Viele Unternehmen befinden sich zurzeit in einer existenziellen Krise und müssen einen Turnaround- Prozess vollziehen. Das heisst, die Weichen in der Organisation müssen neu gestellt werden. Dieser Changeprozess gelingt nur, wenn die wahren Problemursachen ermittelt und bekämpft werden.
Aktuell befinden sich Corona-bedingt viele Unternehmen in einer Situation, in der ihre Existenz akut bedroht ist. Und in den kommenden Monaten werden weitere in diese Situation geraten. Das heisst, sie müssen einen Turnaround vollziehen, um mittel- und langfristig zu überleben. Hierbei handelt es sich um einen Prozess, in dem – wie der englische Begriff «turn around» bereits andeutet – die Vorzeichen, unter denen die Entwicklung des Unternehmens steht, umgedreht werden. Sie werden weg vom Negativen ins Positive gewendet, sodass die Existenz des Unternehmens wieder gesichert ist und dieses wieder voller Zuversicht in die Zukunft blickt, weil es sich erkenn- und messbar wieder in der
Erfolgsspur befindet.
Existenzielle Krisen als Resultat eines Prozesses
Aktuell befinden sich recht viele Unternehmen in einer existenziellen Krise, von
denen noch vor wenigen Monaten alle Stakeholder dachten: Das Unternehmen
ist kerngesund. Insofern unterscheidet sich die Ist-Situation von «normalen Zeiten ». In ihnen sind existenzgefährdende Krisensituationen meist das Resultat eines längerfristigen Prozesses; längerfristig deshalb, weil es meist einige Zeit dauert, bis im Top-Management allmählich die Erkenntnis reift: Wir müssen einen Turnaround vollziehen.
In der Regel ist der Anlass hierfür ein akutes betriebliches Problem: Beispielsweise sinkt der Umsatz aufgrund eines veränderten Marktumfelds (Absatz- und Umsatzkrise), die (Fix-)Kosten sind zu hoch, zum Beispiel aufgrund einer geringen Prozesseffizienz (Kostenkrise) oder die Finanzierung des laufenden Geschäfts ist bedroht, beispielsweise aufgrund einer steigenden Verschuldung (Finanz- und Liquiditätskrise). Ein weiterer Anlass ist das Management, wenn es nicht handlungsfähig ist, zum Beispiel, weil es uneins
ist (Managementkrise). Werden diese Problemfelder rechtzeitig erkannt und die
erforderlichen Gegenmassnahmen ergriffen, dann muss zum Beispiel aus der
Managementkrise oder Absatzkrise eines Unternehmens keine Existenzkrise
werden, die letztlich nicht nur einen Turnaround, sondern auch eine Sanierung
des Unternehmens erfordert.
Von der Managementkrise in die Existenzkrise
Analysiert man die Ursachen, warum Unternehmen in einer Existenzkrise stecken, dann zeigt sich oft folgender Verlauf: Aus einer Managementkrise erwuchs eine strategische Krise. Diese führte zu einer Absatzund Umsatzkrise, die wiederum zu einer Ertrags- und Liquiditätskrise führte, die ihrerseits die Existenzkrise auslöste. Exemplarisch liess sich dieser Verlauf bei vielen
Automobilindustrie-Zulieferern beobachten, die in jüngster Zeit einen Personalabbau oder gar eine Insolvenz verkündet haben. Sie machten sich in der Vergangenheit oft in einem zu hohen Masse abhängig von zwei, drei Schlüsselkunden und bestimmten technischen Problemlösungen. Und diese «strategische Krise» führte – bereits vor Corona – zu einer Absatz-, Ertrags- und
Liquiditätskrise, die vereinzelt zu einer Existenzkrise wurde. Ähnliche Prozesse liessen sich im Bankensektor bei den Geldinstituten beobachten, die auf die Niedrigzinspolitik der EZB und den Strukturwandel im Finanzsektor nicht adäquat reagierten. Deshalb sollte in jedem Unternehmen ein Alarmsystem existieren, das Problemfelder in der Organisation so frühzeitig signalisiert, dass Existenzkrisen vermieden werden können.
Corona: Nicht selten nur ein Brandbeschleuniger
Hätte ein solches Alarmsystem existiert, hätte es jedoch bei der Covid-19-Pandemie in den meisten Unternehmen, speziell im KMU-Bereich, versagt. Warum? Mit diesem «Schwarzen Schwan», also unvorhergesehenen Ereignis rechnete (fast) niemand. Also war es auch nicht in den vorhandenen Alarmsystemen vorgesehen. Entsprechend gross ist denn auch aktuell die Gefahr, dass Unternehmen, wenn sie in eine existenzielle Krise geraten, die Ursache allein in Corona sehen und eine tiefergehende Ursachenforschung unterbleibt. Beschäftigt man sich jedoch intensiver mit der Frage, warum manche Unternehmen ein- und derselben Branche in eine existenzielle Krise gerieten und andere nicht, dann zeigt sich oft: Die Covid-19-Pandemie
war zwar der Auslöser der Krise, jedoch nicht deren (alleinige) Ursache. Sie wirkte letztlich nur wie ein Brandbeschleuniger, der latent vorhandene Probleme offen zutage treten liess – sei es im Bereich Finanzen (zum Beispiel Eigenkapital), Marktbearbeitung (zum Beispiel Kundenstruktur) oder Innovation (zum Beispiel Digitalisierung, Produktentwicklung).
Entsprechend gross ist die Gefahr, wenn Unternehmen aktuell – aus nachvollziehbaren Gründen – vorschnell Covid-19 als alleinigen Verursacher ihrer aktuellen Existenzkrise ausmachen, diese nicht erfolgreich meistern. Vielmehr wird auf die erste Existenzkrise in naher Zukunft eine zweite folgen, da die wahren Problemursachen nicht beseitigt wurden.
«Staatsknete» Verdeckt aktuell oft Existenzkrise
Befindet sich ein Unternehmen in einer Existenzkrise, dann ist in der Regel auch seine Liquidität bedroht. Also gilt es, diese zunächst wieder herzustellen, damit das Unternehmen zahlungsfähig bleibt. Das haben viele Unternehmen in den Monaten nach dem Lockdown auch mit Staatshilfe getan. Hierdurch wurde ihre existenzbedrohende Ist-Situation zwar entschärft, aber nicht aufgehoben. Sie wird offen zutage treten, wenn die staatliche Subvention entfällt. Dann dürfte die bisher verdeckte Krise nicht selten schwer zu lösen sein, denn: Befindet sich ein Unternehmen – beispielsweise, weil sein Geschäftsmodell überholt ist – in einer Existenzkrise, sind auch die potenziellen Geldgeber wie Banken und Investoren nur noch bedingt bereit, dem betroffenen Unternehmen die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, weil sie wissen: Die angestrebte Sanierung erfordert Zeit und sie wird den grössten Teil der Finanzmittel verschlingen. Ähnlich verhält es sich bei vielen Lieferanten. Sie sind oft nur noch gegen Vorkasse zu einer Zusammenarbeit bereit, sofern ihnen kein in ihren Augen überzeugendes Konzept vorliegt, wie das Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zurückfindet.
Problemwurzeln ermitteln und analysieren Deshalb ist der erste Sanierungsschritt stets eine fundierte Analyse, warum das Unternehmen in der Krise steckt. Das heisst, sich Fragen stellen wie: Warum werden die Produkte / Problemlösungen des Unternehmens nicht mehr nachgefragt? Zum Beispiel,
weil sie zu teuer sind? Oder weil sie technisch veraltet sind? Oder weil der Service nicht stimmt? Oder weil …? Hierauf aufbauend gilt es dann beispielsweise zu ermitteln, warum die Produkte zu teuer sind. Zum Beispiel, weil die Beschaffungskosten des Unternehmens zu hoch sind? Oder weil seine Produktionsprozesse ineffizient sind? Oder weil die Kosten-Nutzen-Relation der
Problemlösung aus Kundensicht zu niedrig ist? Oder weil …?
Erst durch dieses konsequente Nach- und Weiterfragen gelangt man zu den eigentlichen Problemursachen. Doch dies allein genügt nicht, um nachhaltige Problemlösungen zu entwerfen. Wichtig ist auch, sich zu fragen: Warum wurde das Problem nicht früher erkannt und gelöst? Zum Beispiel, weil ein Alarmsystem fehlt? Oder weil dem Unternehmen die dafür nötigen Kompetenzen fehlen? Oder weil …?
Eine fundierte Analyse der Krisenursachen gelingt Unternehmen insbesondere
in der aktuellen Situation, in der für fast alles die Ausrede «Corona» existiert, in
der Regel nur mit externer Unterstützung, denn: Das nachfragende Bohren in der Ist-Situation und Historie des Unternehmens, um die Problemwurzeln zu ermitteln, ist ein schmerzhafter Prozess, bei dem auch Fehler und Versäumnisse in der Vergangenheit ans Licht gezerrt werden – auch Fehler und Versäumnisse des Managements. Deshalb sind mit der Sanierung eines Unternehmens meist auch personelle Wechsel auf der Managementebene verbunden.
Sanierungskonzept und -Gutachten erstellen
Liegen die Analyseergebnisse vor, kann ein Sanierungskonzept erstellt werden,
in dem die Massnahmen, mit denen das Unternehmen seine Markt- und Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen möchte, definiert, quantifiziert, budgetiert und terminiert werden. Das Sanierungskonzept dient als Grundlage für das Sanierungsgutachten. Mit ihm sollen unter anderem die (potenziellen) Investoren und Kapitalgeber des Unternehmens von dessen Sanierungsfähigkeit überzeugt werden. In dieses Gutachten fliessen zahlreiche in- und externe Faktoren ein, wie zum Beispiel die Attraktivität des Marktes des Unternehmens, dessen angestrebtes künftiges Geschäftsmodell und die künftigen Geschäftsrisiken.
Im Sanierungsgutachten wird auch geprüft, inwieweit das Sanierungskonzept
tatsächlich geeignet ist, das Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zu führen. Beurteilt werden unter anderem die Schlüssigkeit und Finanzierbarkeit der beabsichtigten Massnahmen sowie deren Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage. Zudem werden Alternativrechnungen durchgeführt, die unter anderem die Planungsunsicherheiten berücksichtigen. Ausserdem werden in dem Gutachten die kritischen Prämissen dargestellt, auf denen die Planungen beruhen (zum Beispiel Markt- / Konjunkturentwicklung, Entwicklung der Rohstoffpreise, Fortbestand der Verträge mit Grosskunden, ein Corona- Impfstoff wird gefunden).
Den Meilenstein Turnaround erreichen
Aufgrund des Sanierungsgutachtens treffen die Kapitalgeber ihre Entscheidung, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen sie dem Unternehmen die für die Sanierung nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. Danach kann bei einem positiven Bescheid die eigentliche Sanierung beginnen, deren erstes Teilziel das Erreichen des Turnarounds ist. Stellt das Management eines Unternehmens fest: «Wir haben den Turnaround geschafft», bedeutet dies: Das ehemals «kranke», in seiner Existenz bedrohte Unternehmen befindet sich wieder in der Erfolgsspur; seine Existenz ist nicht mehr akut bedroht. Der Turnaround ist somit ein zentraler Meilenstein in dem Changeprozess, der auf die Sanierung des Unternehmens und die Wiederherstellung seiner Wettbewerbsfähigkeit abzielt.
Um diesen Meilenstein zu erreichen, ist meist ein Bündel von Massnahmen nötig,
die zum Beispiel auf eine Senkung der Fixkosten, eine Steigerung der Produktivität und Qualität, eine Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit und ein Sicherstellen der Liquidität abzielen. Diese Massnahmen sind zumindest für Teile der Belegschaft meist sehr schmerzhaft, denn mit ihnen geht neben einer Umstrukturierung häufig ein Personalabbau einher. Zudem erfordert das Erreichen des Ziels der Massnahmen meist ein radikales Umdenken sowie Aufgeben liebgewonnener, nicht selten identitätsstiftender Routinen und Verhaltensmuster. Entsprechend schwer ist der auf einen Turnaround abzielende
Changeprozess zu managen – unter anderem, weil er meist auf Widerstände
stösst; gerade in Zeiten wie den aktuellen, in denen für vieles die bequeme Ausrede Corona existiert.
Wieder zuversichtlich in die Zukunft blicken
Gemessen wird das Erreichen des Turnarounds meist mittels vorab definierter Kennzahlen wie zum Beispiel Cashflow, Umsatz, Rendite, Durchlaufzeiten. Werden diese erreicht, bedeutet dies aus Change-Management- Warte: Das Unternehmen hat das sogenannte Tal der Tränen durchschritten. Es kann wieder hoffnungsfroh in die Zukunft blicken, sofern es den eingeschlagenen Kurs beibehält. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn in dem Turnaround-Prozess die wahren Krisen- bzw. Brandursachen beseitigt wurden und nicht nur der Brandbeschleuniger Corona bekämpft wurde.