Das aktuelle Jahr hat es in sich: Es war nicht nur «einfach» eine Krise. Sie hat vieles aufgezeigt und infrage gestellt. Man liest, hört sagen und beginnt zu glauben, dass es kein «normal» mehr geben wird. Für den Zustand, der nun nach einer Übergangszeit kommt, ist sogar ein Begriff kreiert worden: «New Normal» erwartet uns bis auf Weiteres. Was dann allenfalls nach «New Normal» kommt, wenn dieses «new» dann mal «alt» oder von einer weiteren Krise abgelöst ist, steckt noch in der Kreativitäts-Pipeline zeitgenössischer Wortschöpfer.
Zugegeben: Corona hat auch zu so mancher Absurdität in den Unternehmen
und insbesondere in den Chefetagen geführt. Das erlebt auch Hannes. Der 49-Jährige studierte Betriebswirt ist Produktionsleiter und Mitglied der Geschäftsleitung eines internationalen Industriekonzerns. Er gewährt einen Einblick, was auf der Management-Etage so gedacht und getan wird. Übrigens: Ein Schmunzeln aufgrund dieser Business-Satire ist hier durchaus erlaubt.
New-Normale Bedingungen – Allerorts anders
In Hannes’ Unternehmen wird nach den einschneidenden Monaten nun am «New
Normal» gearbeitet: Vom Gesetzgeber her ist normales Arbeiten wieder erlaubt, aber selbstverständlich nur unter new-normalen Rahmenbedingungen. Hannes hat sich als Produktionsleiter bereits eingehend mit all den Vorgaben des eigenen und
seiner Partnerländer auseinandergesetzt. Schliesslich ist das Unternehmen international aufgestellt und Kunden und Mitarbeiter haben sich den lokalen Empfehlungen zu unterziehen.
Von Zwei-Meter-Abstandsregeln über 1,5 und 1,2 Meter bis zu keiner Distanzempfehlung gibt es einige Parameter. Hannes Geversucht,
dies alles zu berücksichtigen und das Unmögliche zu entwerfen: eine Regelung
nämlich, die zumindest für alle Niederlassungen in Europa gelten könnte.
Hannes erarbeitet in Excel eine Übersichtstabelle: 1,2 Meter im Büro, in der Produktion aber nur ein Meter. Die Dauer der Begegnung darf maximal 15 Minuten betragen – in der Produktion allerdings mit Visier und im Büro mit Maske, aber das wiederum auch nur in öffentlich zugänglichen Räumen. Sonst reicht es, in den Ellenbogen zu husten. Im eigenen Büro ist wieder alles erlaubt. Externe Gäste dürfen nicht in die Betriebskantine, sofern sie länger als 15 Minuten dort zu sein geplant haben. Was im Durchschnitt so oder so nur einem Instant-Sandwich entspricht, das man über die Sommermonate auch im Freien einnehmen kann. Ein kleiner Tisch für eine Person vor dem Eingang löst das Problem kalter Tage, damit der externe Coach doch auch eine Suppe löffeln kann.
Die Krux mit den Grossanlässen – Elegant gelöst
Hannes skizziert weiter und weiter. Da er im gleichen Atemzug auch eine Guide-Line für Mitarbeiter- und Kundenanlässe erstellen kann, beginnt er, dafür die entsprechenden Kontaktpersonen zu konsultieren. Er macht sich auf einen grösseren Koordinationsaufwand gefasst und hat bereits im Voraus Excel-Tabellen und Blätter mit Titeln versehen, damit er in einem einzigen Arbeitsgang sämtliche Bedürfnisse erfassen kann. Der Rest ist dann Feingefühl, Kommunikation und Terminplanung. Das wird er schon schaffen. Nach den ersten Kontakten mit den jeweiligen Verantwortlichen fasst er zusammen: Der Mitarbeiteranlass, der für Frühjahr 2021 geplant ist, ist bereits abgesagt. Man weiss ja nie, was dann ist. Das Okay für das Kundenevent vom Sommer 2021 ist ebenfalls zurückgezogen. Grund: Keiner kann zu 100 Prozent davon ausgehen, dass im nächsten Sommer solche Anlässe möglich sind. Das alle zwei Jahre stattfindende Openspace-Setting für alle Kaderleute hätte im September 2021 wieder stattfinden sollen. Es ist abgesagt, die Begründung: Eventuell stehen wir im Herbst 2021 vor der nächsten Welle. Dann wäre die Vorbereitung umsonst gewesen. So geht’s weiter und Hannes spürt Erleichterung, dass dieses «New Normal» bedeutend weniger Koordinationsaufwand benötigt – sofern man die eigene Zukunft nicht auch gerade absagen möchte. Post-Covid-Übergangszeit als Wartezeit? Doch jetzt mal im Ernst, so ganz ohne jeden satirischen Unterton und eher etwas nüchtern betrachtet: Wir haben eine Post-CovidÜbergangszeit. Auf New Normal zu warten,
kann auch gefährlich sein. Denn wie der neue Normalzustand dereinst aussehen
wird, weiss niemand so genau. Man kann wohl davon ausgehen, dass es nicht mehr derselbe ist wie derjenige, der es vorher war. In dieser aktuellen Phase des Übergangs zwischen dem Höhepunkt der Krise und dem irgendwie wieder normalen Zustand gilt es, viel Unsicheres auszuhalten. Auf der einen Seite ist es richtig, vorsichtig zu sein und nicht so zu tun, als sei jetzt alles vorbei. Auf der anderen Seite wäre es nun doch etwas einfach, mal abzuwarten, bis es wirklich ganz sicher ist, dass wieder alles sicher ist.
Willkommen in wohliger Lethargie
Es zeigt sich mittlerweile, dass Home Office und Lockdown gut bewältigt wurden. Doch es bewahrheitet sich auch, dass vieles mit weniger Aufwand auch ginge. Das mag im Konsumbereich durchaus eine reinigende Demuts-Wirkung haben und ist auf jeden Fall das, was vielleicht Sinn und Zweck des Virus gewesen sein könnte. Aber dass jetzt Skepsis, Unsicherheiten und Ängste gerade für alles Mögliche herhalten sollen, etwas nicht zu tun, weil es in wohliger Lethargie eben auch auszuhalten war, ist gefährlich. Irgendein Mitbewerber erkennt genau diese Chance, dass andere «schlafen» und noch warten. Nie mehr wird die Zeit so
offen sein wie gerade jetzt in dieser Übergangszeit. Diese Chance gilt es zu packen, mit Kunden eine Beziehung aufzubauen und neue Projekte auszuprobieren. Es kann durchaus sein, dass gerade das, was jetzt gesetzt wird, Bestand haben wird. Wer will, soll jetzt loslegen: nur Mut!