Die Empa wird zum ersten Mal in 142 Jahren von einer Frau geleitet. Im Interview spricht Tanja Zimmermann über Innovationen, Baumaterialien der Zukunft und Verbindungen zur Politik.
„Die Belastung durch Kupfer in der Umwelt und das Alpha-Synuclein-Protein im menschlichen Gehirn könnten eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Parkinson-Krankheit spielen.“ Für diese im Juli bekannt gegebene Entdeckung zeichnet nicht etwa ein Universitätsspital oder ein Pharma-Start-up verantwortlich, sondern die Empa (gemeinsam mit der Universität Limerick in Irland).
Die Zeiten, in denen die Empa „nur“ die Eidgenössische Materialprüfungsanstalt war, sind lange vorbei. Ursprünglich auf Baumaterialien und später Textilien ausgerichtet, schlug die Empa Ende der 1980er-Jahre den Weg der interdisziplinären Forschung ein. Ihre Felder reichen heute von Kohlenstoff-Nanostrukturen bis zu städtischen Energiesystemen.
Die Empa verfügt über drei Standorte: Dübendorf, St. Gallen und Thun. In fünf Abteilungen und 29 Labors sind rund 1000 Mitarbeiter:innen tätig, die jährlich mehr als 600 wissenschaftliche Arbeiten publizieren. Als öffentliches Labor, das sich mit „Materialien und Technologien für eine nachhaltige Zukunft“ beschäftigt und Start-ups gründet, gehört die Empa zusammen mit der ETH in Zürich, der EPFL in Lausanne und drei weiteren Laboren in der Schweiz zum sogenannten ETH-Bereich des Bundes.
Frau Zimmermann, die Empa ist sehr stark auf nachhaltige Entwicklung ausgerichtet. Aber längst nicht alle Materialien und Prozesse, die in der Baubranche oder in der Industrie verwendet werden, sind nachhaltig. Wie gehen Sie damit um?
Tanja Zimmermann: Wir helfen der Industrie, nachhaltiger zu werden. Nehmen Sie als Beispiel Beton. Die Produktion und Verwendung von Beton sind für 7 bis 8 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Wir haben ein Labor für Beton und Asphalt und führen mit der Industrie Forschungsprojekte durch. Wir entwickeln neue Bindemittel und Zusatzstoffe. Denn die Energie, die wir für die Produktion dieser Bindemittel benötigen, können wir auch aus erneuerbaren Quellen beziehen. Oder man kann sie in Niedrigtemperaturöfen herstellen.
Wir stellen fest, dass die Industrie offen ist für Veränderungen und nachhaltiger werden will.
Sie haben sich in Ihrer Forschungskarriere intensiv mit Holz beschäftigt. Es ist eine Ressource, die in der Schweiz reichlich vorhanden ist, aber kaum genutzt wird. Ist es ein Baumaterial der Zukunft?
Holz ist die einzige erneuerbare Ressource in der Schweiz und wird tatsächlich zu wenig genutzt. In unseren Wäldern wachsen jährlich rund zehn Millionen Kubikmeter. Wir verwenden nur fünf Millionen, obwohl wir acht Millionen nutzen könnten. Holz als Baustoff liegt im Trend, gerade in Kombination mit anderen Materialien.
In der Schweiz gibt es zum Beispiel das Projekt Pi in Zug, ein 80 Meter hohes Wohnhochhaus aus Holz. Das Material bietet viele Vorteile: Es ist leicht, stabil und umweltfreundlich. Derzeit liegt der Anteil von Holz im Schweizer Bauwesen bei etwa 16 Prozent. Dieser Wert könnte erhöht werden. Leider sind wir auch in Sachen Wiederverwertung nicht sehr gut: In der Regel wird das Holz einfach verbrannt. Dabei könnte man es in die Kreislaufwirtschaft einspeisen, daraus Chemikalien gewinnen, Fasern herstellen oder es für den 3D-Druck verwenden. Auch zu diesen Fragen forschen wir am Empa.
Die Empa ist eine öffentliche Einrichtung. Hat sie einen politischen Auftrag, die Industrie in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken?
Unsere Rolle ist es, der Industrie und der Gesellschaft allgemein zu helfen, aktuelle Herausforderungen zu meistern. Die Energiewende ist eine der dringendsten. In dieser Rolle ist es wichtig, öffentlich zu bleiben. Nur so können wir unabhängig sein und mit Unternehmen zusammenarbeiten, die untereinander vielleicht im Wettbewerb stehen. Sie vertrauen uns. Wenn wir privat finanziert wären, wäre das nicht der Fall.
Wird Ihr Fachwissen auch ins Ausland exportiert?
Die Schweizer Industrie bleibt unsere Hauptkundin. Aber es ist wichtig, sich international auszurichten, weil wir mit globalen Fragen konfrontiert sind. In unseren Projekten sind wir deshalb in Europa und auch in Übersee gut vernetzt. Leider macht uns der Ausschluss aus den europäischen Forschungsprogrammen zu schaffen.
Wir haben einen Rekordsommer erlebt mit hoher Trockenheit und vielen Überschwemmungen. Beunruhigt Sie als Wissenschaftlerin die rasante Entwicklung der Erderwärmung?
Natürlich bin ich sehr besorgt. Ich denke, dass wir solche Ereignisse mit technischen Lösungen abschwächen können, aber das wird nicht ausreichen. Wir müssen unseren Lebensstil anpassen, um die Klimakrise bewältigen zu können.
Glauben Sie, dass die Bevölkerung die Probleme genügend ernst nimmt?
Ich bin nicht sehr optimistisch. Ich glaube, dass die Bedrohung vielen Menschen zu weit weg ist. Sie rücken stattdessen das Positive in den Vordergrund: den schönen, warmen Sommer, den guten Urlaub. Solange sie die Auswirkungen nicht wirklich im Alltag spüren, bleibt die Klimakrise für sie abstrakt.
Das heisst aber auch, dass wir besser kommunizieren müssen, denn die Fakten liegen auf dem Tisch. Zumindest haben wir in der Schweiz die Möglichkeit, an Lösungen zu arbeiten. In anderen Ländern, in denen zum Beispiel Armut oder schlechte politische Bedingungen herrschen, hat das Klimathema überhaupt keinen Vorrang.
Wie bewusst sind sich Politiker:innen der drohenden Krise?
Wir bemühen uns, sie an die Empa zu holen und mit allen nötigen Informationen zu versorgen, damit sie gute Entscheide treffen können. Ein Austausch findet regelmässig statt – auch mit dem Bundesrat. Zum Beispiel besuchte uns Ende August Ueli Maurer.
Wir laden alle Politikerinnen und Politiker ein, auch aus Parteien, deren Hauptanliegen vielleicht nicht die Nachhaltigkeit ist. Das gibt uns die Gelegenheit, unsere neuen Technologien und Projekte zu zeigen. Wir motivieren sie jeweils, Gemeinsamkeiten zu finden. Denn wenn die Debatte stets um die 20 Prozent der Themen kreist, bei denen sie sich uneins sind, kommen wir nicht voran. Nur wenn sie sich auf die restlichen 80 Prozent konzentrieren, sind echte Fortschritte möglich.
Die Schweiz ist bei Themen wie Abfallrecycling und Wasseraufbereitung international führend. Gilt das auch für die Nachhaltigkeit?
Nein, ich denke, es gibt Staaten, die in diesem Bereich schneller sind. Wir sind zwar kreativ und melden viele Patente an, aber nur wenige Projekte werden industriereif. Dennoch sind wir ein technologisch fortschrittliches Land. Wir sollten daher ein Vorbild sein und zeigen, dass wir tatsächlich an innovativen Lösungen arbeiten und diese auch in die Praxis bringen können.
Hierbei hilft uns sicherlich auch das Innovationsgebäude NEST in Dübendorf, das wir gemeinsam mit dem Wasserforschungsinstitut Eawag betreiben. In diesem modularen Bau können neue Technologien, Materialien und Systeme unter realen Bedingungen getestet, erforscht, weiterentwickelt und validiert werden.
Wie ist es für Sie, die erste Frau an der Spitze der Empa zu sein?
Zunächst einmal freue ich mich sehr, dass ich nach einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren zur Direktorin der Empa gewählt wurde. Ich habe mich seit Jahrzehnten für diese Institution engagiert, nun werde ich auch ihre Zukunft mitgestalten können – das ist eine grosse Ehre. Es sollte keine Rolle spielen, ob ich eine Frau oder ein Mann bin. Aber ja, ich bin die erste Direktorin in der 142-jährigen Geschichte der Empa und froh, dass Frauen heute in solche Positionen aufsteigen können.
Ich hatte diesbezüglich nie Probleme, was ich sicherlich auch meinen guten Mentoren zu verdanken habe. Auch ich möchte unsere jungen Frauen unterstützen und sie vor allem auch motivieren, ihre Karriere nicht aufzugeben, wenn sie eine Familie gründen.
Wie viele der 1000 Empa-Mitarbeiter:innen sind Frauen?
30 Prozent. Aber ich muss zugeben, dass wir in Führungspositionen zu wenig Frauen haben. Das möchte ich ändern.
Können Sie das auch ändern?
Auf jeden Fall möchte ich auf dieses Ziel hinarbeiten, ja.
Foto: EMPA