Es ist kein Geheimnis, dass je nach Statistik rund 70-90 Prozent der Strategien von und in Unternehmen scheitern. Nicht zuletzt deshalb stehen viele Manager von KMU dem Thema Strategie skeptisch gegenüber. Die Realität zeigt, dass zwar zumeist eine Strategie vorhanden ist, es aber an der Umsetzungsambition und deren Alltagsrelevanz für die Mitarbeiter deutlich hapert.
Der Artikel gibt Antworten auf drei zentrale Herausforderungen: (1) Unter welchen Voraussetzungen verläuft ein Strategieprozess erfolgreich? (2) Wie sieht eine durchgängige Strategie von der Vision bis hin zu konkreten individuellen Zielen aus? (3) Wie wird die Strategie zu einem flächendeckend im Unternehmen verankerten Verhaltensmuster?
Der Prozess der Strategientwicklung – die Qual der Wahl
Strategien sind zwingend notwendig, weil jedes Unternehmen sich im Wettbewerb befindet und dabei mit begrenzten Ressourcen agiert. Wären Ressourcen unlimitiert vorhanden bräuchte es keine Strategie, dann hätten Unternehmen grenzenlose Möglichkeiten. Und ohne Wettbewerber gäbe es keine Notwendigkeit, sich zu differenzieren. Aber mit begrenzten Ressourcen und der konstanten Bedrohung durch Wettbewerber wird Strategie zur Notwendigkeit und es müssen (zumeist harte) Auswahlentscheidungen getroffen werden – ein Unternehmen hat sprichwörtlich die Qual der Wahl. Und genau dieses «Auswählen müssen» stellt eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar: Haben wir wirklich an alles gedacht, sind alle Optionen auf dem Tisch? Wie entscheiden wir bewusst gegen Optionen? Um weg vom subjektiven Bauchgefühl hin zu verlässlichen Entscheidungen zu kommen, ist daher die Wahl eines geeigneten Strategieprozesses erfolgsentscheidend.
Da ist zum einen die Anwendung einer geeigneten Methodik: In der einschlägigen Literatur werden zahlreiche Methoden und Tools beschrieben, die insbesondere in der Phase der strategischen Analyse zum Einsatz kommen. Grosskonzerne bedienen sich gerne dieses Methodenbaukastens, für ein KMU ist dies allerdings oft vergleichbar mit dem berühmten Sprichwort «mit Kanonen auf Spatzen schiessen». Die Erfahrung zeigt, dass es in der Strategieentwicklung weniger auf die Generierung von «big data», sondern von «relevant data» geht – und wie diese geeignet beurteilt und berücksichtigt werden.
Zum anderen ist die entsprechende Beteiligung des Top Managements ein klarer Erfolgsfaktor: Strategieentwicklung kann nicht «outgesourced» werden und liegt in der originären Verantwortung der Geschäftsleitung. Wichtig ist daher, eine aktive Rolle und ein kontinuierliches Engagement des gesamten Managementteams über alle Phasen hinweg. Ein bewährtes Vorgehen zur Strategieentwicklung für KMU stellt die Strategiearchitektur dar (Augsten, T., Brodbeck, H.: Strategie und Innovation, 2017). Die Architektur stellt auf der Basis pragmatischer Analysen sämtliche strategie-relevanten Elemente auf einen Blick dar und vermittelt weitgehende Vollständigkeit der vorhandenen Optionen. Ein standardisiertes Vorgehen zur Ableitung, Bewertung und Auswahl der strategischen Stossrichtungen schafft sodann die Basis für eine gemeinsam vom gesamten Managementteam getragene Entscheidung für und auch gegen gewisse Optionen. Die Gründe, warum eine Stossrichtung verworfen wurde, wird für alle Beteiligten nachvollziehbar und erhöht somit die Akzeptanz enorm.
Die Inhalte der Strategie – mehr als Ziele und Massnahmen
Als Resultat der Strategieentwicklung sollte ein schlankes und leicht verständliches Dokument entstehen, das als Leitlinie für die nun folgenden und entscheidenden Phasen der Umsetzung und Verankerung der Strategie dient. Folgende vier Kernelemente sind dabei wesentlich:
1. Begeisterndes, identitätsstiftendes Bild der Zukunft (Vision, Mission, Purpose): Wer sind wir? Warum gibt es uns? Wofür stehen wir?
2. Positionierung: Für welche Kunden lösen wir Probleme? Wie differenzieren wir uns gegenüber unserer Konkurrenz? Was ist unser Wertversprechen?
3. Klarheit über die strategischen Ziele (quantitativ & qualitativ) für einen definierten Zeithorizont
4. Klar definierte strategische Stossrichtungen mit jeweils eigenen Zielen und Roadmaps; keine Ansammlung von Einzelinitiativen.
Ein begeisterndes Bild der Zukunft bildet heute ein zentrales Element für die Attraktivität eines Arbeitgebers. Gerade für KMU nimmt die Notwendigkeit ein solches begeisternden Zukunftsbild zu haben zu, um im Wettbewerb um Talente attraktiv zu sein, zumal teilweise abgelegene Standorte oder strukturelle Eigenheiten zu kompensieren sind. Gemäss einer Umfrage der Harvard Business Review wären über neun von zehn Befragten sogar bereit, für sinnstiftende Arbeit auf Gehalt zu verzichten. Mit anderen Worten: Neben dem «Was» und «Wie» gilt es auch für KMU, sich intensiv mit dem «Warum» auseinanderzusetzen. Dies darf allerdings zum einen keine Alibi-Übung sein («das muss man halt heute so machen»), und zum anderen «kann auch nicht jedes Unternehmen die Welt retten» (brand eins, 09/2019), d.h. man ist gut beraten, auf die üblichen und austauschbaren Plattitüden zu verzichten. Ein begeisterndes Bild der Zukunft zeichnet sich durch vier Eigenschaften aus: Es ist (1) relevant und sinnstiftend, (2) motivierend und emotionalisierend, (3) handlungsanleitend, und (4) leicht kommunizierbar.
Für eine erfolgreiche Strategieumsetzung ist vor allem das Element von konkreten strategischen Stossrichtungen entscheidend. Der übliche Weg für eine Operationalisierung der neuen strategischen Ziele ist die Ableitung von strategischen Massnahmen. Dieser Ansatz stellt sich allerdings immer häufiger als nicht zielführend heraus. Die Problematik dabei ist, dass bereits nach kurzer Zeit der Überblick über den Umsetzungsstand der einzelnen Initiativen verloren geht und die Mitarbeiter den Zusammenhang und die Logik, der aus ihrer Sicht fast willkürlich wirkenden Einzelmassnahmen, nicht erkennen. Hier ist es deutlich zielführender mittels drei bis maximal sechs strategischen Stossrichtungen eine Zwischenebene zu definieren. Deren Bearbeitung wird auf verschiedene Teams verteilt, die dann im Rahmen der gesetzten Leitplanken eigenständig die zur Erreichung der Ziele der Stossrichtung notwendigen Initiativen entwickeln, bewerten und umsetzen können. Ein gutes Verständnis schafft hier die Analogie des Leuchtturms: Richtet man den Scheinwerfer gegen den Himmel, so wirft er einen sehr breiten, diffusen Lichtkegel, der kaum An-haltspunkte für die Navigation liefert. Wird der Scheinwerfer auf den Boden gerichtet, so wird ein konkreter Bereich stark ausgeleuchtet. Dies ist einer singulären Strategiemassnahme gleichzusetzen, bei deren Umsetzung die Mitarbeitenden keinen Handlungsspielraum mehr haben. Strategie sollte also daher den Scheinwerfer des Leuchtturms horizontal ausrichten, damit ein entsprechend grosser Lichtkegel entsteht, um einen Fokus zu setzen, der aber noch genügend Spielraum bei der Definition der konkreten Initiativen zulässt.
Abbildung 1: Strategische Stossrichtungen als Rahmen für Einzelmassnahmen
Die Strategie erfolgreich umsetzen und verankern – vom Strategiepapier in den Alltag
Viele Strategien scheitern nicht, weil die Strategieaussagen falsch sind, sondern weil zum einen das Unternehmen nicht über die für die Umsetzung erforderlichen Fähigkeiten verfügt, und zum anderen die Veränderungsbereitschaft der Organisation zu gering ist. Das bedeutet konkret: Der Erfolg einer Strategie hängt entscheidend von deren Übersetzung ins Tagesgeschäft und deren Verankerung im Unternehmen ab. Das zentrale Instrument hierfür stellt die sogenannte Unternehmensarchitektur dar. Damit werden die Strukturen, Wertschöpfungs- und Informationsflüsse im Hinblick auf die erarbeitete Strategie angepasst und die Ressourcenausstattung sowohl quantitativ als auch qualitativ optimiert.
Mit anderen Worten: Ist die Strategie (das WAS) definiert werden in der Unternehmensarchitektur – über die Stufen des Makro- und Mikrodesigns – das WER, WO und WIE geklärt. Zu diesem Zweck werden die Geschäftsprozesse, die Unternehmensgrenzen bzw. Schnittstellen zu Dritten, die Aufbauorganisation, die Ablauforganisation, die Proze-duren und die Ressourcenanforderungen geprüft und bei Bedarf an die neue Strategie angepasst (Abbildung 2). So hat zum Beispiel die Strategie vom Produkt- hin zum Lösungsanbieter, und die damit verbundene Vorwärts-, Rückwärts- oder Seitwärtsintegration, oft grundlegende Veränderungen in der Unternehmensarchitektur zur Folge, da die Unternehmensgrenzen verlagert werden. Erst wenn diese entsprechend angepasst und umgesetzt wurden, wird aus einem nüchternen Strategiepapier eine gelebte Strategie.
Abbildung 2: Operative Umsetzung der Strategie durch eine angepasste Unternehmensarchitektur
Ihre volle Durchschlagskraft entfaltet die Strategie schliesslich, wenn sie eine innere Akzeptanz durch jeden einzelnen Mitarbeiter erfährt und das gesamte Unternehmen damit Träger der Strategie wird. Eine Massnahme dafür ist der frühzeitige Einbezug ausgewählter Schlüsselleute aus den wertschöpfenden Funktionsbereichen in die Strategieerarbeitung. Dadurch wird die Voraussetzung geschaffen, dass die Strategie auch an der Basis verstanden und umgesetzt wird. Wichtig ist ausserdem eine breite, offene und vor allem stufengerechte Information und Kommunikation. Sehr häufig wird der Einfachheit halber die Hochglanzpräsentation für den Verwaltungsrat auch für die Information der gesamten Belegschaft verwendet, was häufig sogar kontraproduktiv wirkt.
Es lohnt sich deshalb, die strategischen Aussagen individuell für jeden Mitarbeiter in konkrete Verhaltensanleitungen und Entscheidungskonsequenzen zu übersetzen. Abbildung 3 zeigt dieses Prinzip anhand des Beispiels einer Drogeriemarktkette auf. Daraus lässt sich unmittelbar auch das notwendige Schulungsprogramm ableiten.
Abbildung 3: Operationalisierung der Strategieaussagen
Fazit
Strategie ist mehr als ein Plan, sie ist ein möglichst tief im betrieblichen Alltag und flächendeckend verankertes Verhaltensmuster, dem das Unternehmen verpflichtet ist. In diesem Sinne wird Strategie dann erfolgreich, wenn sie sich im unternehmerischen Tun und der zugrunde liegenden Ratio niederschlägt und nicht lediglich als umzusetzenden Plan mit Einzelmassnahmen verstanden wird. Dazu benötigt es einen geeigneten Strategieentwicklungsprozess, Konkretisierung und Operationalisierung im Rahmen der Unternehmensarchitektur, eine stufengerechte Kommunikation sowie entsprechende Massnahmen zur Verinnerlichung durch sämtliche Mitarbeiter. Nur so gelingt es, dass sich das Unternehmen proaktiv und konsequent in Richtung der in der Strategie angestrebten Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit entwickelt. Und nur so entwickelt die Strategie tatsächlich Orientierung für Entscheidungen im Alltag jedes Mitarbeiters.