Von:Georg Lutz
In Zeiten von Social Media bilden viele kleine Kontakte die Markenreputation und dienen zur Kundenbewertung. Touchpoints heisst hier ein neuer Trendbegriff im Marketing. Unsere Interviewpartnerin Anne M. Schüller hat dazu ein ganzes Buch geschrieben. Im Interview schälten wir die wichtigsten Punkte für den Unternehmensalltag heraus.
Der Titel «Touchpoints», Ihres aktuellen Buches, bedeutet übersetzt Berührungspunkte. Das Wort spiegelt einen fast sinnlichen Moment wider. Was hat die Businesswelt damit zu tun?
Meist werden Touchpoints im Deutschen als Kontaktpunkte bezeichnet – ein unterkühlter, versachlichter Begriff. Das Wort Berührungspunkt drückt sehr viel besser aus, wie Kundenbeziehungen in Social-Media-Zeiten nun zu gestalten sind. Wer nämlich Menschen erreichen will, der muss sie «berühren». Wenn dann noch ein Hauch von Magie und eine Brise «Sternenstaub» hinzugefügt werden, dann weckt dies heftiges Wollen.
Solch eine Situation kann aber sehr schnell auf einem sehr harten Boden landen?
Eine Berührung bedingt Freiwilligkeit. Und sie ist, da liegen Sie richtig, sehr fragil. Ein falsches Wort, ein schräger Blick, und die Seifenblasen platzen. Damit ist schon das meiste über eine gute Kundenbeziehung gesagt: einladen statt aufdrängen, hinhören statt quatschen, fragen statt sagen, involvieren, sich kümmern, verlässlich und aufrichtig sein. Exzellenz darf sich nicht nur im Fachlichen zeigen, sie muss auch in der Beziehungspflege sichtbar sein.
Auf der einen Seite haben wir heute als Kunden sehr viel mehr Informationen über Hersteller und deren Produkte und Dienstleistungen, die wir kaufen. Auf der anderen Seite überrollt uns eine Datenflut. Wie gehen wir mit dieser Situation um?
Um aus der Flut von Wissen das Relevante herauszufiltern und die Spreu vom Weizen zu trennen, sind Komplexitätsreduzierer dringend vonnöten. Dabei gibt es neben einigen technologischen Helferlein einen Klassiker aus einer ganz anderen Werkzeugkiste. Sein Name: Vertrauen. Wo die Zeit nicht reicht oder das Wissen fehlt, um eine Sache zu durchleuchten, ist Vertrauen der beste Kitt. Und dort, wo wir von Fremden auf dem globalen Marktplatz Internet kaufen, gibt es nur eine Chance: Vertrauen.
Ferner können wohlmeinende Dritte eine grosse Hilfe sein, weil deren helfende Hand den Zaudernden vertrauensvoll führt. So haben die wichtigsten Komplexitätsreduzierer eine menschliche Gestalt. Wir finden sie in unserem realen Umfeld wie auch in der virtuellen Realität. Ihre «Likes» und «Dislikes» machen unsere Entscheidungen sicher und leicht.
Folglich sollten Anbieter aus Ihrer Sicht weniger auf Kunden, sondern auf Fans und Empfehler achten?
In aller Regel sind nur Kunden auch Fans. Um aber zum Fan zu werden, muss man ein emotional berührter, begeisterter Kunde sein. Denn Zufriedenheit reicht nicht. Zufriedenheit macht keine Botschafter und Fürsprecher, erst Begeisterung löst Mundpropaganda und Weiterempfehlungen aus.
Die Hege und Pflege des eigenen Kundenstamms sowie das Erzeugen von Kundenloyalität sind also unabdingbare Vorstufen für engagierte Fans und reichlich Empfehlungsgeschäft. Leider sind die meisten Unternehmen immer noch viel zu sehr mit dem Kundenjagen beschäftigt, und Service ist für sie keine Investition, sondern ein Kostenblock.
Soziale Netzwerke sind bei der Einführung von Produkten wie Energy-Drinks oder Duschgels inzwischen ein wichtiges Moment. Wie sieht das konkret aus?
Ja, Kunden werden immer mehr zu Mitgestaltern und Ideengebern – und damit auch zu kostenlosen Unternehmensberatern. Im Kundenkreis schlummert die grösste Innovationsreserve. Und sie wird von den Unternehmen immer noch viel zu selten angezapft. Vorausschauende Anbieter hingegen nutzen das Kreativpotenzial Externer längst, wo es nur geht. Co-kreieren und Crowdsourcing, also das Schöpfen aus der «Weisheit der Vielen», sind marketingübliche Begriff dafür.
Können Sie uns dazu ein Beispiel verraten?
Es gibt unglaublich viele Beispiele für erfolgreiche Crowdsourcing-Projekte. So suchte der Outdoor-Spezialist Mammut Ideen, wie er sein 150-Jahr-Jubiläum begehen könnte. Insgesamt 171 Externe beteiligten sich an der Aktion. Dabei kamen 292 Ideen zusammen. Die Migros hat mithilfe von Kunden unter anderem die Marmeladensorten Erdbeermund und Herbstsünde entwickelt. Auf der Migros-Kundenplattform Migipedia sind schon über 120 000 Feedbacks zu Produkten eingegangen – ein unermesslicher Wissensschatz, den das Unternehmen ganz ohne kostspielige klassische Marktforschung erhält.
Jetzt nehmen wir aber ein ganz anderes Beispiel, ein sehr klassisches Beispiel aus der Finanzbranche. Immer noch gehen viele Menschen zur Bank ihres Vertrauens. Sie sind meist seit Jahren dort. Dort treffen sie auf einen Kundenberater, der in Zielgruppenrastern denkt und auch noch provisionsgetrieben ist. Da treffen zwei Welten aufeinander und verstehen sich nicht. Ist das nicht auch noch Alltag, der mit den spannenden neuen Entwicklungen kaum etwas zu tun hat?
Finanzdienstleister gehören sicher zu denen, die erst noch verstehen lernen müssen, wie unsere neue Businesswelt tickt. Inzwischen sind wir ja in der Web-3.0-Welt angekommen. Diese wurde eingeläutet durch den Siegeslauf der Smartphones, Tablets und Apps. Das Neue daran: Auf Knopfdruck und mit einem Fingerwisch wird eine digitale Informationsschicht über die Offline-Sphäre gelegt, und die Kunden sind mit dem kompletten Online-Wissen überall und immerzu in Echtzeit vernetzt. Mixed Reality wird dies auch genannt.
Die Dimensionen, in die uns diese neue Technologie führen wird, können wir heute nur ahnen. Doch eines ist schon jetzt offenbar: Alles, was Unternehmen sagen und eine Marke verspricht, kann nun live vor Ort auf den Wahrheitsgehalt überprüft und blitzschnell mit den Erfahrungen anderer abgeglichen werden. Wer lügt und betrügt, wird geteert und gefedert und für die ganze Welt sichtbar an den Online-Pranger gestellt. Nur die wirklich Guten haben in diesem Szenario echte Überlebenschancen.
Was für Entwicklungen wird das zur Folge haben? Die klassische Grossbank müsste aus Ihrer Sicht fast am Ende sein, ausser sie erfindet sich neu?
Es wird zweifellos Gewinner und Verlierer geben in unserer durch das mobile Internet und die sozialen Medien vorangetriebenen Netzwerkökonomie. Das gilt auch für die Finanzbranche.
Auf jeden Fall spielt eine neue Form des Empfehlungsmarketings eine zunehmend wichtige Rolle. Wie sieht diese aus Ihrer Sicht im Rahmen des Internets heute aus?
Einer aktuellen Nielsen-Studie zufolge vertrauen in der Schweiz 92 Prozent der Befragten auf Empfehlungen von Menschen aus ihrem Umfeld, 63 Prozent vertrauen dem, was Menschen im Web zu berichten wissen, aber nur 33 Prozent der Werbung von Anbietern im Markt. Zunehmend spielen also die Beeinflussungen durch Dritte – und immer weniger die teuer bezahlten Selbstanpreisungen der Unternehmen – die kaufentscheidende Rolle. Demnach sollte das Weiterempfehlen – egal ob online oder offline – ganz gezielt angeregt werden. Möglichkeiten dazu gibt es genug.
Vor allem aber muss verstanden werden: Die Anbieter haben die Hoheit über ihre Kommunikation weitgehend verloren. Früher redeten die Unternehmen, die Kunden hörten brav zu und kauften dann. Heute ist es genau umgekehrt. Die Kunden kaufen, reden dann darüber und bringen so Dritte zum Handeln. Nun sind es die Unternehmen, die zuhören sollten. Durch entsprechende Social-Media-Monitoring-Programme ist so was heute ganz leicht.
Im zweiten Teil Ihres Buches geht es um die konkreten Folgerungen der analysierten Entwicklungen im Unternehmen. Sie fordern darin eine Veränderung der Blickrichtung: Es geht nicht mehr darum, was wir dem Kunden bieten, sondern darum, was der Kunde erwartet. Wo müssen dabei im Unternehmen die Stellschrauben neu justiert werden?
Um die Zukunft zu erreichen, müssen sich viele Unternehmen zunächst von Abteilungsegoismen verabschieden und aus veralteten Strukturen lösen. Die neue Basis ist eine kompromisslos kundenfokussierte Einstellung des Managements. Diese muss von allen Führungskräften für jeden Mitarbeiter sichtbar vorgelebt werden.
Und dann gilt es einen Veränderungsprozess aufzugleisen. Das klingt sehr nüchtern. Haben Sie Vorschläge aus Ihrer Berater- und Vortragspraxis?
Da empfehle ich gern das Touchpoint Management, weil es in jedem Fall hilft, die Herausforderungen unserer neuen Business- und Arbeitswelt zu meistern. Ich habe es als jeweils vierstufigen Prozess parallel entwickelt:
• das Customer-Touchpoint-Management, das Kundenbeziehungen in unseren Zeiten von «social» und «mobile» passend gestaltet, sowie
• das Mitarbeiter-Touchpoint-Management, das die Beziehungen zwischen Führungskraft und internen Kunden neu strukturiert.
Wenn wir schon in Ihrer Praxis sind. Gibt es eine zentrale Frage mit der Sie immer wieder konfrontiert werden?
Eine oft gestellte Frage lautet: Wo fange ich am besten an?
Und wie beantworten Sie diese?
Einige «Quick Wins», also Massnahmen, die einen schnellen Erfolg versprechen, sollten ganz nach oben auf die To-do-Liste. Und nutzen Sie die kollektive Intelligenz der besten Ratgeber, die zu finden sind: die eigenen Mitarbeiter und die sozial vernetzten Kunden.
Anne M. Schüller ist Diplom-Betriebswirtin, zehnfache Buch- und Bestsellerautorin und Management-Consultant. Sie gilt als Europas führende Expertin für Loyalitätsmarketing und zählt zu den gefragtesten Business-Speakern im deutschsprachigen Raum. Sie ist Gastdozentin an mehreren Hochschulen. Zum Touchpoint Management hält sie Vorträge und Workshops
Anne M. Schüller
Touchpoints
Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute
Managementstrategien für unsere neue Businesswelt
Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Gunter Dueck
Gabal, März 2012, 350 Seiten, CHF 47.90
ISBN: 978-3-86936-330-1
Ausgezeichnet als Mittelstandsbuch des Jahres.
«Zufriedenheit macht keine Botschafter und Fürsprecher, erst Begeisterung löst Mundpropaganda und Weiterempfehlungen aus»
Berührungspunkte mit dem Kunden finden.
Die Hoheit der Kommunikation wird heute neu buchstabiert.