, mit der Technologie praktische Erfahrungen zu sammeln. Zu diesem Zweck wird die Anlage in Schafisheim mit einem Messprogramm begleitet, zugleich wird ihr Betrieb optimiert (z. B. maximale Nutzungszeit bei minimalen Verlusten im Glutbettbetrieb). Die beteiligten Forscher wollen unter anderem die Frage klären, ob der angestrebte Anteil von 50 % des Energieanteils mit MNP im Brennstoff tatsächlich erreichbar ist. Je mehr MNP verbrannt wird, desto anspruchsvoller wird nämlich die Reinigung von Wärmetauscher und Feinstaubabscheider. Zu beantworten ist auch die ganz praktische technische Frage, ob sich das Mischungsverhältnis von Holzschnitzeln und MNP exakt steuern lässt. Eine weitere Herausforderung des Pilotbetriebs betrifft den Wassergehalt der Holzschnitzel: In konventionellen Holzheizungen beträgt dieser 30 bis 35 %, in Schafisheim hingegen 45 bis 60 %. Die hohe Feuchtigkeit reduziert die Staubentwicklung der trockenen MNP und unterstützt so die optimale Verbrennung.
Die Erfahrungen mit der Anlage in Schafisheim werden die Voraussetzung schaffen, um Feuerungen mit MNP auch für andere industrielle Prozesse einzusetzen. «Diese Technologie hat einen doppelten Reiz», sagt Daniel Binggeli, Fachspezialist für erneuerbare Energien beim BFE: «Zum einen lässt sich durch Nutzung eines biogenen Energieträgers der CO2-Ausstoss gegenüber fossilen Feuerungen markant senken. Zum anderen können die eigenen Abfallprodukte verwendet werden.»