Interviewpartner: Bob Dillen / Autorin: Corinne Raas
Wenn Mitarbeitende zu Tätern werden
Wirtschaftskriminalität bleibt eine zentrale Herausforderung für Unternehmen, insbesondere in einer zunehmend digitalisierten und regulierten Welt. Bob Dillen, Leiter Forensik bei KPMG Schweiz, spricht über aktuelle Entwicklungen, typische Täterprofile und darüber, wie sich Unternehmen effektiv vor Betrugsfällen schützen können.
Herr Dillen, laut der neuen KPMG-Studie «Global Profiles of the Fraudsters» ist der typische Wirtschaftskriminelle meist männlich, 36 bis 55 Jahre alt und langjähriger Mitarbeiter. Überraschen Sie diese Erkenntnisse?
BOB DILLEN: Die Erkenntnisse unserer Studie decken sich mit dem, was wir auch in der Praxis beobachten. Häufig sind es langjährige Mitarbeitende in Führungspositionen, die in Gruppen agieren und im Unternehmen über viel Vertrauen verfügen. Dieses Vertrauen in Kombination mit ihrer Stellung im Unternehmen macht es ihnen leichter, an Informationen zu gelangen und mögliche Kontrollmechanismen zu umgehen. Dass die meisten Täter Männer sind, hängt auch mit ihrem höheren Anteil in Führungspositionen zusammen. Mit zunehmender Diversität könnte sich dieses Bild in Zukunft ändern.
Was sind die häufigsten Motive, die zu betrügerischem Verhalten führen?
Bei Wirtschaftskriminalität steht in den meisten Fällen der finanzielle Gewinn im Vordergrund. Anders als oft angenommen, sind finanzielle Notlagen oder der Versuch, eigene Fehler zu vertuschen, eher selten der Auslöser. Die meisten Fälle zeigen, dass Betrug oft aus kalkuliertem Vorteilsstreben und nicht aus einer akuten persönlichen Krise oder einem Groll gegenüber dem Arbeitgeber entsteht. Viele Täter gelten als freundlich und angesehen, doch hinter der Fassade verbirgt sich oft ein ausgeprägtes Gefühl von Überlegenheit bis hin zu narzisstischen Zügen.
Welchen Betrugsformen begegnen Unternehmen am häufigsten und warum?
Die häufigsten Betrugsformen in Unternehmen sind Vermögensveruntreuung, Urkundenfälschung und Diebstahl. Sie sind oft einfach umzusetzen und bleiben ohne ausreichende Kontrollen häufig unentdeckt. Fast die Hälfte der Fälle verursacht Schäden unter einer halben Million US-Dollar, während einige gravierende Fälle Schäden von über fünf Millionen US-Dollar verursachen. In der Vergangenheit habe ich sogar Fälle mit Schäden von über 100 Millionen US-Dollar untersucht. Das zeigt, wie breit das Spektrum an Betrugsfällen ist und wie stark grosse Fälle der Zukunft eines Unternehmens schaden können.
An welchen Stellen in Organisationen sehen Sie die grössten Schwachstellen, die Betrug begünstigen?
Betrug entsteht meist dort, wo Kontrollen fehlen oder unzureichend sind. Fast zwei Drittel der Fälle lassen sich auf solche Schwachstellen zurückführen. Besonders gefährdet sind Bereiche mit hoher Eigenverantwortung, unklarer Aufgabenverteilung und wenig Transparenz, wie etwa in der Finanzabteilung oder beim Umgang mit Bargeld. Auch die Unternehmenskultur spielt eine Schlüsselrolle. Wird Fehlverhalten geduldet oder auf Schulung verzichtet, steigt das Risiko deutlich.
Was können Unternehmen konkret tun, um sich wirksamer gegen Wirtschaftskriminalität zu schützen?
Unternehmen sollten klare Kontrollstrukturen und transparente Verantwortlichkeiten schaffen. Die Trennung von Aufgaben ist essenziell, um Betrug zu verhindern. Eine Unternehmenskultur, die Integrität lebt, sowie regelmässige Schulungen erhöhen die Sensibilität für Risiken. Zudem hilft der gezielte Einsatz von modernen Datenanalysetools, Auffälligkeiten frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Ein letzter, womöglich entscheidender Schritt ist die Einführung eines formellen Whistleblowing-Systems. Unsere Studie zeigt, dass die Mehrheit der Betrugsfälle über dieses System entdeckt wird.
Gibt es bestimmte Branchen oder Unternehmensgrössen, die besonders anfällig für Betrug sind?
Unterschiede zwischen den Branchen sind durchaus erkennbar. In stark regulierten Bereichen wie dem Finanz- und Life-Science-Sektor werden Betrugsfälle häufiger aufgedeckt. Grosse Unternehmen sind aufgrund ihrer Komplexität besonders gefährdet, aber auch öffentliche Verwaltungen und Non-Profit-Organisationen sind häufig betroffen. Entscheidend bleibt jedoch, wie gut ein Unternehmen seine Kontrollmechanismen umsetzt, unabhängig von Branche oder Grösse.
Welche Auswirkungen hat die fortschreitende Digitalisierung sowohl auf das Entstehen als auch auf die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität?
Die Digitalisierung verändert die Wirtschaftskriminalität grundlegend. Neue Technologien schaffen Angriffsflächen, ermöglichen aber auch eine schnellere Aufdeckung und Prävention durch digitale Tools. Interessanterweise wird jedoch fast die Hälfte der Fälle ohne Technologie verübt. Das liegt daran, dass digitale Spuren bei technologischem Betrug leichter und schneller erkannt werden können.
Wie wichtig sind externe Partner wie Wirtschaftsprüfer oder Forensikexperten bei der Aufdeckung von Betrugsfällen?
Externe Partner wie Wirtschaftsprüfer und Forensikexperten spielen eine zentrale Rolle bei der Aufdeckung von Betrugsfällen. Sie bringen Fachwissen und einen objektiven Blick ein, um Schwachstellen zu erkennen, Beweise zu sichern und das Ausmass des Betrugs sowie mögliche Mitwisser zu erfassen. Dadurch tragen sie wesentlich zur Risikominimierung und zur Stärkung des Vertrauens bei.
Welche Trends und Risiken sehen Sie zukünftig im Bereich der Wirtschaftskriminalität?
Wir beobachten, dass Betrug durch neue Technologien wie KI immer raffinierter wird. KI wird in Zukunft nicht nur in der Aufdeckung von Wirtschaftskriminalität, sondern auch bei der Ausführung der Taten eine immer grössere Rolle spielen. Täuschend echte Deepfakes oder automatisierte Phishing-Attacken stellen Unternehmen vor neue Herausforderungen. Deshalb wird es immer wichtiger, Risiken frühzeitig zu erkennen – auch an Stellen, an denen man sie bisher nicht vermutet hat.
Weitere Informationen:
www.kpmg.ch