Das Thema Nachfolge ist theoretisch bei fast jedem Unternehmensverantwortlichen im Kopf. In der Praxis passiert aber lange viel zu wenig. Im folgenden Interview beleuchten wir mit Andrea Rieder, Leiterin Unternehmensnachfolge bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB), den vielschichtigen Prozess der Nachfolgeregelung.
Warum gibt es bei diesem Thema Berührungsängste?
Ich denke Berührungsängste ist das falsche Wort, es ist eher eine Verdrängung des Themas. Verständlich, denn die Nachfolgeregelung ist für viele besonders emotional und wirft verschiedene Fragen auf. Der Gedanke, als Geschäftsführer und Eigentümer das Zepter weiterzureichen und damit mitunter das Lebenswerk aus der Hand zu geben, fällt den wenigsten leicht.
Wird heute ein Unternehmen verkauft oder bleibt es klassisch in der Familie?
Der Trend, dass das Unternehmen in der Familie bleibt, geht ganz klar zurück. Noch vor zehn Jahren lag die Zahl bei 60 Prozent der Unternehmen, die innerhalb der Familie geblieben sind. Heute sind wir bei 40 Prozent. Zwei weitere Optionen punkto Nachfolge sind: Schlüsselmitarbeitende des Betriebs bekommen den Zuschlag, oder man verkauft es an Externe. Es ist auch eine Kombination der beiden Varianten möglich. Das sieht man immer häufiger im KMU-Bereich.
Viele Nachfolgeprozesse in der Schweiz scheitern. Wo liegen die Gründe?
Das sehe ich deutlich weniger pessimistisch. Selbstverständlich hat ein Nachfolgeprozess viele Hürden und ist vielschichtig. Es ist aber wesentlich aussichtsreicher und interessanter, als Nachfolger in ein Unternehmen einzusteigen, als sich als Neugründer oder Unternehmer an einem eigenen Business zu versuchen. Denn: Ein neues Unternehmen zu gründen, ist viel risikoreicher. Aber klar: Gründertum ist sexy und die Nachfolge ein vermeintlich trocknes Thema. Dafür hat Letzteres die deutlich höhere Erfolgsquote, auch wenn dies medial gerne anders dargestellt wird.
Wer sind die Begleiter des Nachfolgeprozesses, vermutlich Treuhänder oder wer noch?
Das kommt sehr darauf an, wie gross das Unternehmen ist. In der Schweiz sind typischerweise 90 Prozent Klein- und Kleinstfirmen mit bis zu neun Mitarbeitenden neben den Unternehmensverantwortlichen. Als Kantonalbank sind diese KMU ein wichtiges Kundensegment. Man kann sagen, je grösser die Unternehmen, desto mehr Lösungsanbieter oder Berater stehen ihnen zur Verfügung. Das fängt mit dem Treuhänder an, der das Unternehmen, was die Zahlen betrifft, wie seine Hosentasche kennt und oft schon jahrelang begleitet hat. Es gibt auch auf grössere Firmen spezialisierte M&A Beratungsunternehmen, dann eben Banken, oder Steuerberater. Das ist ein sehr vielfältiger Markt.
Man sieht den Wald vor vielen Bäumen nicht mehr?
Richtig. Viele sind in Bezug auf die Begleitung ziemlich ratlos: Es gibt viele Anforderungen. Denn es geht ja nicht nur um Zahlen, sondern auch um Menschen und damit Emotionen. Diese Verflechtung führt immer wieder zu Fehleinschätzungen. Diese Stolpersteine von Anfang an im Blick zu haben, sind wesentliche Herausforderungen. Es braucht auf jeden Fall eine gute Vorbereitung. Wichtig ist dabei zunächst, die eigene Sicht der Dinge und die persönlichen Zukunftspläne zu klären, damit man in einem nächsten Schritt die Firmenübergabe operativ angehen kann.
Wo sehen Sie die Vorteile Ihres Hauses?
Die Zürcher Kantonalbank ist eng vertraut mit Problemstellungen der KMU im Wirtschaftsraum Zürich und darüber hinaus. Wir kennen nicht nur den einzelnen Eigentümer und sein Umfeld, sondern haben über Jahre ein Vertrauensverhältnis zu unseren Kunden aufgebaut. Wir versuchen, die Verantwortlichen frühzeitig zu sensibilisieren und suchen das Gespräch. Dabei gehen wir mit ihnen die entsprechenden Szenarien durch. Da herrscht oft Handlungsbedarf, zum Beispiel wenn es um die persönliche Vorsorge geht.
Sie haben verschiedene Rollen. Da brauchen Sie einige Kompetenzen?
Ja, es gilt, unterschiedliche Disziplinen abzudecken. Einerseits sind wir Consultant und beraten. Es gibt aber auch Situationen, wo wir externe Spezialisten hinzuziehen. Die eigentliche Verkaufstransaktion ist dann einer der letzten Schritte. Vorher gilt es, eine Vielzahl anderer Fragestellungen zu klären.
Kommen wir zum Preisschild. Logisch will der Verkäufer den finanziellen Rahmen voll ausschöpfen und der Käufer steht hier auf der Bremse. Wie sehen die kreativen Lösungen bei den Themen Zeit und Geld aus?
Der Konflikt ist jeweils nicht so gross, wenn es um eine familien- oder firmeninterne Nachfolge geht. Zu unterschiedlichen Ansichten kommt es eher, wenn man mit einem Nachfolger ausserhalb des Unternehmens zu tun hat – mit Externen. Hier gilt es, auf den Zeit- und Kostenachsen optimal zu agieren und Lösungen zu finden.
Welche Meilensteine braucht der Prozess der Nachfolge?
Jede Unternehmensnachfolge ist individuell, es kommt auf die schon angesprochenen unterschiedlichen Varianten an. Das Wichtigste dabei ist: Das Thema muss frühzeitig angegangen werden.
Von welchem Zeitrahmen sprechen wir in diesem Fall?
Ein halbes Jahr reicht da nicht, es braucht oft zwischen zwei und vier Jahre, um den Prozess professionell aufzugleisen und zu begleiten. Dazu gehört eine umfassende
Ausgangsanalyse auf der privaten und unternehmerischen Ebene. Man muss verschiedene Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln anschauen. Konkret: Bei kleineren Firmen erleben wir oft, dass in den Bilanzen privates und geschäftliches Vermögen nicht ganz getrennt sind. Die Bilanz professionell zu bereinigen, braucht seine Zeit und ist mitunter ein Grund für eine lange Vorbereitungszeit. Wenn man den dafür benötigten Zeitraum nicht hat, kostet es häufig Geld – oft in Form von Steuern. Kurz: Das Thema ist vielfältig und wird zeitlich und fachlich oft unterschätzt.
Es ist also wichtig, für alle Beteiligten Transparenz herzustellen?
Ja, das sehen Sie richtig. Darum sagen wir schon in der ersten Besprechung: Kommunikation ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Dazu gehört einerseits, in der Familie darüber zu sprechen. Vielleicht nicht gerade beim geselligen Weihnachtsessen, aber sicher dann im Januar. Andererseits soll man Schlüsselmitarbeitende miteinbeziehen. Denn auch diesen ist klar, dass der Patron ins Rentenalter gekommen oder die Pensionierung absehbar ist. Wenn Angestellte dann keine Zukunftsperspektive haben, wie es mit dem Unternehmen
weitergeht, sind sie absprunggefährdet. Man muss ihnen gegenüber signalisieren: Wir arbeiten an einer Lösung. Es ist wichtig, dass man transparent ist und offen darüber kommuniziert, was man macht, plant zu machen respektive wie und wann es für das Unternehmen weitergehen soll.
Ist Nachfolge eigentlich nur ein Schönwetterthema? Wir sind ja in Corona-Zeiten und schon ist es wieder ganz hinten auf der Agenda.
Das erleben wir überhaupt nicht so. Auch da gilt: Man muss es sehr individuell betrachten und angehen. In nahezu jeder Branche gibt es Gewinner und Verlierer. Im jetzigen Zeitpunkt erfolgt die Preisfestlegung eher nicht auf «alten» Zahlen, sondern man wartet den Abschluss 2021 ab. Ausserdem merken wir, dass dem ein oder anderen Firmeninhaber die Augen aufgegangen sind. Sie realisieren jetzt, dass sie einzelne Neuerungen verpasst haben, zum Beispiel in puncto Digitalisierung. Dies ist dann oft mit ein Grund, die Nachfolgereglung an die Hand zu nehmen und die eigene Firma an jüngere Kräfte zu übergeben.
Wie ordnen Sie sich denn auf diesem Markt ein?
Bei grösseren Firmen und Transaktionen gibt es sehr viele spezialisierte Anbieter. Aber bei der Begleitung und dem Verkauf innerhalb von Familienbetrieben oder bei kleineren Transaktionen reduziert sich der Kreis der Anbieter. Denn dann ist das Thema oft nicht so lukrativ: Wir wollen mit unserer über 150-jährigen Erfahrung langjährige Kunden – gerade KMU – ganzheitlich beraten, begleiten und damit auch Arbeitsplätze sichern.